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Dirk Niebel am Telefon während einer Verhandlungspause der Koalitionsgespräche 2009.

Foto: Reuters/Thomas Peter

Turbulente Wochen lagen hinter Dirk Niebel als derStandard.at kurz vor der parlamentarischen Sommerpause beim deutschen Entwicklungsminister um einen Interviewtermin anfragte. Wenige Wochen zuvor hatte Israel Niebel die Einreise in den Gaza-Streifen verweigert. Der FDP-Minister und Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft reagierte eher undiplomatisch auf den Affront und richtete Israel aus, für das Land stehe es jetzt „fünf vor zwölf" in Bezug auf die Gaza-Blockade, was widerum für Irritationen sorgte. Später ruderte er zurück, bezeichnete die Formulierung als "unglücklich", nahm aber inhaltlich nichts davon zurück.

Unter anderem darüber wollten wir mit Dirk Niebel bei einem telefonischem Interview reden. Doch die ihm verweigerte Einreise in den Gaza-Streifen und die folgende diplomatische Verstimmung konnte dabei gar nicht besprochen werden. Denn nachdem rund ein Drittel der vorbereiteten Fragen gestellt und beantwortet waren, legte Niebel mit den Worten "Das Gespräch ist beendet" den Hörer auf.

Pressesprecher: "Ja, da reagiert er immer genervt"

Die Frage, die dazu führte, dass Niebel das Interview abbrach, betraf die Personalpolitik im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Seit seinem Amtsantritt hat Niebel dort kräftig aufgeräumt und die Staatssekretäre, alle Abteilungsleiter und die Pressestelle personell ausgetauscht. Durchaus ein üblicher Schritt, wenn ein neuer Minister ins Amt kommt. Schließlich muss er seinen engsten Mitarbeitern vertrauen können. Bei Niebel riefen die Personalwechsel allerdings Kritik hervor. Sogar der Personalrat des BMZ rügte, dass viele Stellen mit fachfremdem Personal besetzt worden seien.

Die Oppositionsparteien im deutschen Bundestag warfen Niebel zudem vor, Posten im Ministerium allzu leichtfertig an Parteifreunde zu vergeben. Besonders die Berufung von Friedel Eggelmeyer, FDP-Mitglied und Oberst außer Dienst, zum Abteilungsleiter im Ministerium wurde heftig kritisiert. Und auch derStandard.at wollte wissen: "Was qualifiziert den ehemaligen Kommandanten eines Panzerbataillons für den Job als Abteilungsleiter im Ministerium, außer dass er FDP-Mitglied ist?" Nach einem kurzen Wortwechsel, den wir hier nicht veröffentlichen dürfen, war das Gespräch dann beendet.

Niebels Pressesprecher im BMZ reagierte danach verständnisvoll auf die Schilderung dessen, wie es zum Abbruch des Gespräches kam: "Ja, bei dieser Frage reagiert der Minister immer sehr genervt", sagte er. Das Interview zum jetzigen Zeitpunkt weiterzuführen, sei nicht möglich. Stattdessen bietet er die vage Option, es zu "einem späteren Zeitpunkt" noch einmal neu zu starten. Da dieser spätere Zeitpunkt auf sich warten ließ, entschlossen wir uns, den schon geführten Teil des Interview zu veröffentlichen.

Das große Feilschen beginnt bei der Autorisierung

Darauf folgte der zweite Akt: Die Autorisierung des Textes des nur halb durchgeführten Interviews durch die Presseabteilung des Ministeriums. Plötzlich ist diese letzte vor dem Abbruch des Gespräches gestellte und auch von Niebel beantworte Frage komplett weggestrichen. "Das war der Punkt, an dem das Interview abgebrochen wurde. In dieser Form kann ich für diese Antwort keine Freigabe erteilen" (Hervorhebung im Original), begründet der Pressesprecher des Ministeriums diesen Schritt auf Nachfrage schriftlich.

Wir haben das akzeptiert. Und wir haben auch die anderen vielen kleinen Änderungen im Interviewtext akzeptiert - auch um diese Praxis bei Interviews zu dokumentieren. Beispiel: In der Antwort auf die Frage, ob denn das Ziel, bis 2015 mindestens 0,7 Prozent des deutschen BNP in die Entwicklungszusammenarbeit zu stecken, noch zu erreichen sei, wird aus einem Wort, welches die Zielerreichung unter den gegebenen finanzplanerischen Umständen klar ausschließt - das wir aber an dieser Stelle nicht zitieren dürfen - die nichts sagende und alles mögliche meinende Antwort: "Die Zielerreichung wird sportlich".

Normalerweise gibt es in solchen Fällen einen kleinen E-Mail-Verkehr mit der Pressestelle. Man bittet dieses oder jenes Zitat aus dem Originaldokument doch verwenden zu dürfen und akzeptiert dafür vielleicht an anderer Stelle eine Änderung. Man feilscht wie auf dem Basar und am Ende steht meist ein Kompromiss, der dem Journalisten eine knackige Titelzeile beschert und auch die interviewte Person zufriedenstellt. Denn man will es sich ja für die Zukunft nicht verscherzen mit den sogenannten Entscheidungsträgern.

Das scheinbare Gebot, Fragesituationen zu schaffen, in denen sich auch die interviewte Person wohl fühlt, verführt mitunter dazu, weniger hartnäckig nachzufragen, als es geboten ist. Auch derStandard.at hat schon einige Interviews geführt, bei denen der Wohlfühlfaktor eine größere Rolle gespielt hat als die durchaus umstrittene Lehrmeinung, wonach ein Interview so geführt werden müsse, dass es immer am Rande des Abbruchs steht. Dieses Interview ist leider in die andere Richtung schief gelaufen - auch weil wir auf einen Gesprächspartner trafen, der sich bei einem bestimmten Thema überraschend dünnhäutig zeigte. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 5.8.2010)