Belgien mit zeitgemäßem Pop à la Lorde.

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Die Niederlande mit der erfahrenen Sängerin Trijntje Oosterhuis, die zum Glück ihr Outfit wechselte.

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Estland mausert sich immer mehr zu einem Favoriten, nicht nur für das erste Semifinale.

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Serbien bietet den passenden Soundtrack zum Motto "Building Bridges".

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Ungarn schafft das Feeling eines Pfarrheim-Konzerts.

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Polina aus Russland kam als Mittelfeldkandidatin nach Wien und mausert sich zu einer der Mitfavoritinnen.

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Im Pressezentrum sind alle Menschen glücklich. Das Feedback zur Gastgeberrolle Wiens ist überwältigend. Das Fieber und die Freude steigt jetzt umso mehr. Die Entscheidungen fallen in den kommenden Tagen, bis wir am Samstagabend wissen, wer die Trophäe hochhält. Wird es wieder eine Sängerin sein? Oder darf mal ein Mann gewinnen? Oder gar eine Band? Heute werden jedenfalls zehn Beiträge ins Finale am Samstag wandern. Sechs Delegationen werden ihre Heimreise antreten. Wer das ist, darf Österreich ebenso mitentscheiden wie Australien, Frankreich und Spanien. Sechs ehemalige Sowjetstaaten, die immer noch sehr enge kulturelle Bande unterhalten, sprechen sehr für das Weiterkommen nahezu aller dieser Länder.

Im ersten Semifinale erleben wir ein musikalisches Potpourri. Aber gut, das ist ja immer so. Sich heute zu qualifizieren dürfte deutlich leichter werden als am Donnerstag beim zweiten Semifinale, das wesentlich stärkere Beiträge zu bieten hat. Mit Finnland, Belgien, Estland und (neuerdings) Russland sind Beiträge dabei, die immer wieder als Mitfavoriten oder Geheimfavoriten gehandelt werden. Die Journalistinnen und Journalisten haben im Pressezentrum ihre Tipps abgegeben. Wenn es nach diesen geht, gewinnt Estland das Semifinale und Finnland würde rausfliegen. Letzteres glaube ich jedoch nicht.

Eröffnen und begrüßen wird Conchita fulminant und orchestral. Aber man will hier ja auch nicht alles verraten.

1. Moldawien: Eduard Romanyuta – I Want Your Love

Die Uniformen New Yorker Polizisten erinnern an Fetischklamotten, wie man sie in schwulen Lederbars sehen kann. Der Sänger – passenderweise in Leder gekleidet – ist in seiner Heimat durchaus populär. Diese Heimat ist aber nicht Moldawien, sondern die Ukraine. Somit ist das kriegsgebeutelte Land, das dieses Jahr aus naheliegenden Gründen aussetzt, auch irgendwie vertreten. Ein ganz netter Beginn, aber wohl eher kein Winner.

Chancen fürs Finale: Die vielen ehemaligen Sowjetstaaten in diesem Semifinale sprechen fürs Weiterkommen, aber die Republik Moldau wird von diesen am meisten zittern müssen.

2. Armenien: Genealogy – Face the Shadow

Zuerst hieß der Song "Don’t Deny" und möchte an den Völkermord 1915/16 an den Armeniern seitens der Osmanen erinnern. Sechs Sänger und Sängerinnen mit armenischen Wurzeln aus allen Kontinenten sowie ein originär armenischer Sänger formen die Band, die extra für den ESC gegründet wurde. Der Song ist eher unrund und die Stimmen klangen bei den Proben irritierend dissonant.

Chancen fürs Finale: Viele ehemalige Sowjetstaaten in diesem Semifinale sprechen eher fürs Weiterkommen.

3. Belgien: Loïc Nottet – Rhythm Inside

Wer Lorde und den Song "Royals" mochte, wird das auch mögen, erinnert "Rhythm Inside" doch sehr an diesen Hit aus dem Vorjahr. Der 19-jährige Sänger wird in einem starken schwarzweiß-Kontrast inszeniert. Bei den Proben setzten manche eine Sonnenbrille auf. Sehr zeitgemäßer Pop, was Belgien uns dieses Jahr liefert. Mir gefällt das sehr gut!

Chancen fürs Finale: weiter

4. Niederlande: Trijntje Oosterhuis – Walk Along

In den Niederlanden ist die 42-jährige Sängerin seit Jahren ein Superstar. Das Lied wurde von Anouk (2013) komponiert. Hauptthema seit der ersten Probe war Trijntjes Kleid mit enormem Ausschnitt, das in sozialen Medien und niederländischen Medien vernichtend kritisiert wurde. Deshalb wechselte sie ihr Outfit. Der Song ist eingängig, hat ein bisschen zu viele "ei-ei-ei’s" und wird es eher schwer haben.

Chancen fürs Finale: Oranje wird nach zwei erfolgreichen Jahren zittern müssen.

5. Finnland: Pertti Kurikan Nimipäivät – Aina mun pitää

Finnland kann dieses Jahr alles schaffen: Den Sieg oder den letzten Platz, denn freilich ist eine Band, die aus Punk-Rockern mit Downsyndrom besteht, völlig unberechenbar. Werden sie massenweise solidarische Stimmen bekommen? Oder wird es doch eher als schöne Geste empfunden werden, aber man ruft dann doch lieber für einen beliebteren Song an? Und wie werden die Jurys das bewerten? Jedenfalls sind sie authentisch, echt und ein wunderbares Statement für selbstbestimmtes Leben. Der Song ist übrigens mit 1:28 Minuten der kürzeste Beitrag, der je beim Song Contest zu hören gewesen ist.

Chancen fürs Finale: Ich gehe von einem Weiterkommen aus.

6. Griechenland: Maria Elena Kyriakou – One Last Breath

Alte Song-Contest-Weisheit: Griechenland kommt immer ins Finale. 2015 stellen die Hellenen diese Weisheit allerdings enorm auf die Probe, denn "One Last Breath" ist eine Allerweltspowerballade, die man schon hundert mal gehört hat, allerdings in deutlich besseren Versionen. Man denke etwa an Anna Vissi mit "Everything" 2006. Weder der Song noch die Gesten konnten bisher irgendwie berühren und lassen recht kalt. Vielleicht geht ja heute Abend doch noch ein Knopf auf, aber ich gehe eher nicht davon aus.

Chancen fürs Finale: Selten aber doch eine Zitterpartie für Griechenland.

7. Estland: Elina Borg & Stig Rästa – Goodbye to Yesterday

Nein, es sind nicht Lee Hazlewood und Nancy Sinatra auf der Bühne, aber der Beitrag Estlands erinnert sehr an das legendäre Duo. Bei den ersten Proben waren wir alle sehr enttäuscht, wie sie das bei den Fans sehr beliebte Lied mau interpretierten. Doch sie steigerten sich enorm. Die eingängige Melodie ist auf jeden Fall ein Hit. Das größte Risiko sind die Stimmen, die in den Proben eine wahre Achterbahnfahrt hinlegten – das eine Mal fulminant, das nächste Mal total daneben. Ich glaube aber nach wie vor, dass dieser Song das Zeug hat, am Samstag das Finale gewinnen zu können.

Chancen fürs Finale: weiter

8. Mazedonien: Daniel Kajmakoski – Autumn Leaves

Der einstige "Starmania"-Kandidat aus Wien startet für sein Geburtsland. Bei den Votings im Pressezentrum liegt dieser Beitrag auf dem letzen Platz. Die Inszenierung ist tatsächlich etwas misslungen, weil man sich ständig fragt, was die Renaissance-Architektur im Hintergrund nun in einem R&B-Song eigentlich bedeuten soll. Daniel ist ein unglaublich sympathischer Künstler, aber ich fürchte, dass wir ihn heute zum letzten Mal sehen werden.

Chancen fürs Finale: raus

9. Serbien: Bojana Stamenov – Beauty Never Lies

Serbien schickt inhaltlich die Hymne zum "Building Bridges"-Contest. Die Botschaft setzt fort, was Conchita 2014 begann, und feiert Vielfalt und Schönheit jedes Menschen. Bojana rockt mit ihrer kraftvollen Stimme und ihrer großartigen Bühnenpräsenz die Bühne ganz ordentlich. Nach den eher ruhigeren Klängen zuvor freut man sich richtig über die Dancefloor-Rhythmen. Enorm sympathischer Beitrag.

Chancen fürs Finale: weiter

10. Ungarn: Boggie – Wars For Nothing

Ja, Kriege sind blöd und mögen wir alle nicht gerne. Das singt Boggie und man glaubt, in einem Pfarrheim am Lande einem kleinen Konzert beizuwohnen. Akustische Songs kamen aber beim Song Contest oft gut an, daher kann ich diesen Beitrag nur schwer einschätzen. So eine Art "Ein bisschen Frieden" für das Jahr 2015.

Chancen fürs Finale: raus

11. Weißrussland: Uzari & Maimuna – Time

Uptempo aus Weißrussland, eine Violine und ein Sänger mit einstudierten Gesten, die nicht besonders authentisch wirken. Pop aus Osteuropa, wie man ihn sehr, sehr oft und viel beim Contest gehört hat. Mag aber sein, dass ich ungerecht bin, denn bei den Proben kam das im Publikum gar nicht schlecht an.

Chancen fürs Finale: Viele ehemalige Sowjetstaaten in diesem Semifinale sprechen eher fürs Weiterkommen.

12. Russland: Polina Gagarina – A Million Voices

Was ich der russischen Sängerin am meisten gönne, sind ausbleibende Buh-Rufe, denn Polina ist so wenig für Putin verantwortlich wie Conchita für Faymann. Der russische Beitrag liefert allen, die Pathos mögen, was das Herz begeht: Hübsche Sängerin, eingängige Melodie, schöne Stimme, großartige LED-Effekte. Das wird vielen sehr gut gefallen und mausert sich in der Halle unter Kennern und Kennerinnen langsam zu einem Mitfavoriten.

Chancen fürs Finale: Eine Bank

13. Dänemark: Anti Social Media – The Way You Are

Dänemark blieb 2007 das letzte Mal im Semifinale hängen, damals übrigens mit einer Dragqueen. Das könnte 2015 wieder passieren, denn "Anti Social Media", die übrigens eine Facebook-Seite haben, liefern recht belanglosen Retro-Pop, der irgendwie nicht so recht zünden mag. 1987 wäre das vielleicht ein Favorit gewesen.

Chancen fürs Finale: eher raus

14. Albanien: Elhaida Dani – I’m Alive

Bei den ersten Proben kreischte die albanische Sängerin etwas, das hat sich dann aber deutlich verbessert, jetzt singt sie das richtig gut und etwas gelassener. Der Song ist allerdings ein Allerweltslied, das man drei Minuten hört und dann auch gleich wieder vergessen hat. Die denkbar ungünstigsten Voraussetzungen für den Song Contest.

Chancen fürs Finale: Zitterpartie

15. Rumänien: Voltaj – De la capăt / All Over Again

Die Gruppe Voltaj formierte sich bereits, als viele der diesjährigen Teilnehmer noch gar nicht geboren waren. Seit 1982 musizieren sie schon zusammen, auch wenn der erste Tonträger erst 1996 erschien. Voltaj hat den sozialsten Song des Jahres, handelt er doch von rumänischen Kindern, die aufgrund der Arbeitsmigration zu Hause bleiben müssen. Man glaubt jedes Wort, das da zweisprachig gesungen wird.

Chancen fürs Finale: weiter

16. Georgien: Nina Sublatti – Warrior

Ein feministisches Statement für die Selbstbestimmung der Frau in der georgischen Gesellschaft ist eine recht starke Ansage, zumal wenn der Song "Warrior" heißt und auch dementsprechend vorgetragen wird. Ganz alleine steht sie auf der Bühne und die – bei den Proben recht schlecht singenden – Background-Sängerinnen bleiben unsichtbar. Galt vor den Proben als Geheimfavoritin, konnte aber dann nicht so wirklich überzeugen.

Chancen fürs Finale: Viele ehemalige Sowjetstaaten in diesem Semifinale sprechen eher fürs Weiterkommen. (Marco Schreuder, 19.5.2015)