Die Halilis im Garten des Hauses in Vushtri, das sie für ihre Flucht verkauften.

Foto: Adelheid Wölfl

Vushtri – Sogar den Dotterblumen ist es in Vushtri zu heiß. Und den Menschen sowieso. Es gibt keinen Schatten rund um das kleine weiße Haus auf dem Hügel, zu dem der furchenreiche Traktorweg führt. Das Wasser wird von der Familie Halili wie kostbarer Wein gehütet. Die Gläser werden vorsichtig auf dem Tablett herbeibalanciert. Die Halilis müssen das Wasser von einem Nachbarn zu ihrem Haus schleppen, weil sie selbst keinen Brunnen haben. "Ihr" Haus kann man eigentlich gar nicht mehr sagen. Denn die Halilis haben es verkauft, um mit dem Geld nach Österreich zu flüchten. Mittlerweile wurden sie aber wie die meisten Kosovaren, die im Winter in die EU flüchteten, wieder zurückgeschickt.

"Wir hatten kein Geld mehr, um Essen für die Kinder zu kaufen", erzählt Deuta Halili die Beweggründe, warum sie und ihr Mann beschlossen, auszuwandern. "Außerdem ist die Schule acht Kilometer von unserem Haus entfernt. Der Schulbus kostet pro Kind zehn Euro im Monat. Und dieses Geld haben wir nicht." Am 1. Februar sind die Halilis mit ihren fünf Kindern also in den Bus gestiegen. Ihr jüngstes Kind ist dreieinhalb, die größte Tochter Ardita ist 13. Ardita erinnert ein wenig an Arigona Zogaj, nur hatte sie nicht das Glück und die Unterstützung, die Arigona Zogaj zuteilwurde. Denn prinzipiell werden keine Kosovaren in der EU als Flüchtlinge akzeptiert. Also gibt es mittlerweile viel mehr Arditas als Arigonas, also Menschen, die zurückgeschickt werden und nicht bleiben dürfen.

Durch den Fluss waten

Auch viele andere Leute aus Vushtri sind diesen Winter in Richtung EU aufgebrochen. Es hatte sich herumgesprochen, dass man in Deutschland und Österreich leicht ein Job finden könne. Niemand überprüfte die Informationen. Aber der Winter war hart. Und Frau Halili ist 32, ihr Mann 34. Noch jung, also. Warum sollte man das andere Leben nicht wenigstens probieren? Mit dem Bus ging es zunächst nach Belgrad, von dort nach Subotica. Und von dort mit einem Schlepper-Minibus nach Ungarn. Durch den Fluss mussten die Halilis selbst waten. 1.200 Euro hat die illegale Grenzüberquerung gekostet. Das Wasser ging bis zu den Waden. Es war 30 Grad kühler als heute in Vushtri. Die siebenköpfige Familie ging zu Fuß nach Szeged und meldete sich dort bei der Polizei. Von dieser wurde sie nach Budapest gebracht.

Vergangenen Winter kamen etwa 4.000 bis 5.000 Kosovaren nach Österreich. Die allermeisten von ihnen überquerten mithilfe von Schlepperbanden illegal die Grenze zwischen Serben und Ungarn. 27.000 bis 30.000 Kosovaren fuhren nach Deutschland. Viele gingen auch nach Schweden, in die Niederlande, nach Belgien, Frankreich oder Norwegen. Auch andere Südosteuropäer drängten und drängen in die EU, aber sie können visafrei einreisen – nur die Kosovaren nicht. Deshalb suchen sie um Asyl an. Und deshalb fallen sie auf. Im Jänner 2015 beantragten 1.029 von ihnen in Österreich Asyl. Damit führten die Kosovaren die Top 15 der Antragstellerstaaten an. Im Februar waren es 954, im März nur mehr 114. Da lagen die Syrer schon längst wieder auf Platz eins. Da hatte sich im Kosovo auch schon herumgesprochen, dass alle abgeschoben werden. Die Auswanderung aus dem Kosovo hat mit dem Winter zu tun, mit den Schmugglerpreisen, mit den Gerüchten.

500 Euro für ein Taxi nach Wien

Deuta Halili mochte Budapest nicht, oder besser: sie mochte die Wohnungen nicht, in die sie gesteckt wurde. Eng. Schmutzig. Besem Halili hatte noch ein wenig Geld. Er hatte ja sein Haus mit den zwei Bäumen im Garten für 2.500 Euro verkauft. 500 Euro kostete das Taxi von Budapest bis zur Grenze nach Österreich. Dort stieg die Familie in einen Zug, nach Wien, dann ging es nach Linz, dann nach Kirchdorf, dann auf die Polizeistation nach Kirchdorf. Nach vier Tagen wurden sie von einer Familie in Oberndorf aufgenommen. Die Mädchen gingen zur Schule. Ardita lernte "Ich kann ein bisschen Deutsch sprechen" sagen.

Die Frauen in Oberndorf kümmerten sich um die Familie. Als nach zweieinhalb Monaten die Polizei kam und die Halilis abholte, sammelten die Schulkameraden Geld, damit sie bleiben konnten. Aber zwei Tage später wurden die Halalis von Wien mit dem Flugzeug nach Prishtina gebracht. Am 17. April – nach elfeinhalb Wochen – sahen sie das kleine weiße Haus in Vushtri wieder. "Wien ist so schön. Ich möchte nicht sterben, ohne dass ich noch einmal dorthin zurückgekehrt bin", sagt Frau Halili, die von den Eindrücken, die sie von Österreich hatte, noch bewegt ist.

Unterstützung von der ADA

Warum seid ihr überhaupt weggegangen? Habt ihr nicht gewusst, dass ihr keine Chance habt, in Österreich Asyl zu bekommen? "Wir wollten, dass unsere Kinder lernen, was es heißt, wenn es Respekt vor dem Gesetz gibt, und wir wollten, dass sie in die Schule gehen können", sagt Besem Halili. Im Kosovo gibt es tatsächlich viele, die über dem Gesetz stehen, und andere, die kein Geld haben, um den Schulbus zu bezahlen. Und jetzt? "Das Haus kostet jetzt 7.000 Euro, wenn ich es zurückkaufen will", sagt Herr Halili. Denn der neue Besitzer hat es in Abwesenheit der Halilis renoviert. Herr Halili hat aber keine 7.000 Euro. Er will es abstottern. Die Familie wird zurzeit von der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ADA im Kosovo unterstützt. Sie bekommt 70 Euro für Essen im Monat. Wenn die Halilis einen Brunnen hätten und eine Kuh, dann könnten sie vielleicht langfristig in dem kleinen Haus auf dem Hügel überleben. Die Hühner staksen durch die Dotterblumen. Ohne Wasser und ohne Schatten ist es auch für sie sehr heiß im Juni in Vushtri.

Der Winter ist schon lange vorbei. Mittlerweile hat Ungarn die Grenzen dichter gemacht. Einige Schlepper wurden verhaftet. Die Kosovaren können nicht mehr so einfach raus. Ein Visum ist schwer zu bekommen. Zwei Monate wartet man auf den Termin an der Botschaft, und dann muss man 60 Euro bezahlen und die Versicherung, und dann kann man vielleicht zwei Wochen bleiben. Zef Shala, Direktor der NGO Mutter Theresa, die sich im Auftrag der ADA um die Rückkehrer kümmert, meint: "Die Leute, die diesen Winter ausgewandert sind, haben in der Zeitung gelesen, dass die Europäer immer älter werden und dass sie Arbeiter brauchen. Und wenn einer geht, dann gehen andere auch. Im Oktober sollen aber alle, die nach Österreich gegangen sind, zurückgekehrt sein", erklärt er. "Nach sechs Monaten spätestens müssen sie wieder da sein." Für die Halilis waren es ohnehin nur elfeinhalb Wochen.

Frontex-Charterflüge

Aktuell erfolgen im Zweiwochenrhythmus Frontex-Charterflüge, teilt das österreichische Innenministerium mit. Auch im Kosovo schaltet das Ministerium Inserate hinsichtlich dieses Themas. 2014 gab es nur vier Frontex-Charterflüge von Wien nach Prishtina. Heuer waren es bereits fünf. Bis April gingen 813 Anträge auf unterstützte freiwillige Rückkehr ein, 705 Personen kehrten bereits freiwillig in den Kosovo zurück. Wenn die wirtschaftliche Situation aber weiterhin so katastrophal bleibt, könnten es die Kosovaren wieder versuchen. 2014 wurden in Österreich "nur" 1.903 Asylanträge von kosovarischen Staatsbürgern gestellt. Heuer waren es allein im Zeitraum Jänner bis April 2.206. (Adelheid Wölfl aus Vushtri, 3.7.2015)