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Ein Obdachlosen-Lager im reichen Silicon Valley.

Foto: AP/Marcio Jose Sanchez

Im Valley liegt das individuelle Durchschnittseinkommen bei 107.000 Dollar und das Haushaltsmedianeinkommen bei über 90.000 Dollar – das ist vier- bis fünfmal so hoch wie in Österreich.Die Bevölkerung ist hier nicht nur sehr wohlhabend, sie ist gebildet (mehr als die Hälfte hat einen Collegeabschluss), jung und ethnisch divers. Eine Boom-Area, ein ökonomisches Schlaraffenland – ist das auch ein soziales Paradies? Mitnichten. Unreguliertes Wachstum bringt jede Menge negative Externalitäten. Was jeder Neuankommende zuerst erlebt, ist der überhitzte Immobilienmarkt. Standardhäuser mit einer Wohnfläche von ca. 150 m² gibt es nicht unter 1,5 Millionen Dollar. Um 2500 Dollar Miete gibt es ein Zwei-Personen-Apartment mit einem Schlafzimmer, ein Haus für eine Familie sehr selten unter 6000 Dollar.

Viele, die im Valley arbeiten, wohnen mittlerweile in San Francisco, wasdie Immobilienpreise auch dort zum Kochen bringt und die Bewohner nach Oakland verdrängt. Menschen mit normalen Berufen, beispielsweise die Lehrerinnen meiner Töchter, pendeln jeden Tag mindestens 90 Minuten mit dem Auto ins Valley ein.

Obdachlosigkeit "ante portas"

In der gesamten Bay Area leben 800.000 Menschen unter der Armutsgrenze und verdienen weniger als 12.000 Dollar pro Person im Jahr. Das sind über elf Prozent der Bevölkerung – San Francisco hat mit 13,8 Prozent Armutsrate die höchste der Region, liegt allerdings noch immer unter dem US-weiten Wert von 15,8 Prozent. Gleichzeitig gibt es im Valley ein Jobwachstum von fünf Prozent. Die neuen Jobs gehen offenbar vor allem an die Zuwanderer, die Arbeitslosigkeit ist hier strukturell und die Obdachlosigkeit ante portas. Mindestens 6500 Obdachlose gibt es im Santa Clara County, dem reichsten County der USA mit einem Haushaltsmedianeinkommen von 93.500 Dollar. In San Francisco sind zwischen 7000 und 15.000 Menschen obdachlos.

Diese krassen Gegensätze zwischen sehr reich und sehr arm halten der Mittelklasse ständig vor Augen, wie schnell es aus sein kann mit dem Wohlstand. Das Eis ist dünn. The Atlantic titelt im Mai "The Secret Shame of the Middle Class". 47 Prozent der Amerikaner antworten bei einer Umfrage der Federal Reserve, dass es sie vor unüberwindbare Probleme stellen würde, wenn sie außertourlich 400 Dollar (!) aufbringen müssten. Viele Menschen leben hier am absoluten Limit. Der Harvard-Soziologe Matthew Desmond beschreibt den Albtraum der amerikanischen Mittelklasse in seinem vielbeachteten BestsellerEvicted: die Delogierung. Dass Menschen aus finanziellen Gründen ihre Häuser und Wohnungen zwangsräumen müssen, ist in den USA etwas Alltägliches.

Druck auf Mittelklasse

Das extrem kompetitive Bildungssystem trägt zur Angst der Mittelklasse bei. Größte Sorge der US-Mittelklasse-Familie ist es, dass es ihre Kinder nicht auf ein gutes College schaffen. Fürs Wunschcollege nimmt man superteure Wohngegenden in Kauf, weil dort die öffentlichen Schulen besser sind. Die Schulfinanzierung ist in den USA zu 80 Prozent abhängig vom Wohlstand der Wohngegend, weil ein Großteil durch die lokale Vermögenssteuer und durch lokale Stiftungen bezahlt wird. Arme Gegend, schlechte Schulen: Im School District Palo Alto werden pro Schüler und Jahr 13.000 Dollar ausgegeben, in San Lorenzo südlich von Oakland nur 7000. Außerhalb Kaliforniens sind die Unterschiede noch krasser.

Um die Kids auf ein gutes College zu bringen, zahlen die Mittelklasse-Eltern horrende Summen fürs Wohnen, sie verzichten auf Urlaube und sparen überall. Trotzdem ist es nur schwer zu schaffen. Top-Universitäten wie Stanford, Harvard, Yale, Penn, das MIT haben Ablehnungsraten von über 90 Prozent,die University of California zwischen 80 und 90 Prozent. Dieser Druck lässt die Kids nicht unberührt.

Schülerselbstmorde

Das ist spätestens seit den Silicon-Valley-Selbstmorden bekannt. Zweimal schon, in den Jahren 2009/10 und 2014/15, kam es zu einer Häufung von Schülerselbstmorden an den beiden Palo-Alto-Highschools. Die Selbstmordrate ist dort vier- bis fünfmal so hoch wie im US-Schnitt. Diese beiden Schulen zählen aber auch zu den besten Highschools in den USA. Eine einmalige Schülerselbstmord-Häufung kann Zufall sein – eine zweite ist es dann nicht mehr. Zwölf Prozent der Schüler an den beiden Highschools geben an, schon einmal ernsthaft Selbstmord erwogen zu haben.

Als Reaktion hat Madeline Levine hat an der Stanford School of Education das Programm "Challenge Success" gestartet, um Eltern und Schulen dabei zu unterstützen, mit dem Druck und den Versagensängsten umzugehen. In einem vielbeachteten Buch beschreibt sie auch, warum sich gerade bei Kindern wohlhabender Familien emotionale Probleme und Drogenkonsum epidemisch verbreiten: The Price of Privilege. (Michael Meyer, 5.5.2016)