Kunst für alle – an Sonnenblumenkernen in Rindertalg laben sich auch weniger wilde Tiere: "Wolke (Nephele)" von Katrin Hornek.

Foto: Katrin Hornek

Martina Taig (41) leitet seit 2012 KöR Wien.

Foto: KöR

Wien – Verlaufen kann man sich eigentlich nicht. Der Wienerwald gleicht hier an seinem Rand eher einer Flanier- und Gassimeile. Und doch berichten an diesen strahlenden Sonntagnachmittag in der Tat einige, sie hätten sich auf dem Weg hierher verirrt. Vermutlich folgten deswegen einige Frischluftnovizen gleich eher der schmalen, sich zur Jubiläumswarte hinaufschlängenden Asphaltstraße statt dem Pfad daneben – hinauf zur Kunst im öffentlichen Wald, zur Mission W.

Hat die Kunst im öffentlichen Raum (kurz KöR) die Flucht ins Grüne angetreten? Nach elf Jahren im urbanen Raum Wiens, auf Plätzen, an Fassaden oder in U-Bahnstationen nun also der romantische Forst, Buchenlaub und Tannennadeln? Es ist spürbar, das stärkere Interesse der Kunst an Landschaft, Natur und ganz generell an neuen Orten der Präsentation und Betrachtung. Und trotzdem ist nicht von einer Kehrtwende auszugehen: Die Stadt – der alltägliche Lebensraum des Wieners – ist und bleibt das Epizentrum für künstlerische Interventionen.

Pirouetten in der jungen Historie

Dass es nicht dennoch da und dort ein wenig zu voll, ein wenig zu angeräumt wäre, um auch noch mit Kunst "möbliert" zu werden, diese Bemerkung quittiert aber selbst Martina Taig, seit 2012 Geschäftsführerin der KöR Wien mit einem herzlichen Lachen. "Es ist nicht so, dass wir nicht auch über diese Frage manchmal sprechen. Bisweilen denke ich, man sollte einmal so eine Aufräumaktion machen und manche Plätze einfach einmal leer lassen."

Dieser Tage begeht man mit zwei neuen Publikationen elf Jahre KöR Wien und 161 realisierte Projekte. Ein etwas eckiges Jubiläum, vielleicht passend zu einigen organisatorischen Pirouetten in der jungen Historie der inzwischen als GmbH geordneten Institution. Aber wie fing eigentlich alles an? Womöglich 2003 mit dem Appell Peter Marboes, Kulturstadtrat von 1996 bis 2001, ein Gesetz zur Förderung von KöR zu schaffen? Ein Anliegen, so Marboe damals, mit dem er schon zu seiner Amtszeit am Koalitionspartner gescheitert wäre. Er schielte damals nach Niederösterreich, wo man dafür 2003 eine Summe von 800.000 Euro ausgab. Genau diese Summe ist es dann auch in Wien geworden – und bis heute geblieben. Eine fix verankerte Regelung, die, wie Marboe forderte, ein Prozent der öffentlichen Bausummen aufwendet – bereits 2003 wären das stolze zwei Millionen Euro gewesen -, gibt es bis heute nicht: "Leider", bedauert auch Taig.

Dachbegrünung und Graffiti

Was kam? 2004 installierte man den aus den Ressorts für Kultur, Wohnbau und Stadtentwicklung gespeisten Fonds für die "Belebung des öffentlichen Raums" samt fünfköpfiger Jury. 2005 wurden dann deren erste Projekte umgesetzt. Und so ist dem aktuellen Jubiläum im Grunde auch ein rundes Datum einverleibt: Vor zehn Jahren entstand Lois Weinbergers bis heute existente Dachbegrünung der Wienbibliothek im Rathaus, temporär waren Projekte wie das Graffitiprojekt Die Wand der Sprache am Schwendermarkt oder die 20 Meter hohe Gerüstskulptur add on auf dem Wallensteinplatz.

"Permanente Kunstwerke verschwinden irgendwann", streicht Taig die Qualität temporärer Projekte heraus. Man schaffe es immer wieder, Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken und sei obendrein bei der Umsetzung schneller. Das "Temporäre" ist derzeit allerdings noch der Makel für ein seit langem geplantes Mahnmal für die in der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Homosexuellen, Lesben und Transgender-Personen. Seit 2006 ein Vorschlag Hans Kupelwiesers beim Wettbewerb für ein permanentes Projekt gekürt wurde, dann aber in der Realisierung an behördlichen Auflagen scheiterte, schien der politische Wille zu fehlen.

"Ich glaube, dass die Zeit reif ist", so Martina Taig. Nach Installationen 2013 am Morzinplatz (Jakob Lena Knebl) oder nun am Naschmarkt (Simone Zaugg) solle das permanente Mahnmal "hoffentlich in naher Zukunft" in Angriff genommen werden. 2016 sei, sagt Taig, dabei zwar für die Umsetzung unrealistisch, nicht aber für die Wettbewerbsanbahnung.

Nur vorübergehend, das gilt aktuell auch für die Mission W (bis 31. 10.), die die Künstlerinnen Eva Engelbert und Katrin Hornek initiierten. Die suchten im Wald auch keine romantische Spielwiese, sondern im Biosphärenpark Wienerwald eine Reibefläche für eine Versuchsanordnung, für thematisch an Klimafragen und unserem Zeitalter des Anthropozäns orientierte Kunstwerke. (Anne Katrin Feßler, 8.10.2015)