Matthew Dear: Black City (Ghostly International / Hoanzl)

Foto: Ghostly International

Dort ist es immer vier Uhr morgens.

Obwohl zwischen die Schubladen der Pop-Definition kaum mehr eine Etikettierung passt, gelingt es manchen Musikern doch noch, neue Betätigungsfelder für sich zu definieren, deren Name nicht gleich Stigma wird. Noch besser: Für das, was Matthew Dear produziert, gibt es noch gar keinen Namen, weshalb er unter dem schönen alten Begriff Avantgardist durchs öffentliche Leben zieht. Er verdankt seine Nichtfestlegung der Tatsache, dass er Wege zwischen Techno und Pop denkt, die vor ihm kaum jemand beschritten hat.

Dear (31) wuchs in Detroit auf und begann sich unter dem Eindruck des dort produzierten Techno für elektronische Musik zu interessieren. 1999 erschien seine erste Veröffentlichung auf dem von ihm mitgegründeten Label Spectral Sound. Seit damals folgten dutzende Singles, Samplerbeiträge und Remixe für einschlägige Namen wie Hot Chip, Liquid Liquid, The xx oder die Chemical Brothers. Oder - wie passend - Postal Service.

So eine Art Durchbruch gelang ihm mit seinem dritten Album, dem 2007 erschienenen "Asa Breed". Darauf verschmolzen Charakteristika von Minimal Techno mit Pop-Strukturen. Diese Ergebnisse überzog Dear mit einer knusprigen Patina aus verwischten Störgeräuschen und Knuspern wie man es von lebenserfahrenen Vinylschallplatten kennt. Dears trockener (Sprech-)Gesang, der sich nur silbenweise so etwas wie Singen erlaubte, ragte charmant steif wie eine Grußbotschaft an die deutsche Minimalverwandtschaft heraus. Dazu erlaubte er sich Betthupferlmelodien und akustische Gitarren für das Lagerfeuer am Bildschirm - eines der besten Alben seiner Zeit!

Nun legt er mit "Black City" so etwas wie die weitergedachte Version von "Asa Breed" nach. "Black City" ist schräger, abgedrehter. Zwar behält der Produzent und DJ die verwegene Poppigkeit bei, die bei seinen Feldforschungen abfällt, aber wie um sich eingangs erwähnter Schubladisierung zu entziehen, zwingt er sich zum Querdenken. Zwar würde der Hit des Albums, "I Can't Feel", auch auf den Vorgänger passen, dann aber biegt er ab. Verfremdete Texturen verkommen zu Sound-Bits, Schlagzeug und elektronische Beats können sich oft nicht entscheiden, ob sie mit- oder gegeneinander spielen. Dazwischen melancholische Melodien, grantelnde E-Gitarre, dunkle Schönheit, Sitzdisco um vier Uhr morgens und ein Knicks vor New Order. Ein Album des Jahres. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2010)