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Silvio Berlusconis Mitte-rechts-Bündnis holt in Umfragen auf.

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Pier Luigi Bersanis Mitte-links-Bündnis führt dennoch mit einem relativ komfortablen Vorsprung.

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Mario Montis Zentrumsblock könnte für eine Koalition benötigt werden.

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Günther Pallaver: "Es kann diesmal sein, dass Bersanis Bündnis mit 32 oder 33 Prozent die Regierung stellen wird."

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Am Freitag wird in Italien die heiße Phase eingeläutet. Dann nämlich beginnt der offizielle Wahlkampf für die Parlamentswahl am 24. und 25. Februar. Welche Themen den nächsten Monat dominieren werden, wieso von Silvio Berlusconi nicht mehr so viel zu sehen sein wird und welches Szenario zu Neuwahlen führen kann, erklärt der Südtiroler Politologe Günther Pallaver im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Die liberale Tageszeitung "La Stampa" hält einen Sieg von Silvio Berlusconis Mitte-rechts-Bündnis für unwahrscheinlich, aber nicht mehr für unmöglich. Wie sehen Sie seine Chancen?

Pallaver: Berlusconi geht davon aus, dass er noch weitere Stimmen dazugewinnen wird. Die Frage ist, ob er tatsächlich noch an die ungefähr 35 Prozent des Mitte-links-Lagers herankommt. Ich halte es für unwahrscheinlich.

Sein primäres Ziel ist aber sowieso, eine Pattsituation herbeizuführen. In Italien gibt es ja ein perfektes Zwei-Kammern-System, das heißt, Gesetze müssen im gleichen Wortlaut die Abgeordnetenkammer und den Senat passieren. Und wie schon bei der Regierung Prodi I von 1996 bis 1998 will sich Berlusconi die Mehrheit im Senat holen, um damit seine Politik mitbetreiben zu können. Das ist nicht ausgeschlossen.

derStandard.at: Zeitweise lag Berlusconis Bündnis unter 15 Prozent, nun sind es laut jüngsten Umfragen wieder 27,2 Prozent. Woran liegt das?

Pallaver: Der Wahlkampf und in der Folge das Ergebnis werden vor allem vom Diskurs über Steuern bestimmt. Jetzt muss man bedenken, dass rund 14 Prozent der Italiener unter der Armutsgrenze leben, das sind etwa acht Millionen Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 34 und bei Frauen sogar bei 48 Prozent.

In diesem Diskurs konzentriert sich der ganze Unmut jetzt auf eine Vermögenssteuer, die unter der Regierung Monti eingeführt wurde. Berlusconi tingelt durchs Land und beschuldigt dabei permanent Monti, unter anderem mit dieser Steuer das Land an den Rand des Ruins getrieben und den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen zu haben.

derStandard.at: Die Vermögenssteuer wurde aber bereits unter Berlusconi beschlossen. Und die Regierung Monti hat er später in diesem Vorhaben unterstützt.

Pallaver: Aber im öffentlichen Diskurs wird diese Steuer allein Monti zugeschrieben. Es dominiert das kurzfristige Denken, dass es den Menschen einfach schlechter geht als vor ein paar Jahren. Wer tatsächlich die Verantwortung dafür trägt, so weit wird nicht gedacht.

derStandard.at: Ist das der einzige Grund für Berlusconis Umfragenaufschwung?

Pallaver: Nein. Es gab in den letzten Jahren eine Unmenge an politischen Skandalen, auf regionaler und auf nationaler Ebene. Aber im Wahlkampf ist das bisher überhaupt kein Thema. Als würden sie gar nicht existieren. Daher fallen Berlusconis Skandale nicht mehr so schwer ins Gewicht.

derStandard.at: Woran liegt das? Haben sich die Italiener vielleicht schon daran gewöhnt?

Pallaver: Die Politikverdrossenheit ist in der Bevölkerung sehr groß, im Index liegt das Vertrauen in die Parteien und in das Parlament bei rund sechs Prozent. So schlimm war es noch nie. Und es herrscht in der Bevölkerung einfach die Meinung vor: "Es sind eh alle gleich."

derStandard.at: Was beschäftigt die Italiener im Wahlkampf neben den Steuern noch?

Pallaver: In den letzten Tagen wurden die Kandidatenlisten der Parteien präsentiert. Berlusconi hat alte Weggefährten aussortiert, bei denen Gerichtsverfahren anhängig sind. Das hat für einigen Unmut gesorgt. In der Partei, weil niemand erfreut ist, wenn er von der Liste gestrichen wird. Und in der Bevölkerung, weil Mitte-links-Parteien wie der Partito Democratico Urwahlen durchgeführt haben. Hier aber hat nur Berlusconi bestimmt.

derStandard.at: Prinzipiell ist das ja positiv, wenn er vorbelastete Kandidaten streicht.

Pallaver: Es gibt immer noch genug Kandidaten auf der Liste, die in Prozesse verwickelt sind. Abgesehen davon hat Berlusconi diese Leute nur gestrichen, weil er auf Umfrageergebnisse geschaut hat. Und denen zufolge hätte es seiner Partei bei der Wahl geschadet, wenn gewisse Personen angetreten wären.

derStandard.at: Bei den Urwahlen gab es vor allem beim PD eine große Beteiligung, rund drei Millionen Menschen haben abgestimmt. Ein gutes Mittel gegen die Politikverdrossenheit?

Pallaver: Auf jeden Fall. Das war wichtig für die Mobilisierung, aber auch für die Sympathiewerte der Kandidaten. Und diese Urwahl ist auch ein Grund für den Vorsprung des PD in den Umfragen.

Spannend wird es noch, wenn Matteo Renzi für den PD in den Wahlkampf steigen wird. Er hat ja die Urwahl um die Spitzenkandidatur gegen Pier Luigi Bersani verloren. Der PD hofft nun, mit dem jungen Bürgermeister von Florenz noch die Unentschlossenen und die verschnupften Wähler des Mitte-rechts-Lagers für sich zu gewinnen.

Das Problem des PD ist nun die Liste Monti. Die nehmen, wenn überhaupt, nur Stimmen von links weg. Von rechts werden sie nichts bekommen.

derStandard.at: Es gab Gerüchte über einen Pakt zwischen dem PD und der Liste Monti. Die wurden aber sofort dementiert.

Pallaver: Kann sein, dass es Gespräche gab. Sollte Bersani nach der Wahl keine Mehrheit im Senat haben, wird er sicher zu einer Koalition bereit sein. Umgekehrt wird auch Monti dazu bereit sein, er wird sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Konsequenzen wären nämlich wieder Neuwahlen, und die Märkte würden dementsprechend reagieren.

derStandard.at: Welche möglichen Szenarien gibt es nach der Wahl?

Pallaver: Szenario eins: Das Mitte-links-Bündnis bekommt die Mehrheit in beiden Kammern.

Szenario zwei: Das Mitte-links-Bündnis erhält die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer, verfehlt sie aber im Senat. Dann kann es zu einer Koalition mit der Liste Monti kommen.

Und das Worst-Case-Szenario: Berlusconis Bündnis wird der Mehrheitsplayer im Senat. Eine Große Koalition ist dann sehr unwahrscheinlich, daher wird es vermutlich zu Neuwahlen kommen.

derStandard.at: Welche Themen könnten noch den Wahlkampf bestimmen?

Pallaver: Die EU, weil es im Mitte-rechts-Bündnis keine eindeutige Pro-EU-Haltung gibt. Berlusconi selbst ist ja sehr EU-skeptisch, er hat zum Beispiel auch schon verlangt, zur Lira zurückzukehren. Und dann gibt es ja noch den Bündnispartner Lega Nord, der die EU seit eh und je ablehnt. Daher ist es leicht möglich, dass die Union noch ein größeres Thema wird.

Und dann gibt es noch Themen, die seit Jahren diskutiert werden: eine Justizreform, eine Reform des Parlaments, etwa bei der Anzahl der Abgeordneten und ihrer Bezahlung. Das alles könnte im Wahlkampf wieder auftauchen.

derStandard.at: Das 2005 eingeführte Wahlrecht gilt als sehr umstritten. Jeder sagt, dass er es abschaffen will. Geschehen ist das aber noch nicht.

Pallaver: Berlusconi hat das Wahlrecht eingeführt, um in der Wahl wenig später wenigstens im Senat zu dominieren. Und so ist es ja auch gekommen. Tatsache ist, dass Berlusconis Partei mehr und andere Parteien etwas weniger an diesem Wahlrecht interessiert sind, weil man durch die Mehrheitsprämie regieren kann, auch wenn man von der Stimmenanzahl her weit von der absoluten Mehrheit entfernt ist. Es kann diesmal sein, dass Bersanis Bündnis mit 32 oder 33 Prozent die Regierung stellen wird.

Der große Kritikpunkt sind die blockierten Wahllisten. Die Wähler haben keine Chance, für einen bestimmten Kandidaten zu stimmen, sondern nur für Listen. Bersani hat das mit der Urwahl etwas aufgefangen. Trotzdem wird die Kritik daran immer lauter. Und wenn es zu einer Regierung mit einer stabilen Mehrheit kommt, wird auch das Wahlrecht geändert werden. Das ist eine Vorgabe des Staatspräsidenten.

derStandard.at: Was erwarten Sie sich vom kommenden Wahlkampf-Monat?

Pallaver: Weniger Berlusconi im Fernsehen. Im letzten Monat gilt das Prinzip der Par Conditio, der Waffengleichheit. Fernsehen und Radio müssen ausgewogen über alle Parteien und Kandidaten berichten.

Berlusconi hält sich zwar nicht immer daran, und dafür musste er auch schon mehrmals Strafen zahlen, die sind allerdings läppisch. Trotzdem wird er sicher nicht mehr so oft zu sehen sein wie in den letzten Wochen. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 24.1.2013)