Warb mit "Fünfhaus, du Opfa, gib Stimme!": Der "Bezirkowitsch" im Wiener Satire-Wahlkampf.

Foto: Bezirkowitsch, https://www.facebook.com/maximilian.zirkowitsch

Zunächst zu einem Menschen, der mir sehr lieb geworden ist: "Bezirkowitsch". In der tosenden Schlacht um Wien wurde viel über mein geliebtes RH5H (Rudolfsheim-Fünfhaus) gesprochen, auch hier, in Wien 1. Das ist ein Bezirk, in dem die Menschen mehr als acht Jahre länger leben als im wilden Westen. Es ist erfreulich, wenn ein Bezirk von sich reden macht, der sonst dazu nicht imstande ist. Die berühmtesten Söhne des Hiebs sind Money Boy und Ignaz Seipel. Das ist insofern ein Unglück, als diejenigen, die wissen, wer Money Boy ist, nicht wissen, wer Ignaz Seipel ist – und umgekehrt. Es gibt also noch viel zu entdecken.

Am Tag, als die neuen Einkommensdaten von der Statistik Austria bekanntgegeben wurden und #RH5H wieder souverän seinen Platz als ärmster Bezirk verteidigte, wurde in der Bezirksvertretung noch immer hitzig über die Umgestaltung der Wasserwelt gestritten. Von einem Entenansiedlungsprogramm war dabei nicht die Rede.

Ich habe fast nicht gelogen. Journalisten sind Wähler, Fans sind Wähler, und Wähler sind Fans. Ich liebe die meisten, und fast allen war klar, dass "Bezirkowitsch" eine Kunstfigur ist. Wie viel davon echt war, was gespielt werden musste, wie sehr ich mich angestrengt habe, weiß ich selber nicht so genau. Wenn man die Gelegenheit hat, nichts zu sagen, muss man wenig lügen. Trotzdem, dass jemand in echt so peinlich ist, kann ja gar nicht sein – nicht einmal in der SPÖ. Mir war es allerdings immer ernst mit dem Anspruch, den ich hatte.

Fatales Signal

Ich wollte gewählt werden, aber ich wollte nicht gewählt werden. Ich wollte gewählt werden. Die SPÖ wollte auch, dass ich gewählt werde. Deswegen hat sie mich aufgestellt. Wir wollten beide gleich viel, dass ich gewählt werde. Deswegen hat sie mir den Platz 54 auf der Liste zugewiesen, und durch eine glückliche Fügung bin ich zu Platz 50 hinaufgestolpert. Das Bezirksparlament hat 50 Sitze. Leider hat die SPÖ die 100 Prozent knapp verpasst. Ich habe mein Mögliches dafür getan. Schließlich war jede Stimme für "Bezirkowitsch" ein fatales Signal. Einerseits für die anderen Parteien und Listen, weil ihnen da eine Stimme entgangen ist, die offensichtlich nicht schwer zu kriegen war, andererseits für mich, weil ich mich nie aufgrund so eines Wahlkampfs gewählt hätte.

Der Grant darüber, wie austauschbar und beliebig sich Parteien im Wahlkampf darstellen, hat mich motiviert, es auch zu probieren. Wenn Colin Crouch recht hat mit seiner Postdemokratie, dann muss man es auf die Spitze treiben und dem Protest ein Angebot machen, das nicht blau ist oder meinetwegen pink. Aus Protest die SPÖ in Wien zu wählen ist allerdings schon verwegen. Und Verwegenheit wiederum hat es überhaupt gebraucht, um den Wahlkampf möglich zu machen.

Der Sportsgeist der SPÖ

Und die Möglichkeit führt uns direkt zur SPÖ. Ich bin ihr dankbar für den Sportsgeist. Sie hat sich bisher nicht bei mir gemeldet. Wieso auch? Ich habe die SPÖ in eine Position gebracht, in der sie sich nicht von mir distanzieren konnte, weil ich viel zu machtlos und egal war. Sie konnte mich auch nicht vereinnahmen oder sich zu mir bekennen, ohne die Kampagne kaputtzumachen. Hätte ich das Handtuch geworfen, wäre man ihr dafür böse gewesen. Irgendwie ist das dann schon wieder Macht.

Und dann kommt der Frust. Da hat man einmal Reichweite, und dann kann man nichts sagen, weil man sich vorgenommen hat, nichts zu sagen. Jedes Anliegen hätte Schaden genommen, wenn ich mich seiner angenommen hätte. "Bezirkowitsch" ruft zur Demo auf? Haha, voll die Spaßdemo! "Bezirkowitsch" verspricht Gesundheitsförderung in der Volksschule? Voll sick, die Aggro-Kids im Ghetto!

Was hat es gebracht?

Nun, im Grunde nichts, außer dass ich jetzt zu Journalisten sprechen darf. Die Bezirksvertretungsarbeit findet ohne mich statt, und noch im Wahlkampf haben Parteien angefangen, mich zu kopieren. Der aktuelle Wahlkampf ist ein gutes Beispiel dafür, wie ironische Brechung Beliebigkeit und Inhaltsleere verschleiert und gleichzeitig Reflexionsvermögen vermittelt. Wer über sich lachen kann, kann nicht so schlimm sein, zumindest nicht so blöd. Und je größer die Fläche ist, die noch beschrieben werden kann, weil sie nichts zeigt, desto einfacher finden sich in ihr die Inhalte, die man sich wünscht. Alfred Adler nannte das tendenziöse Apperzeption. Sie werden das von Werbekunden kennen.

Neben der Partei haben vor allem Sie, meine lieben Lieben, zur Popularität und dem Erfolg von "Bezirkowitsch" beigetragen: die Medien, die vierte Kraft im Staat. Die ersten drei Kräfte, übrigens, sind in absteigender Reihenfolge: die Liebe, die Partei und das Kapital. Sie werden schnell erkennen, dass die Medien die demokratischste Kraft sind, weil die Eigentumsverhältnisse üblicherweise bekannt sind.

Lehren und Hypothesen

Was sind nun die Lehren, die ich Ihnen mitgeben will, beziehungsweise die Hypothesen, die einer Überprüfung harren?

1. Macht braucht Inszenierung. Im Umkehrschluss braucht das auch die Ohnmacht. Jeder Clown braucht seine Manege. Dafür war es überaus hilfreich, in fast alle Tageszeitungen Eingang gefunden zu haben. Mein besonderer Dank gilt der "Heute", die mich in vier Wochen fünfmal gefeaturet hat, und der "Tiroler Tageszeitung" (TT), weil ich es sogar auf die Titelseite geschafft habe mit einer Mischung aus Wien, SPÖ und Respektlosigkeit. Ich will sagen, dass erst die Veröffentlichungen, die Berichterstattung mich angetrieben haben und somit maßgeblich Einfluss auf den Fortgang der Kampagne genommen haben, wenn auch nicht inhaltlich, beziehungsweise war das ja der Inhalt.

2. Deutungshoheit im Diskurs kann aus einer ohnmächtigen Position durch Entfremdung, durch kreative Umdeutung errungen werden. Gerade zu phänotypisch ist das mit den Worten "schwul" und "Nigger" gelungen. Ich meine, dass so eine subversive Praxis immer Form und Inhalt umfassen muss, wie Strache beide Geschlechtsteile umfasst. Es kann also genügen, selbstbewusst und oft genug zu betonen, dass man Politiker ist, um als Politiker wahrgenommen zu werden, ja sogar den ganzen Politikbegriff anzureichern.

Sie haben das freilich nicht immer. Sie waren immer sehr lieb zu mir und haben mich mehr wie einen Kommunalpolitiker behandelt. Ich war auch immer lieb zu Ihnen. Aber dazu später mehr.

3. Die Rache der Journalisten mag das Archiv sein. In jedem Fall sollen Journalisten als Journalisten nur journalistisch kämpfen. Was redundant klingt, ist systemisch richtig. Wenn Sie Politikern zu Leibe rücken wollen, tun Sie es journalistisch. Drohen Sie nicht mit Klagen! Die Rechtsabteilung des ORF ist ausgelastet genug! Sobald Sie Ihre Rolle aufgeben und Ihr Gegenüber nicht, haben Sie verloren. Das ist natürlich eine rein idealistische Betrachtungsweise. Trotzdem halte ich sie für legitim, wie ich unter

4. ausführen werde: Kritik an der Inhaltsleere der Politik ist auch Kritik am Diskurs. Das lustvolle Ausbreiten von Kampagnenformaten, die Reflexion von Fairnessabkommen, liebevolle Porträts von Kampagnenleitern und Kommentierung von Personalia der Politik sind wichtig beziehungsweise "wichtig", sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass parallel dazu immer noch richtige beziehungsweise "richtige" Politik betrieben wird. Lassen Sie sich das nicht entgehen! Es gibt bereits genügend Politiker, denen sie entgeht.

5. und das ist meine letzte These: Journalisten mögen es voll, wenn man auf ihre Fragen antwortet. Sie sind es nicht mehr gewohnt. Deswegen muss man sehr behutsam sein und darf sie nicht merken lassen, dass man auch selbst etwas über Gesprächsführung gelernt hat. Journalisten mögen es auch, wenn man ihnen sagt, dass noch niemand vor ihnen so gefragt hat, und – natürlich – wenn man schlecht über Kollegen spricht. Jessas na, das mögen Sie alle! Meine Damen und Herren, lieber Journalismus, diese Missgunst findet höchstens in der Politik ihre Entsprechung. Und deswegen können Sie von mir lernen.
Das Buffet ist hiermit eröffnet. (Maximilian Zirkowitsch, 14.4.2016)