Ein Wahlplakat Van der Bellens im Wahlkampf. Nun geht es darum, Gemeinsamkeiten mit der jeweils anderen Wählerschaft zu finden.

foto: verein "gemeinsam für van der bellen"

50,3 Prozent zu 49,7 Prozent. So lautet das vorläufige Endergebnis. Einen überzeugenden Vorsprung hat der neue Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht herausholen können. Das Land scheint tief gespalten. Und das, nachdem Lesern in den vergangenen Wochen tagtäglich in allen Medien Begriffe eingehämmert wurden wie "Richtungsentscheidung", "Schicksalswahl", "extreme Polarisierung", "unterschiedlicher können Kandidaten nicht sein", "Gut gegen Böse", "Österreich am Scheideweg" und ähnlich "spaltende" Formulierungen.

Wenn man die Kandidaten Van der Bellen und Norbert Hofer betrachtet, sind diese tatsächlich sehr unterschiedlich, haben eine vollkommen andere Weltanschauung und würden wohl auch politisch sehr verschieden agieren. Kann man das aber auch über die Wähler sagen?

Künstliche Spaltung

Auf den ersten Blick scheint es so: Akademiker und Arbeiter wählen extrem unterschiedlich, ebenso die Stadt- beziehungsweise Landbevölkerung wie auch Männer und Frauen. Wie kann man da nicht von einer extremen Spaltung der Gesellschaft reden? Ja, es gibt diese scheinbare Spaltung. Aber sie ist eben nur scheinbar.

Die Österreicher erkennen zum Großteil genau dieselben Probleme und wollen ähnliche Lösungen. Mehr Arbeitsplätze müssen geschaffen werden, man findet, dass die EU vor allem in letzter Zeit versagt hat, will mehr Mitspracherecht bei großen Entscheidungen, ist gegen zu viel Einfluss der Großkonzerne, man erkennt die Probleme mit Integration, praktisch alle Wähler sind gegen unkontrollierte Einwanderung, sind für härtere Gesetze bei straffälligen Asylwerbern, halten es für wichtig, dass Eingewanderte schnell Deutsch lernen, sorgen sich um Frauenrechte et cetera. Wenn die Österreich im Grunde also viel ähnlicher denken, als suggeriert wird, warum wird dann diese künstliche Spaltung des Landes herbeigeredet?

Realität und Boulevard

Boulevardmedien haben diesen Konflikt maßgeblich geschürt und aufgestachelt, aber natürlich auch die Kandidaten beziehungsweise ihre Berater selbst. Man hat in Kauf genommen, ein Land zu spalten, obwohl die Gesellschaft gar nicht so unterschiedliche Ansichten und Wünsche hat.

Wie ist es sonst zu erklären, dass manche Zeitungen von "No-go-Areas" und "Krieg" in Wien rund um die U6, Brunnenmarkt und Praterstern berichten und dabei einen angeblich für vollkommen offene Grenzen werbenden Van der Bellen angreifen, während die Anrainer der betroffenen Sprengel diesen aber mit überwältigender Mehrheit wählen?

Gemeinsamkeiten finden

Ein bisschen Unaufgeregtheit täte also uns allen gut. Es sollte eher eine Diskussion geben, warum der Boulevard noch immer durch lukrative Werbeinserate der Parteien so einen großen Einfluss auf die Tagespolitik haben kann.

Wir müssen uns von den Feindbildern der jeweils anderen Wählerschaft loslösen und endlich damit anfangen, Gemeinsamkeiten zu finden. Davon gibt es nämlich viel mehr, als wir denken. Nur so können wir gemeinsam die Probleme der Zukunft angehen. Hoffentlich wird Van der Bellen alles daran setzen, der Bevölkerung zu zeigen, dass uns mehr verbindet als trennt. (Florian Temme-Boberski, 24.5.2016)