The Young Gods 2010: zart verwittert, aber super.

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Vom Industrielärm zur Unplugged-Platte ist es ein weiter Weg. The Young Gods sind ihn gegangen. Zu ihrer Entschuldigung muss gesagt werden, dass sie sich Zeit gelassen haben. 23 Jahre hat es gedauert, bevor sie die Stöpsel gezogen haben. Davor haben sie wenig falsch gemacht. Und wenn, ist es im Lärm untergegangen.

2008 erschien dann Knock On Wood. Benannt nach einem Soul-Klassiker von Eddie Floyd, war schon die Cover-Gestaltung wenig ästhetisch bis wunderlich. Ein Holzwürfel mit dem Albumtitel war da zu sehen. Wie eine Wichsvorlage für Heimwerker, Neigungsgruppe Hobler und Schleifer. In der Hülle der Silberling mit Unplugged-Stücken der Schweizer Band, die sich 1985 zusammengetan und nach einem Stück der New Yorker Lärm-Götter Swans benannt hat. Unter den eigenen Stücken im Lagerfeuerkostüm befand sich eine Richie-Havens-Coverversion (Freedom) und - wie zur Versöhnung - Ghost Rider von Suicide.

Trotzdem: Holz- statt Stahlplatte, das war nix. Nicht für Stahlschädel, die diese Exoten ob ihres Umgangs mit Härte verehren; jener Härte, der Sänger Franz Treichler sein Jim-Morrison-Gedächtnis-Pathos angedeihen lässt. Härte meint hier eine aus der Industrial Music bezogene Grund(ver)stimmung, die die Young Gods mit Sampler und Punk-Energie in einen neuen Sound transformierten. Blöderweise waren sie damit ihrer Zeit voraus. Ein paar Jahre später, als Bands wie Nine Inch Nails oder Ministry mit verblüffend ähnlichen Ideen weltberühmt wurden, kam das auch den Ideengebern in der Schweiz zugute. Zu ihren Bekennern und Verehrern zählten David Bowie, der Gitarrist von U2, The Edge, und später Mike Patton, der Treichler für sein Fantômas-Projekt gewinnen wollte. Der hatte aber keine Zeit. Auf Pattons Label Ipecac veröffentlichten The Young Gods aber immerhin zwei Alben. So weit eine kleine Einordnung der Band, die 2010 aus Treichler, Al Comet, Bernhard Trontin und Vincent Hänni besteht. Roli Mosimann von den Swans produziert. In dieser Besetzung ist nun Everybody Knows erschienen - und vergessen ist das Album mit dem Holzwürfel. Fast.

Everybody Knows ist ein Destillat aus verschiedenen Phasen der Bandbiografie. Sogar das Unplugged-Unding steuert etwas bei: Akustische Gitarren, die sich in den Dienst einer mitreißenden Dynamik und Vielschichtigkeit stellen. Das Stück Introducing, bauend auf Percussion und Gitarre, könnte gar das Urteil bezüglich des Unplugged-Exkurses überdenken lassen. Aber das wird nicht so einfach zugelassen. Zumal The Young Gods hier reichlich jenen Stoff bieten, der die Liebe zu ihnen in den dunklen 1980er-Jahren hergestellt hat: Laszive Grooves aus der Knisterkiste, gemein tiefe Bässe, elektronisches Gebraze und Gebruzel, dazwischen harte Riffs und Treichels tief in den Empfängergehörgang produzierter Gesang. Bei all dem gilt - lieber zu wenig als zu viel. Diese Ökonomie gebiert langsam durch die Gassen schleichende Fieslinge wie Blooming oder das wild durchs urbane Labyrinth stürzende No Land's Man gleich danach. Beide zeigen die Young Gods auf der Höhe ihrer Kunst, das Album ist großartig.

In Miles Away kommt es schließlich zur Kernschmelze des Young-Gods-Sounds. Nach einem Intro entwickelt Al Comet an der Elektronik einen Sog aus Basslinien, Rhythmus-Pattern und Schaltkreis-Gebräu. Diesen Sog umschwirrt die akustische Gitarre, und er wächst zu einem acht Minuten langen Manifest, an dessen Ende Gitarrenriffs geifern - ohne dass es auf Kosten der Eleganz ginge.

Die Gesichter der Young Gods mögen nach 25 Jahren an der Front nicht mehr allzu junggöttermäßig wirken, ihr Sound ist es immer noch. (Karl Fluch/ DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2010)