James: The Morning After (Mercury/Universal)

Foto: Universal

Man will eigentlich gar nicht darüber nachdenken. Nicht die Magie der Kunst mit der Blödheit der Rationalität, mit Erklärungsmodellen irritieren. Zu schön ist der Zustand des reinen Schwelgens. Trotzdem, muss ja. Also: Auf den Boden des Faktischen gestellt bedeutet das, The Morning After von der britischen Band James ist einfach unglaublich schön. Zum Niederknien. Ein Wunder. Eines, das irgendwie aus dem Nichts kam, weil James schon ein bisserl egal sind. Nicht dass die oft tanzbaren Songs der verwittert aussehenden Band nicht meistens okay gewesen wären, immer schlau mit verschiedensten Brit-Pop-Charakteristika gespielt hätten, lässigen Uptempo- und später zusehends coolen Adult-Pop verkörpert hätten, den mehrmals Brian Eno überwacht hat, der ja jetzt auch nicht niemand ist. Aber das war in einer Ära vor The Morning After.

Die Geschichte dieses Pop-Juwels beginnt James-typisch. Im Frühjahr veröffentlichte die Formation um Glatzkopf Tim Booth The Night Before. Ein Sieben-Song-Werk, irgendwo zwischen LP und EP liegen geblieben. The Night Before klang so richtig James-ig: eingängiger Pop mit Forte, dem seine Herkunft - Manchester - deutlich anzumerken war. So eine Art zeitgenössisches Missing Link zwischen New Order und den Happy Mondays, mit allen Unschärfen, die dieser Vergleich nach vielen Jahren Band-Biografie mit sich bringt. Eine Musik, mit der James gerade auch in Amerika immer wieder beachtliche kommerzielle Erfolge verbuchen konnten. Aber nichts, was auf das einige Monate später erscheinende The Morning After hingedeutet hätte. Auch dieses bleibt mit acht Stücken knapp. Dem Titel entsprechend ist es eine Art Kater-Album geworden. Aber nicht bloß von einer einzigen Nacht, in der sich eine Band um die 50 übernommen hätte, sondern, wie es sich in diesem Alter geziemt, verkatert vom Leben: liebeskrank, von sich selbst und den eigenen Unzulänglichkeiten enttäuscht, dabei wissend, dass man in dieser Haut den Rest seines Lebens bestreiten wird müssen. Es wird gewinselt, gelitten, gehofft, Vernunft gesprochen, gezweifelt, Einsicht gezeigt, gehadert, gefleht, versprochen, gebrochen, verziehen.

James nehmen dafür ihr Tempo raus. Zwar gibt es mit Stücken wie Tell Her I Said So Zwischensprints, aber atmosphärisch bleibt es dennoch ein ruhiges Werk. James öffnen in ihren Balladen Räume auf eine Art, dass man wieder Eno als Geburtshelfer vermuten könnte, aber nicht. Alles selbst produziert. In einer Tonsetzerkunst, die alles richtig macht. Alles fällt perfekt. Wie in einem Kaleidoskop. So heißt nicht nur ein Song, es passt auch als Sinnbild. Von wo aus man The Morning After betrachtet, dieses Album ist reine Schönheit. Die Melodien sind Gold, die Chöre Regenbögen, die Instrumentierung wirkt wie von höherer Macht empfohlen.

Da lauert natürlich der Kitsch. Aber James - was für ein vertrottelter Bandname! -, diese alten, vielgelittenen Hasen, sie umschiffen ihn souverän, lassen das Schmalzfass von Coldplay ebenso links liegen wie das hohle Pathos, dessen sich Gefühlstheoretiker bedienen, um ihren blutleeren Schmarren zu verscherbeln. Das mag die eigentliche Kunst sein, die hier so ohne Vergleich erblüht. Man hat nicht das Gefühl, beschissen zu werden oder einem Schmäh aufzusitzen. Aber es ist auch kein Wundenlecker-Album leidender Männer, die in ihr Bier weinen. Alles ist wunderbar in Balance, so perfekt, ohne dass die Perfektion einem mit ihrem superperfekten Arsch ins Gesicht fahren würde. Musik wie ein bester Freund, eine beste Freundin. Mit langem Atem trotz kurzer Dauer. Musik, die glücklich macht. (Karl Fluch, RONDO/DER STANDARD - Printausgabe, 1. Oktober 2010)