Lang hat es gedauert, bis das Flüchtlingslager Traiskirchen seine Tore für Journalisten öffnete. Monatelang waren sie fest verschlossen. Aber plötzlich Strategiewechsel: Neulich durfte eine Reportergruppe die Einrichtung besichtigen. Einhelliger Eindruck: schlimm. "Ein Alptraum" titelte eine Zeitung.

Das war offensichtlich auch die Absicht. Seit Jahr und Tag klagt die Innenmininisterin, Österreich sei zu attraktiv für Flüchtlinge. Die Aktion: Schaut her, wie scheußlich es bei uns ist, soll sich, so scheint es, bis in die fernen Ursprungsländer der Menschen herumsprechen und diese in Zukunft von uns weglenken. An Anschauungsmaterial hat es jedenfalls nicht gefehlt.

Schlafen auf dem Boden, bei brütender Hitze und bei Kälte und Nässe. Leerstehende Räume? Feuerpolizei und Bauordnung, erklärten die Verantwortlichen den Journalisten, aber nicht den Flüchtlingen. 80 Leute dürfen hier nicht wohnen. Aber zehn? Oder 20? Offenbar auch nicht. Die Flüchtlingstoiletten durften die Reporter nicht betreten. Unzumutbar. Das Essen? Gut und ausreichend, sagten die Verantwortlichen. Ungenießbar, sagten die Flüchtlinge. Zum Fastenbrechen im Ramadan stellten sie sich stundenlang vor dem kleinen Bethaus im Ort an, wo gekocht wurde. Rechtzeitig vor 22 Uhr, Einlassverbot im Lager, kam man kaum an etwas zu essen. Einer wagte es, den Zaun zu überklettern. Er wurde bestraft. Dolmetscher? Wurden nicht gesichtet. Ein junger Syrer, der sehr gut Deutsch und Arabisch spricht, hätte gern geholfen. Er durfte nicht.

Zur Zeit der Ungarnkrise 1956 nahm Österreich 180.000 Flüchtlinge auf. Damals stand Traiskirchen weit offen, für alle, die helfen oder Menschen herausholen und privat unterbringen wollten. Ehrenamtliche Dolmetscher arbeiteten rund um die Uhr. Die Hilfsorganisationen, heute ausgesperrt, waren voll im Einsatz. Bürokratie wurde kleingeschrieben, Menschlichkeit groß. Daran erinnern sich alle, die damals dabei waren. Und es klappte, irgendwie.

Macht den Leuten das Leben so schwer wie möglich, scheint heute die Maxime zu sein. Lasst sie dunsten. Lasst ihre Asylanträge liegen. Lasst sie nicht Deutsch lernen, damit sie sich nicht womöglich integrieren, bevor ihr Antrag dran ist. Vielleicht, vielleicht, wird sich dann irgendwo im Kriegsgetümmel von Syrien oder dem Irak oder auf einem der überfüllten Flüchtlingsboote jemand an diese Maßnahmen erinnern und sich sagen: Dieses Land meiden wir lieber.

Überflüssig zu sagen, dass die allermeisten Experten dieses Kalkül für vollkommenen Unfug halten. Die Völkerwanderung ist im Gange, die Flüchtlinge fliehen, weil sie fliehen müssen, wenn sie ihr Leben behalten wollen. Diese Entwicklung durch kleine Gemeinheiten stoppen zu wollen ist absurd. Zielführend ist dieser Weg kaum, sondern nur gemein.

Die vom Innenministerium organisierte Besichtigungstour neulich hat bei vielen Teilnehmern Betroffenheit ausgelöst. Der Eindruck, der für die Öffentlichkeit geblieben ist: Dieses Traiskirchen ist ein Skandal. Und ein weiterer: Dieses Innenministerium ist ein Skandal. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 22.7.2015)