Maximum Balloon (DGC/Universal)

Foto: Universal

Am Anfang stand Skepsis. Schließlich hieß es, David Sitek arbeite an einem Popalbum. Und zwar an einem, mit 1980er-Jahre-Breitseite. So richtig. Mit Schmalz-, Synthie- und anderem Schweinkram für die Ohren. Dabei gilt David Sitek als musikalischer Kopf der US-Band TV On The Radio als der Mann, der für den eher grimmigen Sound der Formation verantwortlich zeichnet. Ausgerechnet der will sich die Schmerzen seiner Jugend mittels öffentlich aufgeführtem ABC-Madonna-Samantha-Fox-Wham!-Michael-Tschäxn-Exorzismus austreiben? Bitte. Nicht.

Aber Entwarnung. Für sein Solo- projekt, das unter dem Titel Maximum Balloon läuft, biegt er zwar in Richtung Mainstream-Pop ab, aber doch unter seinen Bedingungen. Dabei gibt es Momente, Melodien und Singsang, die an diverse Schrecken des 1980er-Mainstream erinnern. Anders als damals pfeift Siteks Produktion aber nicht aus dem letzten Bass-freien Asthmaloch, sondern steht knietief im Fett. Das belegt schon der Eröffnungssong Groove Me. Diesem ist die Handschrift des 38-Jährigen anzumerken, der TV-On-The-Radio-Sound klingt deutlich durch. Lediglich eine um Unbekümmertheit bemühte Synthie-Melodie und die sonnigere Grundstimmung unterstreichen den Unterschied zur politisch chronisch verschnupften Stammband.

Für jeden der zehn Titel hat Sitek Gastsänger geladen. Namhafte, versteht sich. Katrina Ford kennt man bereits von früheren TV-On-Alben. Von der Stammmannschaft schauen die beiden Charismatiker Kyp Malone und Tunde Adebimpe auf ein Ständchen vorbei. Die beiden Stücke würden auf keinem der bisher erschienenen gemeinsamen Alben negativ auffallen. Für Holly Miranda hat Sitek vor ein paar Jahren ein Album produziert, auch sie ist dabei. Der prominenteste Name gehört aber David Byrne. Der Säulenheilige vieler Bands, die in den letzten Jahren aus dem hippen New Yorker Stadtteil Williamsburg kamen, steuert den besten Song bei. Muss man sagen. Es ist zwar fast alles super, sogar die chronisch überschätzte Karen O. von den Yeah Yeah Yeahs fällt positiv auf. Aber für Byrne, den einstigen Chef der Talking Heads, nahm Sitek besonders Maß. Das Ergebnis der Koproduktion heißt Apartment Wrestling und macht mit minimalistischem Gitarrenspiel einen deutlichen Knicks vor den Talking Heads. Der Text ist schräg, die Hörner passen, die Melodie charmiert, Byrne fühlt sich pudelwohl. Dreamteam.

Am Auftrag, 1980er-Mainstream-Pop zu produzieren, scheitert Sitek königlich. In den Fächern Wham! oder Samantha Fox muss er definitiv nachsitzen. Mit Auszeichnung besteht er jedoch die Nischendisziplin. Nur dort ist heute schließlich noch etwas zu holen. Und das ist nicht neu. War doch schon TV On The Radio bei ihrem Auftauchen die Anlehnung etwa an Peter Gabriel deutlich anzuhören. Zwar zitiert Sitek nicht so eindeutig wie etwa das ebenfalls diese Zeit massiv beleihende LCD Soundsystem, aber atmosphärisch denkt Sitek klar in diese Richtung - mit verschiedensten Resultaten: Neben lässig groovenden Stücken mit verhaltenen Zitaten fällt da auch ein Stück Geisterhaus-Musik ab.

Der Produzent Sitek positioniert sich mit diesem Album weit vorn. Die Auftragslage dürfte sich massiv verbessern. Aber die war auch bisher nicht übel - siehe etwa Scarlett Johanssons Debütalbum. Aber Maximum Balloon ist doch eine ganz andere Liga. (Karl Fluch, ALBUM/DER STANDARD - Printausgabe, 17. September 2010)