Mit der Zentralmaturawoche ist auch die große Anspannung vorbei. Doch der Ärger über so manches Posting ist noch nicht verflogen.

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"Am Abschneiden der Schüler sind nicht diejenigen Schuld, die prüfen, sondern diejenigen, die die Leistung nicht bringen – die Schüler." – Dieser, bis auf das Ausbessern der zahlreichen Rechtschreibfehler wörtlich übernommene Kommentar ist nur einer von vielen, die auf das erste Medienecho zur Mathe-Matura folgten. Sätze wie "Was war das für ein unbrauchbarer Unterricht?" oder "Wenn die halbe Klasse während das Unterrichts immer mit dem Smartphone spielt, darf man sich nicht wundern", sind bei Onlinezeitungen wie STANDARD, "Presse" und "Krone" schnell geschrieben, anonym natürlich, und oft mit zahlreichen Daumen nach oben versehen.

Vielleicht ist den Verfassern dieser Kommentare gar nicht bewusst, dass ihre Beleidigungen weh tun. Ich selbst bin Maturantin und habe dieses Jahr über ebendiesen Aufgaben geschwitzt, die jetzt von vielen als "geschenkt" abgetan werden. Aus meiner Sicht war diese Matura alles andere als geschenkt. Bereits nach dem ersten Teil gab es Tränen, und über den zweiten Teil wurde aus lauter Verzweiflung und Verwirrung meist nur noch gelacht. Ich möchte mich daher gegen einige Anschuldigungen rechtfertigen und so vielleicht den einen oder anderen Poster dazu bewegen, genau darüber nachzudenken, ob ein bösartiger Kommentar angebracht ist.

"Also ich hatte beim Lösen der Aufgaben keine Probleme." – Es mag schon sein, dass einem die diesjährige Matura beim schnellen Überfliegen leicht vorkommt. Da sind schließlich nur ein paar Kästchen, die angekreuzt werden müssen, und ein paar Sätze zu schreiben. Allerdings bezweifle ich, dass sich die Mehrheit der Kritiker wirklich ernsthaft mit den Aufgaben auseinandergesetzt hat, bei denen die größte Herausforderung oft die Entzifferung der Aufgabenstellung war. Auch bin ich nicht sicher, ob sich die meisten der Benotungsmoral des Bifie bewusst sind. Es gilt: Alles oder nichts! Ein Kreuzchen falsch gesetzt, und die Aufgabe ist als falsch zu benoten, schließlich hat man die jeweilige Kompetenz nicht erfüllt.

"Es ist einfach das Niveau der Schüler so gesunken, insbesondere ihre Lern- und Denkbereitschaft." – Zu dieser Anschuldigung habe ich zwei Punkte anzubringen. Erstens: Ist die junge Generation nicht immer die respektlose, die dumme, die, die aus lauter Faulheit keine Perspektiven hat? Ich empfinde es als ungerecht, einen ganzen Jahrgang, ja, eine ganze Generation rein deswegen zu beleidigen, weil sie jung und vielleicht anders ist. Manchmal hat man ja das Gefühl, jung zu sein ist ein Verbrechen. In jeder Generation gibt es solche, die lernen, und solche, die es nicht tun, das war wohl schon immer so, und wird sich nicht ändern.

Zweitens: Selbst wenn die Lern- und "Denk"-Bereitschaft noch so vorhanden ist, es wird immer schwieriger und sinnloser, für Mathematik zu üben oder zu lernen. Rechnerische Fähigkeiten werden so gut wie gar nicht mehr geprüft, es geht meist nur noch um Logik – und das ist etwas, was man kaum üben kann.

Ganz abgesehen davon scheint es wenig einleuchtend, dass alle diesjährigen Maturanten im Gegensatz zum Jahrgang 2015 schlagartig "dümmer" geworden sind. Daher muss es wohl oder übel doch an den Aufgaben liegen.

"Krank, dieses Schulsystem, mit dieser unglaublich falschen Toleranz den Schülern gegenüber und der eingelernten Respektlosigkeit der Schüler den Lehrkräften gegenüber." – Klar, dass auch die Lehrer nicht ungeschoren davonkommen. Denn schließlich sei der Zweck der Zentralmatura vor allem ein "Prüfen der Lehrer"! Dazu kann ich nur sagen: Unsere Lehrer wurden, was die Bildungsreform angeht, genau wie wir Schüler ins kalte Wasser geworfen. Sie tun ihr Bestes, um ihren Unterricht an die raschen Veränderungen anzupassen, was oft nicht einfach ist, wenn einerseits neue Regelungen im Wochentakt auftauchen und andererseits die Schulbücher noch immer nicht auf dem neuesten Stand sind.

Was die Respektlosigkeit und falsche Toleranz angeht, wage ich zu behaupten, dass es sich hier um bloße Unwissenheit handelt. Ich persönlich schätze das momentane Schüler-Lehrer-Verhältnis, wenn ich es mit Erzählungen meiner Eltern und Großeltern vergleiche, als so gut wie noch nie ein. Freche Schüler oder zu entgegenkommende Lehrer sind mit Sicherheit nicht der Grund für die schlechten Ergebnisse.

Der Zweck dieses offenen Briefes ist nicht, gegen die Bildungsreformen und die neuen Systeme zu wettern, sondern eine Verteidigung gegenüber einer Kritik, die man bereits lesen musste und die es in den nächsten Wochen wahrscheinlich noch zur Genüge geben wird. Und vielleicht, man darf ja hoffen, eine Aufklärung mancher Leser und Poster. Zuletzt der Wunsch, dass diese sich in Zukunft einen zynischen Kommentar wie "Aber zum Summersplash dürfen sie schon fahren?" noch einmal durch den Kopf gehen lassen, ehe sie ihn veröffentlichen – und vielleicht sogar verwerfen. (Camilla Geißelbrecht, 23.5.2016)