Privat ganz kuschelig und gemütlich, als Künstlerin eine Kriegerin. Die Britin M. I. A. genießt die Kontroversen um ihre Person. Ihr Album "Maya" ist eben bei XL Records / Edel erschienen.

 

 

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 M. I. A. ist das egal.

Wien - Sirenen heulen! Eine Kettensäge wird beschleunigt! Tribalistisches Gedonner, dazwischen beschwörende Verschwörungsparanoia und Ethno-Beats! Aus Bollywood wird Böllerwut! Automaten einer Spielhalle drehen durch! Kurzschluss! Tilt! Dazu knattern Schusswaffen! Oder sind es doch nur zugespitzte Dancehall-Beats?

Mathangi "Maya" Arulpragasam ist wieder da. Die in England geborene Tochter emigrierter Tamilen aus Sri Lanka veröffentlichte unter ihrem Nom de Guerre M. I. A. eben ihr drittes Album, Maya. Und sie ist sauer. Zwar ist die 34-Jährige reich verheiratet und erst im Vorjahr Mutter geworden, aber die durch die Zustände in der Heimat ihrer Eltern politisch bewegte Musikerin führt einen Mehrfrontenkampf. Kunst als Krieg. Krieg als Kunst.

Aktuell hat sie sich in die Waden der New York Times verbissen. Dort porträtierte sie eine Journalistin als kühle Kalkulatorin und strategisch denkende Pop-Karrieristin, deren Agitation lediglich der Selbstvermarktung diene. Ein Affront für M. I. A. Außerdem empfahl die Times in ihrem Reiseheft Sri Lanka als Urlaubsdestination und pries diverse Luxusresorts an, obwohl das Land von Bürgerkrieg und Korruption zerrüttet ist.

Der Tochter eines Freiheitskämpfers stinkt das gewaltig. Ihre Musik entspricht dann auch dieser Stimmung, erscheint wild und grob gegen den Strich gebürstet zu sein, ist mitunter anstrengend bis enervierend.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Musiker aus der Dritten Welt lediglich mit Folklore eine Chance hatten, in der ersten Welt Gehör zu finden: Schunkelmusik mit Panflöte, einsaitiger Zupfgeige auf Kokosnuss-Rhythmus - vorbei. Die Globalisierung hat längst die Kolonialisierten erreicht. Jetzt wird zurückgeschossen!

Die studierte Film- und Videokünstlerin M. I. A. gilt diesbezüglich als Speerspitze. Doch ihre Gratwanderung zwischen politischer Aufladung und kapitalistischer Vermarktung bleibt heikel bis fragwürdig, der Vorwurf des Radical Chic steht im Raum.

Seit sie mit Ben Bronfman, Erbe einer US-amerikanischen Spirituosen-Dynastie, verheiratet ist und in einem reichen Vorort von Los Angeles lebt, ist dieser nicht leiser geworden. M. I. A. sieht das gelassen. Jede Kontroverse bringe Aufmerksamkeit, die nutze sie für ihr politisches Anliegen, politische Kunst sei ihre Mission.

Aufmerksamkeit erregte sie bereits im Frühjahr mit dem Video zu Born Free. Der Clip zeigt, wie blasse rothaarige Jungs von Einsatzkommandos aus ihren Wohnungen geholt, verprügelt, verschleppt und anschließend auf der Flucht abgeknallt werden. Gedreht hat ihn Romain Gavras. Von ihm stammte das ähnlich kontrovers diskutierte Video zu Stress für das französischen Techno-Duo Justice, in dem Jugendliche Passanten verprügelnd durch die Stadt ziehen. Dass M. I. A. für das gehetzte Born Free ein Stück der New Yorker Techno-Pioniere Suicide samplete und beschleunigte, passt zum Image der kämpferischen Außenseiterin.

Kurze Gefechtspausen

Doch mitunter geht es auf Maya ganz gemütlich zu. It Iz What It Iz ist eine sanft brutzelnde Ballade. It Takes A Muscle To Fall In Love kommt gar als Sunshine-Reggae-Nummer daher. Doch sind diese Stücke nur Atempausen zwischen den Gefechten, die sich M. I. A. in anderen Titeln liefert. Etwa im Track Internet Connection.

Das Netz dient als Nährgebiet ihrer Verschwörungstheorien. Einerseits bietet es Freiheiten, gleichzeitig wird es von Überwachern, dem System, infiltriert. Irgendwie muss man damit klarkommen, muss man da durch. Alles ist mühsam, gefährlich, anstrengend, aber Aufgeben keine Option. Jeder Song ist ein neues Rollenspiel, eine neue Tarnung. Dabei fällt mit XXXO auch ein Stück ab, das aus der Kylie-Britney-Madonna-Manufaktur stammen könnte.

Wie ernst man M. I. A. nimmt, bleibt Geschmacksache. Immerhin ist sie mehr als nur ein weiterer bunter Farbklecks auf der Landkarte des globalen Pop. Dafür ist sie zu kontroversiell und trotz aller Widersprüche prinzipientreu. Dennoch wird sie damit leben müssen, dass ihre Inhalte an großen Teilen des Publikums abprallen, die ihre Bockigkeit bloß als interessante Ausnahme im großen Mahlstrom des Austauschbaren wahrnehmen. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.7.2010)