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Ich weiß aus den Nachrichten, was ihn in Traiskirchen erwartet. Aber was soll ich machen?

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Ein Vater mit zwei kleinen Buben setzt sich gegenüber von mir. Erster Eindruck: Der raucht zu viel. Ich fühle mich gestört. Nach ein paar Minuten schaue ich ihm direkt ins Gesicht, nachdem er in einer arabisch klingenden Sprache telefoniert hat. Er sieht müde, verzweifelt, ausgebrannt aus. Dann fällt mir auf, dass alle drei sehr schmutzig sind, und der Geruch wohl eher von längerem Verzicht auf eine Dusche stammt als von Zigaretten. Die Kinder schlafen ein.

Das Kind, das auf dem Gang sitzt, droht vom Sitz zu rutschen. Ich nehme meinen Rucksack auf den Schoß und deute dem Mann, dass er sein Kind neben mich setzen soll. Er bedankt sich wortlos und zieht seinen Sohn näher zu sich, damit er nicht runterfällt. Langsam wird mir klar, dass das Flüchtlinge sind.

Wir kommen ins Gespräch

Durch meine minimale, freundliche Geste fasst der Mann Mut und fragt mich auf Englisch, wie weit es noch bis Wien ist. Wir kommen ins Gespräch. Er hatte in Syrien eine Autowerkstatt, bis eine Bombe einschlug. Nach zwei Jahren gibt die Familie auf, in der zerstörten Stadt kann man kein Leben mehr führen.

Wir weinen

Die Mutter kam voraus nach Österreich, sie wohnt seit sechs Monaten in Linz. Der Mann mit den Kindern hat zehn Monate in Griechenland gelebt, weil er nicht weitergekommen ist, und hat sich dann – großteils zu Fuß – über Mazedonien, Serbien, Ungarn nach Österreich durchgeschlagen. Mit zwei kleinen Buben. Die vergangenen zwei Tage haben sie so gut wie nicht geschlafen. Der letzte Kontakt mit der Ehefrau und Mutter fand vor mehr als einer Woche statt. Ich lasse ihn auf meinem Handy mit seiner Frau telefonieren und höre, wie sie schreit und lacht und weint und wieder schreit. Der Mann weint. Ich auch.

Hilflos und glücklich

Wien, Rennweg. Ich steige mit der Familie aus. Die Buben werden aus dem Schlaf der totalen Erschöpfung gerissen. Ich zeige ihnen den Weg zum Hauptbahnhof, der Mann will – muss – nach Traiskirchen. Ich weiß aus den Nachrichten, was ihm bevorsteht. Aber was soll ich machen? Mir wird klar: Ich kann gar nichts machen. Offenbar hat er zumindest genug Geld, um sich durchzuschlagen, und die Aussicht, bald von seiner Frau abgeholt zu werden. Das haben wahrscheinlich die wenigsten.

Ich fühle mich hilflos, als wir uns verabschieden, aber sein Gesichtsausdruck macht mich glücklich. Als ich zurück zum Zug gehe, fallen mir die "echten" Österreicher – oder auch Deutschen – ein, die diese Leute am liebsten ... eh scho wissen.

Dieser zuvor auf Facebook erschienene Text wurde für meine Verhältnisse schon oft geteilt. Ich habe viel positives Feedback von gänzlich Unbekannten bekommen. Das freut mich natürlich, aber gleichzeitig denke ich mir: Was habe ich schon groß gemacht? Ich habe einen Mann mit seiner Frau telefonieren lassen, was mich nichts gekostet hat, und ich habe ihm den Weg gezeigt. Und ich denke mir: Diese Leute, die "Ausländer raus" schreien, würden das Gleiche tun, wenn die Situation gerade passt. Der Unterschied ist scheinbar nur die "namenlose Masse" und die konkrete, reale Person.

Keine "Guten" in diesem Krieg

Der Mann erzählte noch mehr. Er hätte in der Armee dienen sollen, aber in seinem Land kämpfe "Böse gegen Böse". Es gäbe keine "Guten" in diesem Krieg. Und er erzählte von den unglaublich hilfsbereiten Griechen. Und davon, dass zwei Tage lang niemand mit dem Auto stehengeblieben ist – ein Mann mit zwei kleinen Buben unterwegs –, bis ihn eine Frau mitgenommen habe.

Zum Abschied sagt ich zu ihm "Good luck ... and welcome to Austria!". Mir ist nichts Gescheitertes eingefallen. Zuerst dachte ich mir, "etwas Kitschigeres ist dir nicht eingefallen". Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich eigentlich nichts Wichtigeres hätte sagen können. (Robert Ressler, 28.7.2015)

Update, 30. Juli: Die Familie ist mittlerweile wieder vereint.