Nach wie vor sind es Privatpersonen, die einen wesentlichen Anteil daran haben, dass Schutzsuchende in Wien eine menschenwürdige Aufnahme finden.

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Nach der Schreckensherrschaft der Nazis und systematischen Ermordung von 13 Millionen Menschen hat die internationale Staatengemeinschaft mit der universellen Erklärung der Menschenrechte 1948 den Grundstein für rechtlich verbindliche Mindeststandards für alle Menschen gelegt.

Das Recht auf Asyl, das Recht, Schutz zu suchen, ist darin ausdrücklich geschützt und wurde mit der Genfer Flüchtlingskonvention weiterentwickelt. Darauf aufbauend hat die EU in ihrer Charta der Grundrechte ein rechtlich verbindliches Recht auf Asyl normiert und durch verschiedene Verordnungen und Richtlinien zu einer gewissen Harmonisierung der Asylverfahren und der Mindeststandards für die Unterbringung und Versorgung von Asylwerberinnen und Asylwerbern in den Mitgliedsstaaten der EU beigetragen. Das Asylrecht ist eines der wichtigsten Menschenrechte, da es den am stärksten politisch, rassistisch und religiös verfolgten und unterdrückten Menschen eine Möglichkeit gibt, auch außerhalb "ihres" Staates Schutz vor Verfolgung zu finden.

Am Recht auf Asyl wird gesägt

Und dennoch wird momentan beharrlich am Recht auf Asyl gesägt: Schutzsuchende werden an den Grenzen abgewehrt, zurückgeschickt, abgeschoben. Ihr Tod ist meist nur eine Randnotiz in den Tagesnachrichten. Und wenn sie es nach Europa schaffen, müssen Menschen, die oft nur mit dem nackten Leben davongekommen sind, beweisen, dass sie tatsächlich gezwungen waren, in einem kaum seetüchtigen Boot das Meer zu überqueren. Wer täte das freiwillig, gäbe es eine Alternative, die weniger lebensbedrohlich ist?

Kein Mensch verlässt seine oder ihre Familie, Freunde und Freundinnen, den Ort, an dem er oder sie heimisch ist, also das, was wir landläufig Heimat nennen, leichten Herzens. Menschen fliehen, weil sie es müssen. Flucht ist kein Verbrechen, auch wenn das von verschiedenen politischen Akteurinnen und Akteuren unerlässlich postuliert wird.

Welle der Solidarität

Gleichzeitig ist im vergangenen Jahr auch eine Welle der Solidarität entstanden: Privatpersonen, Organisationen und Institutionen, die nicht zulassen wollen, dass auf Kosten der Schwächsten politisches Kleingeld gemacht wird; für die das Privileg, in Europa geboren zu sein, auch eine Verantwortung bedeutet: die Verantwortung, aufzustehen und füreinander einzustehen, solidarisch zu sein.

Und das ist gut so. Denn diese gesellschaftliche Solidarität, nicht nur mit schutzsuchenden Menschen, ist notwendig, damit alle Menschen in Wien gemeinsam gut leben und am Stadtleben teilhaben können. Denn wenn wir als Gesellschaft beginnen, die Menschenrechte Einzelner auszusetzen, wie das die oberösterreichische Landesregierung vergangene Woche mit der Kürzung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge beschlossen hat, dann legen wir den Grundstein zur potenziellen Abschaffung der Menschenrechte von uns allen.

Menschenrechte wurden bitter erstritten

Die Menschenrechte sind, mit allen ihren Unzulänglichkeiten, eine der größten politischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, die mit Blut, Schweiß und Tränen bitter erstritten wurden. Daher gilt es, gemeinsam um den Erhalt unserer Menschenrechte zu kämpfen und sie nicht der Angst vor den Worthülsen von Populistinnen und Populisten zu opfern – jenen, die versuchen, die Willkommenskultur schlechtzureden, ja, sie gänzlich wegzubehaupten.

Dabei sieht die Realität ganz anders aus. Nach wie vor sind es Privatpersonen, die einen wesentlichen Anteil daran haben, dass Schutzsuchende in unserer Stadt eine menschenwürdige Aufnahme finden. Die Wiener und Wienerinnen zeigen immer noch eindrücklich, was Willkommenskultur bedeutet: Seit vergangenem Sommer wird gekocht, übersetzt, Deutsch gelernt, Behördengänge werden erledigt, es wird gebastelt, organisiert, und gemeinsam wird an Lösungen für die Fragen des Alltags gearbeitet. Und jeden Tag aufs Neue gezeigt: Wir schaffen das! Und das ist nicht nur gelebte Solidarität, sondern auch politische Teilhabe, die Menschenrechte mit Leben und neuen Inhalten erfüllt. (Anna Müller-Funk, 20.6.2016)