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"Fluctuat nec mergitur" steht an der Hauswand. "Sie schwankt, aber geht nicht unter" ist der Wappenspruch der Stadt Paris.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Die Bevölkerung hat ein Recht auf Schutz vor dem Terror. Genauso hat sie ein Recht auf die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten, auf demokratische Freiheiten. "They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety", wird Benjamin Franklin zitiert. Wieder einmal führt uns ein Terroranschlag vor Augen, wie schwierig der Balanceakt zwischen Sicherheit und Freiheit sein kann.

Polen will keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Das ändert nicht viel, denn auch bislang hat das Land fast niemanden aufgenommen. Beschlossene Verträge wurden somit einseitig gekündigt, denn Polen beispielsweise hatte sich erst kürzlich bereiterklärt, an der Verteilung von Flüchtlingen nach EU-Quoten mitzuwirken. Das gelte jetzt nicht mehr, so der designierte Europaminister Konrad Szymański. Außer: Man bekäme "Sicherheitsgarantien". Von wem, bitte?

Bürgerrechte umsetzen, nicht infrage stellen

Und auch im Inland sind die rechten Herrschaften schon eifrig daran, den Rechtsstaat infrage zu stellen. Dass Herr Strache auf Facebook daran Gefallen findet, wenn die Bundesregierung gesteinigt würde – geschenkt. Es geht aber – wenig überraschend – tief in die ÖVP hinein. Deren Klubobmann Reinhold Lopatka entblödet sich nicht, die FPÖ vorauseilend rechts zu überholen, und twittert: "Leider schränkt der notwendige Kampf gegen den Terror auch unsere Bürgerrechte ein." Nur so könne man bei uns Tote verhindern.

Herr Lopatka: Die Methoden aus den Jahren 1933/34 haben Österreich schnurstracks in den Nationalsozialismus geführt. Versuchen Sie doch zuerst einmal, den Rechtsstaat zur Anwendung zu bringen! Immerhin stellt Ihre Partei die Innenministerin. Und wie wäre es, wenn die ÖVP die Förderung des als "Dialogzentrum" getarnten "Wahhabitischen Zentrums" in Wien einstellen würde? Saudi-Arabien gilt als einer jener Staaten, aus denen die meisten Terroristen stammen, als ein Staat, in dem schon mal der Großmufti zur Zerstörung christlicher Kirchen aufruft, wo Menschen ausgepeitscht werden, man Hände abhackt und der Abfall vom "richtigen" Glauben mit der Todesstrafe bedroht ist. Kann es hier wirklich einen "Dialog" geben? Und falls ja, worüber? Etwa darüber, dass ein bisschen weniger ausgepeitscht und hingerichtet wird?

Unser Wertesystem ist nicht verhandelbar

Nein, Herr Lopatka, unsere österreichische Antwort auf den Terror darf nicht die Einschränkung der Bürgerrechte sein, sondern deren konsequente Umsetzung. Zu unserem Wertesystem gehören Demokratie, Pluralität, Offenheit und Toleranz. Nichts davon ist verhandelbar.

Der aus Österreich stammende Philosoph Karl Popper wollte mit seinem Konzept der "Offenen Gesellschaft" "die kritischen Fähigkeiten des Menschen" freisetzen. Die Gewalt des Staates müsse so weit wie möglich geteilt werden, um Machtmissbrauch zu verhindern. Die subtilsten Gegner sind jene, die vorgeben, der Abbau von Bürgerrechten sei notwendig, um diese zu schützen. Die Herren Lopatka, Strache, Orbán und Szymański arbeiten genau daran. Der Kampf um Bürgerrechte hat lange gedauert. Deren schrittweise Aufgabe wäre ein sukzessiver Rückfall in den autoritären Staat. Metternich hätte daran seine Freude.

Ich halte es da lieber mit dem norwegischen Premierminister Jens Stoltenberg, der nach den schrecklichen Anschlägen in Oslo und auf Utøya klare Worte gefunden hat: "Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören." Norwegen werde nicht aufhören, zu seinen Werten zu stehen.

Das wäre was gewesen, wenn wir aus Österreich jetzt Ähnliches gehört hätten! (Harald Walser, 18.11.2015)