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Gesucht und auf der Flucht: Wiktor Janukowitsch.

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Andachtsort für die Todesopfer

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Die Zeltstadt am Maidan bleibt bestehen.

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"Rechter Sektor"-Anführer Dmitri Jarosch auf dem Unabhängigkeitsplatz, 21. Februar 2014

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Die große Tragödie in der Ukraine konnte im letzten Moment abgewendet werden. Präsident Wiktor Janukowitsch wurde am Wochenende vom Parlament abgesetzt und befindet sich auf der Flucht. Am 25. Mai sollen Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die Krise der Ukraine ist aber noch lange nicht unter Kontrolle, ein Staatsbankrott droht und die politische Zukunft des Landes ist ungewiss. Zahlreiche Fragen werden auch in nächster Zeit offen bleiben. Eine Sammlung der im Forum am häufigsten gestellten:

Wo ist Wiktor Janukowitsch?

Der Verbleib von Viktor Janukowitsch ist weiter unklar. Ein ukrainischer Fernsehsender strahlte am Sonntag Aufnahmen aus, die angeblich zeigen, dass Janukowitsch einen Hubschrauber in der Nähe von Kiew besteigt. Angeblich begab er sich mit 560 Millionen Dollar auf die Flucht. Am Samstagnachmittag wurde ein voraufgezeichnetes Fernsehinterview ausgestrahlt, das mit der Ortsangabe Charkow, einem ostukrainischem Ort nahe der russischen Grenze, versehen war. Er habe vergeblich versucht, nach Russland auszureisen.

Anderen Angaben zufolge soll er sich in der Nähe von Donezk, seiner Heimatstadt in der Ostukraine aufhalten. Neueste Gerüchte besagen, dass Janukowitsch sich zumindest am späten Sonntagabend auf der pro-russischen Halbinsel Krim aufgehalten habe. Dort habe er ein Anwesen in Balaklawa mit unbekanntem Ziel verlassen. Gegen Janukowitsch ist ein Ermittlungsverfahren wegen Massenmordes eröffnet worden. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof kann Janukowitsch übrigens nicht angeklagt werden, die Ukraine hat den Vertrag des Rom-Statuts zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) nie ratifiziert.

Werden die Proteste am Maidan fortgesetzt?

Die zentralen Forderungen des Euromaidan sind zwar erfüllt (Rücktritt von Präsident Janukowitsch, Wahltermin, u.a. auch Freilassung Timoschenkos), die Demonstranten sind aber nach wie vor auf dem Platz im Zentrum von Kiew. Die Menschen haben vor, den Maidan noch bis zur Wahl am 25. Mai besetzt zu halten.

Wer gilt als Favorit für den Ministerpräsidentschaftsposten?

Als aussichtsreiche Ministerpräsidenten-Kandidaten gelten der frühere Außenminister Arseni Jazenjuk und der Schokoladen-Milliardär Petro Poroschenko. Die Opposition hat den Bürgern Wirtschaftsreformen und eine engere Anbindung an die EU versprochen. Zumindest darf von den Parteien nicht der Fehler begangen werden, Vertreter des Maidan bei der Aufstellung der Listen zu übergehen.

Julia Timoschenko: Lichtgestalt oder Machtpolitikerin?

Die frühere Gas-Magnatin Timoschenko gilt als charismatische Persönlichkeit, die die sehr unterschiedlichen Strömungen der Opposition einen könnte. Allerdings war sie bei ihrem ersten Auftritt auf dem Maidan nach ihrer Freilassung am Samstagabend auch mit Pfiffen empfangen worden, was zeigt, dass Timschenko sehr wohl als Teil einer korrupten ukrainischen Machtelite gesehen wird. Am Sonntag kündigte sie an, doch nicht für das Amt der Regierungschefin kandidieren zu wollen. Damit hält sich Timoschenko die Möglichkeit offen, bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Ob sie das tatsächlich machen wird, ist allerdings derzeit Gegenstand der wildesten Spekulationen.

Die ehemalige Ministerpräsidentin (2005 und 2007 bis 2010) hat umfangreiche (macht-)politische Erfahrungen in der Ukraine. Ihr Image als Volkstribunin, das sie nach der Orangen Revolution innehatte, bröckelte aber recht schnell. Timoschenko kennt den Machtfilz (auch rund um Janukowitsch) aus eigener Beteiligung und weiß, wie der Hase in der Ukraine läuft.

Genau diese Eigenschaften wird ein zukünftiger Präsident oder eine zukünftige Präsidentin auch brauchen. Auch hat die russischsprachige Timoschenko durch ihre geschäftliche Tätigkeit im Gashandel gute Beziehungen zu Russland. Auch ihre Kontakte zur EU sind umfangreich, vor allem in ihrer Zeit als politische Gefangene wurde sie zu einem Symbol in der EU. Ihre Vaterlands-Partei Batkiwschtschyna hat einen Beobachterstatus bei der Europäischen Volkspartei. Timoschenko sprach bei ihrem Auftritt vor den Massen auf dem Maidan sogar von einem EU-Beitritt.

Was ist mit Witali Klitschko?

Witali Klitschko hat am Dienstag seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben. Sein Vorteil: Er gilt als vollkommen unverdächtig, was die Verwicklung in alte politische Strukturen und ihre kriminellen Verwicklungen betrifft, er hat sein Vermögen als internationaler Boxer erworben. Allerdings fehlt ihm politische Erfahrung, er hat keine großflächige Parteiorganisation und keine Hausmacht im Land. Wählen würden ihn wohl die Ukrainer aller Landesteile. Auch im Osten ist er beliebt, vor allem aber aus seiner Zeit als Boxer. Seine guten Kontakte zur EU sind ein weiterer Vorteil für Klitschko.

Welche Rolle könnte die rechte Partei Swoboda spielen?

Swoboda ist eine rechtsradikale Partei, die seit Jänner 2012 im ukrainischen Parlament sitzt. Zur Einordnung der Partei sagte Historiker Per Anders zu derStandard.at: "Die Swoboda-Partei ist nicht vergleichbar mit Jörg Haiders oder Straches FPÖ. Sie ist um sehr vieles rechter, eher wie die Jobbik-Partei oder Vlaams Belang", erklärte Rudling. Es gibt in der Partei aber verschiedene Strömungen. Die Wählerbasis von Swoboda befindet sich vorwiegend im Westen der Ukraine. In und um Lwiw erhielt die Partei 2012 sogar 40 Prozent der Stimmen. 2012 fanden sich unter den Swoboda-Wählern auch viele Protestwähler, die bis dahin die Parteien von Juschtschenko oder Timoschenko gewählt hatten.

Ob die Beteiligung bei den Protesten am Maidan der Partei genutzt haben könnte, wird sich wohl erst bei Wahlen herausstellen. Prinzipiell gilt Swoboda als politische Heimat von radikalen Demonstranten am Maidan. Die Swoboda wird aber höchstwahrscheinlich in die neue Regierung eingebunden werden, einstweilen hat Oleg Maknitzky (Oleh Makhnytsky) den Posten des Generalstaatsanwalts erhalten.

Ist Swoboda die einzige rechtsradikale Gruppe?

Nein, auch die Paramilitärs des rechten Sektors ("Prawny Sektor"), ein Zusammenschluss von mehreren nationalistischen und rechtsextremen Splittergruppen, fordern politischen Einfluss.

Der Rechte Sektor ist eine informelle Vereinigung von rechtsradikalen und neofaschistischen Splittergruppen. Erstmals trat die paramilitärische Organisation bei Protesten Ende November in Kiew in Erscheinung. Zu den sogenannten Selbstverteidigungskräften des Maidans steuert sie Hunderte Kämpfer bei, die meist an vorderster Front agieren und die Barrikaden bewachen.

Landesweit schätzt die Gruppierung selbst das Mobilisierungspotenzial auf 5.000 Menschen, Tendenz stark steigend. Die Mitglieder sind für ihr martialisches Auftreten bekannt. Sie tragen Tarnuniformen, Helme und Masken. Anführer Dmitri Jarosch gibt offen zu, über Schusswaffen zu verfügen. "Es sind genug, um das ganze Land zu verteidigen", sagte der 42 Jahre alte Philologe aus der Stadt Dnjeprodserschinsk dem US-Magazin "Time".

Am Samstag teilte der Interims-Innenminister mit, dass ein Vertreter des Rechten Sektors neben anderen Vertretern von Oppositionsgruppen einen Posten im Ministerium erhalten solle, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Kann die Ukraine auseinanderbrechen?

In westlichen Medien kursierten zuletzt verstärkt auch Teilungsszenarien. Diese werden aber immer unwahrscheinlicher, weil vor allem aus der Ukraine eine Mehrheit der Menschen und aller wichtigen Parteien gegen eine Spaltung sind. Die westlichen Befürchtungen hängten sich an der Annahme auf, dass Janukowitsch im Osten und Süden des Landes viele Unterstützer habe. Derzeit schaut es aber nicht so aus, als würde er das Land spalten können. Ein Indiz dafür wäre, dass die versuchte Flucht von Wiktor Janukowitsch, angeblich nach Russland, ausgerechnet im ostukrainischen Donezk vereitelt wurde, wo er seine stärkste Unterstützung genießt.

Auch die Krim-Tataren wenden sich im Gegensatz zu Teilen der russischsprechenden Bevölkerung gegen eine Abspaltung der Krim-Halbinsel. Es werde keinen Zerfall der zentralen Machtstrukturen und der Ukraine geben, sagte Ali Chamsin, Pressesprecher der Medschlis, des Parlaments der Krimtataren, zur APA. Der Erfolg der Euro-Maidan-Bewegung werde auch die Garantie für die europäische Integration der Ukraine sein: "Der größte Sieg, den wir in der allernächsten Zeit feiern, wird sein, dass wir ein Teil Europas sind." Chamsin geht davon aus, dass das Assoziierungsabkommen mit der EU bald unterzeichnet wird.

Worin bestehen nun die Herausforderungen der EU?

Die EU spielt eine zentrale Rolle, was die Normalisierung der Lage in der Ukraine betrifft. Aber auch Russland muss eingebunden werden. Zuallererst wird es überlebenswichtig für die Ukraine sein, den drohenden Staatsbankrott zu verhindern (der übrigens nicht zum ersten Mal droht). Das geht nur mit ausländischen Mitteln. Vielfach wurde und wird die EU jetzt dafür kritisiert, die spezielle Situation der Ukraine zwischen Russland und der EU ignoriert und so der Ukraine ihrem Schicksal überlassen zu haben. Diesen Fehler gilt es nun nicht zu wiederholen. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU übrigens aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.

Wie schlecht geht es der Ukraine wirtschaftlich wirklich?

Der Ukraine droht ein Staatsbankrott. Die neue, interimistische Führung in Kiew ruft nach ausländischen Finanzhilfen von 35 Milliarden US-Dollar, also rund 25,5 Milliarden Euro. Als Geber kämen der Internationale Währungsfonds (IWF), die EU und auch Russland infrage. Die Ukraine fordert eine umgehende Geberkonferenz. Bereits Ende 2013 wurde die Lage so bedrohlich, dass die Regierung praktisch handlungsunfähig war. Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit stiegen auf rund acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - auch wegender Weltfinanzkrise, die die Ukraine besonders hart traf.

Die Gesamtverschuldung kletterte Ende 2013 laut Schätzungen auf 41 Prozent des BIP. 2007 hatte der Wert noch bei 12,3 Prozent gelegen. Nur mit Finanzhilfen aus dem Ausland konnte die Regierung den Staatsbankrott verhindern. Russland sagte im Dezember 2013 Hilfe im Wert von 18 Milliarden US-Dollar (13,13 Mrd. Euro): 15 Milliarden US-Dollar (rund 11 Mrd. Euro) gab Moskau in Form kurzfristiger Kredite, drei Milliarden US-Dollar als Rabatt auf den Preis für russisches Gas. Als die Regierung in Kiew auf Druck der Opposition zurücktrat, stoppte Russland Ende Jänner seine Hilfen. Die US-Ratingagentur Standard & Poor's senkte danach die Kreditwürdigkeit der Ukraine auf "CCC+" und am 20. Februar weiter auf "CCC". Die jetzige Bewertung ist nur wenige Schritte von der Note "D" entfernt. Sie wird vergeben, falls Länder ihren aus der Kreditaufnahme resultierenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. (mhe, red, derStandard.at, 24.2.2014)