Hässliche Band, schöne Kunst. James veröffentlichen 2010 das Album "The Morning After".

Foto: Mercury

Bei Preisen funktioniert es ja üblicherweise umgekehrt. Zuerst folgt die Longlist, die auf die Shortlist eingedampft wird, aus der dann ein Sieger, eine Siegerin ausgelobt wird.

Nun, Preise gibts hier eh keine, also wird in der Zeitung die kurze Liste veröffentlicht, hier, im Blog, wo Platz kein Thema ist, folgt, was ich 2010 gut fand. Oder schlecht. Oder jenseitig. Worüber ich geschrieben habe, ist über den jeweiligen Albumtitel weitgehend verlinkt, was nur als Kurztipp in der Zeitung war, hab ich mir zu verlinken gespart.

Die Wertung ist ab dem zehnten Album von oben nur noch beliebig, darüber entspricht die Reihenfolge ungefähr meinen Sympathiewerten. Prinzipiell fand ich, dass es ein eher schwaches Jahr war. Keine großen Aufreger, nicht nach oben, nicht nach unten. Wobei Arcade Fire dann doch enttäuschend war. Na ja.

Alsdann: Friends and Enemies - applaudiert, geifert, lest nach, denkt nach, listiert selber. Alles gilt. Nur zu sagen "die Band xy mit dem Album xz fehlt", ist dumm.
Aber das hat bisher auch niemanden abgehalten. ;-)

 

LIEBSTE ALBEN 2010:

James: "The Morning After"
Acht Songs reichten. Ein Kleinod ausgesuchter Schönheit.

The Roots: "How I Got Over"
Bester HipHop 2010. Factum. "Aber Kanye West?" Weiter unten. Viel weiter unten.

Matthew Dear: "Black City"
Nicht so geschlossen wie "Asa Breed", aber voller Ideen zwischen E-Funk und Schaltkreis-Pop.

LCD Soundsystem: "This Is Happening"
Der Vorgänger war nicht zu toppen, der Nachfolger kommt gleich auf zur Ruhe. Fast halt. Kein Grund zur Beschwerde.

Vampire Weekend: "Contra"
Zappelnde Ästheten. Auch am zweiten Album.

Edwyn Collins: "Losing Sleep"
Starkes Lebenszeichen nach zwei Schlaganfällen. Einige der Popsongs 2010.

Swans: "My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky"
Verschränkt das Beste aus der Lärm- und der Besinnlichkeits-Phase der Berserker.

The Young Gods: "Everybody Knows"
Nach einem Unplugged-Ausrutscher ein Statement eleganter Härte.

Trentemoller: "Into The Great Wide Yonder"
Großartiger Soundtrack aus dem Schaltkreis.

Broken Bells: Same
Kühler New Wave. Von Danger Mouse und James Mercer (The Shins) pickiert aber bekömmlich gereicht.

Caribou: "Swim"
Live im B72 hat die Band gestümpert, servas G’schäft. Aber das Album war dennoch ein Lichtblick.

Mutter: "Trinken Singen Schiessen"
Inhaltlich unversöhnlich, formal altersmilde.

Maximum Balloon: Same
Schon wegen der Nummer mit David Byrne großartig.

Electro Guzzi: Same
Techno als traditionelles Trio nachgebaut. Wird spannend, was dem folgen wird.

Element Of Crime: "Fremde Federn"
Herrliche Coverversionen ohne Genierer: Von "Last Christmas" über "Heimweh" zur "Blaumeise Yvonne". Persönlicher Liebling: "Hamburg 75". ("Jungs war das gemütlich!").

Ben: "L’Oncle Soul"
"Seven Nation Army" und andere Hits im Soul-Outfit. Alte Hüte in bester Fason.

HGich.T: "Mein Hobby: Arschloch"
Stinkende Unterhosen auf Beidl-Techno mit lustigen Texten. Muss man mögen.

Aloe Blacc: "Good Things"
Im Soul-Kleidchen von "Little Miss Fortune" zu Lou Reeds "Femme Fatal".

Mavis Staples: "You Are Not Alone"
Deep Soul mit Gospel- und Country-Spuren sowie Jeff Tweedy als Geburtshelfer.

My Jerusalem: "Gone For Good"
Charmanter Indie-Rock mit traurigen Bläsern in den richtigen Momenten.

Kanye West: "My Beautiful Dark Twisted Fantasy"
Musikalisch mitunter großartig, letztlich nur eine halbe Sache.

M.I.A.: "Maya"
"Born Free". Noch Fragen?

The National: "High Violet"
Ein Slow Burner, aber dann …

Tamikrest: "Adagh"
Hypnose-Blues aus der Wüste, Zäh wie ein Sandsturm.

Gonjasufi: "A Sufi And A Killer"
An diesem Freak führte 2010 nichts vorbei: Space-Hop, durchgeknallt, nuschelnd, dazwischen Oasen reiner Schönheit.

Various: "Sixteen F*cking Years Of G-Stone"
Gepflegte Bestandsaufnahme mit einigen außergewöhnlich schönen Tracks und Songs.

Deerhunter: "Halcyon Digest"
Nicht der große Wurf, aber fürs ansonsten fade Indie-Land (Arcade Fire!) dann doch beachtlich. 

Gil Scott Heron: "I’m New Here"
Nur eine wirklich tolle Nummer drauf, "Me And The Devil", aber die zieht den Rest irgendwie mit.

Charlotte Gainsbourg: "Irm"
Hübscher Allerwelts-Pop mit Sehnsuchtsmomenten.

Janelle Monáe: "The Archandroid"
Rhythm’n’Blues zwischen Retro und Futurismus.

ABSTÜRZE 2010:

Massive Attack: "Heligoland"
Klingen wie schlechte Kopisten ihrer selbst, live längst die U2 für Maturanten.

Tricky: "Mixed Race"
Ein Album, das klingt, als hätte er dafür nur ein Prozent seines Potenzials drauf verwendet. Auch live mau.

Grinderman: "Grinderman 2"
Live okay, aber das Album leitet das Blut via Bypass am Herzen vorbei.

 

BESTE KONZERTE 2010:

Heavy Trash im Flex:
Geiler Rockabilly und angestochener Rock’n’Roll von Elvis bis Hasil. Nachlese hier.

Chris Isaak in der Szene Wien:
Elvis! Nachlese hier.

Eric Clapton / Steve Winwood in der Stadthalle:
Nicht wegen der aufgeblasenen Mucke. Wegen des unterhaltsamsten Posteraufstands des Jahres. Nachlese hier.

LCD Soundsystem beim Frequency Festival:
Endlich! Nachlese hier.

Wilco im Gasometer:
Endlich! Nachlese hier.

Spoon, Beak & Neu! bei Primavera in Barcelona:
Nachlese hier.

The XX bei Primavera in Barcelona:
Pampige Kinders, verhaltener Groove, introvertierte Schönheit. Nachlese hier.

A Green in der Oper:
Ein Gottesbeweis. Auch noch mit halber Kraft. Nachlese hier.

Bob Dylan in Bratislava:
So nahe war ich ihm noch nie. Nachlese hier.

Them Crooked Vultures in der Arena:
Led Zep für uns Spätgeborene. Nachlese hier.

Swans in der Arena
Heiliger Lärm, eine Spur zu leise, sonst sehr super.

GRÖSSTES BEDAUERN:
Das Fluc-Konzert der wunderbaren australischen Band The Blackeyed Susans wurde im April von einem isländischen Vulkan verunmöglicht. Was uns da ungefähr entgangen ist, hier...

DÜMMSTE DISKUSSION DES JAHRES:
"Das Ende der Albumkritik". Spex-Hirnis erfinden das „Pop-Briefing“, erklären die Albumrezension für tot und gestrig, und jede Menge denkfaule Realitätsflüchtlinge plappern den Pofel brav nach.

(Karl Fluch, derstandard.at, 13. 12. 2010)