Die Wespen sind schon jetzt eine richtige Plage, es wird aber noch viel schlimmer kommen, konnte ich in einer Buschenschank im steirischen Hügelland hören. Es sei eben zu warm, und die Wespen kämen in heißen Sommern. Das ist fast so wie mit den Flüchtlingen, wirft einer der Männer ein, er lacht und schlägt eine Wespe tot. Als ich zuletzt eine Poetikdozentur an der Universität Salzburg abhielt, saß ich zu späterer Stunde mit meinen Studenten in einem Lokal, ein junger Mann gesellte sich zu uns, ob er denn mitreden könne. Schon nach wenigen Minuten stellte sich heraus, dass er folgende Haltungen vertrat: Frauen, die studieren, seien ihm relativ suspekt, gegen Ausländer habe er nichts, auch nicht gegen Flüchtlinge, es dürften nur nicht zu viele werden. Wenn's zu viel wird, dann müsse man was tun. Und nein, er sprach das Wort, das ich insgeheim hörte, nicht aus, und doch pulsierte es im Subtext: Un-ge-zie-fer, Un-ge-zie-fer!

Es ist richtig, es kommen recht viele Menschen nach Europa, wenn's anderswo heiß hergeht, die Welt ist ein Tollhaus, die ruhigeren und sichereren Gegenden werden rarer. Und ja doch, es gibt, global betrachtet, zu viele Menschen. Die Erziehung, Sozialisation und der Umgang mit dem Metaphysischen werden fragwürdiger, die Ressourcen knapper, die Kluften tiefer, immer mehr Vermögen manifestiert sich in den Händen einiger weniger, klar, wir stecken in der Klamm, demnach, wir sitzen "in der Klemme".

Der Philosoph Erich Fromm notierte, dass wir in einer Gesellschaft lebten, die sich vollständig dem Besitz- und Profitstreben verschrieben habe. Deshalb sähen wir auch selten ein Beispiel für die "Existenzweise des Seins", weil sich die Mehrheiten an der "Existenzweise des Habens" orientierten. Das "Sein", demnach etwa Erfahrungen, Begegnungen, Einbindungen, Gespräche etc. als den wertvolleren Anteil unseres Lebens zu erachten, diese Haltung gehe zusehends verloren. Der Besitz und die Gier nach noch mehr Besitz (auch politischer Macht!) sind offenkundig und allgegenwärtig; der Besitz, das Haben, ist zudem die Brutstätte der Angst ...

Ich kam als Flüchtling in dieses Land, ich kenne das Traiskirchen der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre, es hat nichts mit der heutigen Situation zu tun. Die österreichische Gesellschaft hat sich verändert, Europa steht an einem vollkommen anderen Scheideweg, die Welt ist eine andere geworden. Es gab eine Zeit, da hielt ich es für etwas Tröstliches, dass Geschichte etwas Zyklisches darstellt: Der Mensch ist (als Mehrheit und auf Dauer) nicht lernfähig, ergo durchlaufen wir immer wiederkehrende Stadien. Punkt. Basta.

Allerdings, die Tatsache, dass mit flüchtenden Menschen Politik gemacht wird, dass man sie argumentativ benutzt, dass man sie als Schachfigürchen missbraucht (Stichwort "Asylantenschwemme", danke, liebe FPÖ, by the way, Überschwemmungen erneuern Land und Leute), es ist eine Haltung, die an Zynismus kaum zu überbieten ist. Die Flüchtenden, Vertriebenen, die Fremden sind in Österreich mittlerweile dermaßen stigmatisiert, mit ihnen werden derart viele Ängste geschürt, dass ein sachlicher Umgang mit dem Thema unmöglich geworden ist.

Ob wir uns nun den konkreten Ereignissen in Traiskirchen zuwenden (zu viele Menschen auf zu engem Raum, der enorme Mangel an Schlafplätzen, ein Drittel muss im Freien schlafen und so weiter) oder ganz allgemein die Haltung Europas zu den Flüchtlingen hinterfragen, humane Lösungen scheinen in immer größere Ferne zu rücken. Dem Gros der europäischen Gesellschaften scheint es auch nicht mehr wichtig zu sein – die Wir-sind-wir-Mentalität(en), die Nationalbefindlichkeitsbewahrer, die Stagnierer und Weltvereinfacher, ihre Gesinnungsaktien steigen überall ...

Wie man mit Flüchtlingen umgeht, scheint mir von jeher ein verlässlicher Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft zu sein: Ach, Österreich, wertes Innenministerium, ihr lieben "Ich-habe-eh-nix-gegen-Flüchtlinge-wenn' s-nur-nicht-zu-viele-sind-Mitmenschen", geschätzte Wespenhasser: Soll dies wirklich das (vorläufige) Ende der Fahnenstange sein, ist Inklusion nicht trotz aller vordergründigen Widrigkeiten (Menge, Xenophobie, Kosten) die bessere Option als Exklusion? Ist es wirklich eine Lösung, wie auch immer geartete Mauern hochzuziehen, Missstände unerträglich lang zu verschleppen, ohne nach einer nachhaltigen Lösung zu suchen, oder sich abzuschotten? Sollen irgendwann tatsächlich ausschließlich private Initiativen und NGOs wie Caritas & Co ein Sinnbild adäquater Verantwortlichkeit darstellen? Kann sich eine demokratische Gesellschaft wirklich so aus dieser Verantwortung ziehen?

Menschen, die eine gefahrvolle Reise nach Europa antreten, Menschen, die schlussendlich auch in Traiskirchen landen, sind nicht nur verzweifelt, vertrieben und vollkommen mittellos – sie sind auch mutig, anpassungsfähig und weltoffen. Und klar, in Anbetracht der Art und Weise, wie man in Österreich derzeit mit Flüchtlingen verfährt, es würde auch mir, als Flüchtling, nicht groß Lust machen, irgendwann selbst ein positives und tragendes Mitglied dieser Gesellschaft zu sein.

Last, but not least gibt es keine Alternativen: Wir müssen – so gut es geht und wenigstens mit gutem Willen – auf die Herausforderungen unserer Zeit (und der Umgang mit Flüchtlingen ist eine der maßgeblichsten) reagieren, jenseits von Ängsten und Exklusionen. Besagter Holzweg, auf dem sich viele in Österreich befinden, wird in letzter Konsequenz erneut zu einem weiteren Zusammenbruch der hiesigen Gesellschaft führen, oder auch: Lernen wir einmal nur in der Geschichte der Menschheit tatsächlich und nachhaltig aus der Geschichte. (Michael Stavaric, 22.07.2015)