Fünf Freunde.The National finden das Leben auf ihrem fünften Album, "High Violet", ziemlich kompliziert. So isses halt.

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Wien - Zu den großen Trommlern und Marktschreiern zählen The National nicht. Das beweist auch ihr neues, am Freitag erscheinendes Album High Violet.

In einer Welt, in der Aufmerksamkeit längst unter ökonomischen Gesichtpunkten bewertet wird, ist das eigentlich ein Nachteil. Aber gerade im Pop gibt es immer wieder erstaunliche Karrieren, die aus einer gewissen Verweigerung gegenüber dem Amtsweg und seinen um Aufmerksamkeit heischenden Ritualen entstehen. Solange die Qualität des Produkts stimmt, kann man es der Welt auch mit dem Kopf im Sand verkaufen. Siehe etwa Kruder & Dorfmeister.

Bei The National fügte sich das bisher prototypisch. Nach zwei Scheiben, auf denen man einmal den eigenen Platz suchte, veröffentlichte die US-Band aus Ohio 2005 das Album Alligator. Damit erregten die zwei Brüderpaare Aaron und Bryce Dessner sowie Bryan und Scott Devendorf mit ihrem Sänger Matt Berninger erstmals nachhaltig Aufsehen.

2007 legten sie mit The Boxer eindrucksvoll nach und verkauften davon allein in den USA 350.000 Stück. Bruce Springsteen und Michael Stipe von R.E.M. bekannten sich als ergebene Fans, gaben Tipps oder luden zu Tourneen. Da schien zusammenzukommen, was zusammengehört, das Wort vom nächsten großen Ding machte die Runde.

Bodenhaftung im Leben

The National sind eine moderne Inkarnation einer zutiefst amerikanischen Band mit Bodenhaftung im wirklichen Leben. Ihre Mitglieder umweht die Aura der "Ordinary Joes" . Daran finden sie nichts Verwerfliches, denn die Jugendfreunde beziehen ihre Themen aus dem Dasein von Durchschnittsamerikanern. Obschon in New York lebend, vertraut man ihnen immer noch, wenn es darum geht, Geschichten aus dem Hinterland zu erzählen, Einblicke in die dortigen Kriegstagebücher des Alltags zu geben.

Die Songs werden ihren Sujets entsprechend nicht in schriller Exaltiertheit handelsüblicher Rockstars kredenzt. Platte Slogans findet man hier ebenso wenig wie kämpferisches Gehabe. The National schleichen sich wie Dienstboten oder Handwerker durch die Hintertür. Doch auch dabei fallen durchaus Stücke ab, die man Hits nennen könnte.

Mistaken For Strangers etwa. Oder Fake Empire, der Eröffnungssong von The Boxer. Eine Wahrnehmung der Bush-Ära, in der The National gediehen und groß wurden, stehen dafür prototypisch. Nun ist Bush weg, und auch der Eröffnungssong von High Violet verdeutlicht einen Rückzug ins Private. Berningers nölender Bariton wird in Terrible Love von schwellenden Gitarren verhüllt und bis zum Ende des Songs fast vollständig zugelärmt - samt hübscher Melodien, Uhuhuh-Gesang und lieblich, aber bestimmt klimperndem Klavier.

Ein Album, das wächst

Das ist kein wahnsinnig bestechender Opener, aber wie erwähnt sind The National Meister des Schleichens. Und so ist auch High Violet - bandintern gilt es als schwierige Geburt, die erst im letzten Moment und nach tausend kleinen Veränderungen fertig geworden ist - ein Album, das mit jedem Hören wächst. Bei manchen Stücken weiß man aber auch gar nicht, ob das noch etwas wird. Die Band wirkt stellenweise verzagt und unentschlossen.

Man könnte das abqualifizieren, dann hätte man The National aber nicht verstanden. Genau dieses Nicht-superprofimäßig-auf-alles-eine-Antwort-Haben, diese nachvollziehbare Suche, dieses Sichverlaufen - das wird gepflegt und als Umstand anerkannt: Ein Bekenntnis wie "I'm afraid of everyone" bringt diesen Zustand ebenso auf den Punkt, wie "I don't have the drugs to sort it out" so manche Hilflosigkeit umschreibt.

Alles normal, alles spektakulär unspektakulär. Berninger vermutet Kinder in Schwierigkeiten, trägt Sorgen mit katholischer Geduld, will von einer Liebe nicht loslassen. Pop, diese allgegenwärtige und aufdringliche Schlampe der westlichen Welt, wird hier in unaufgeräumte Küchen mit übergehenden Mistkübeln geführt und bei dünnem Tröpferlkaffee mit banaler Illusionslosigkeit konfrontiert. Pop zwischen Styroporteller und Plastik-Jesus, zwischen geplatzten Schecks und vollen Kinderwindeln. Lady Gagas schlimmster Albtraum als richtiges Leben.

Auch wahre Größe hat einmal klein anfangen. The National wissen das aus eigener Erfahrung. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 06.05.2010)