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Hatte ich etwas überhört beim Tauchgang der USS Ballhausplatz?

FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Irgendein Sender zeigte dieser Tage "Crimson Tide". Muss man nicht kennen, ein 20 Jahre alter U-Boot-Film, Gene Hackman und Denzel Washington in den Hauptrollen. Wer U-Boot-Filme mag, kann vermutlich ab der Szene nicht mehr wegschalten, die die USS Alabama beim Tauchgang zeigt: Die Bilder sind eindrücklich, das Meer ist groß und weit. Weil die Navy den Film nicht goutierte, charterte die Filmcrew einen Hubschrauber und filmte das U-Boot in freier Wildbahn, die Alabama sinkt und sinkt, auf der Tonspur singen Männerstimmen einen Choral, dann ist das Gefährt unter Wasser und das Meer wieder still. Schön, wirklich. Der Chor singt Amen. Dafür geht's jetzt drinnen zur Sache: Kapitän Gene Hackman hat Befehl, einen Atomtorpedo abzufeuern. Der Erste Offizier, Denzel Washington, ist dagegen. Es gibt eine Meuterei und dann eine Meuterei gegen die Meuterei, am Ende ist alles gut, und nichts Atomares wurde verschossen. Klar so weit? Und ja, natürlich sind Atomwaffen böse, U-Boote hässlich, Kriegsfilme Kitsch und Drehbücher meistens verlogen.

Die Brücke und die Verantwortung

Das Interessante an der Geschichte ist, dass die Autoren, und wir Zuseher mit ihnen, ganz konkrete Erwartungen an die fiktiven Verantwortungsträger haben: Wir wollen sehen, wie sie mit ihrer Verantwortung umgehen. Und es wird einiges geboten, der Kapitän und sein Erster Offizier reißen sich geradezu darum, Entscheidungen zu treffen, sie geraten einander in die Haare, in die Wolle, was auch immer. Sie haben, euphemistisch, einen ausgewachsenen Kompetenzkonflikt. Um jeden Preis will jeder von ihnen derjenige sein, der die Entscheidung trifft, im Bewusstsein, dass die eigene Entscheidung im Zweifel besser ist als die des anderen. Und dabei geht es nicht um Kinkerlitzchen, die Entscheidung, so will es die Dramaturgie, könnte immerhin einen Atomkrieg auslösen. Trotzdem kommt weder Gene Hackman noch Denzel Washington auf die Idee, in seine Kabine zu gehen und den Polster über den Kopf zu ziehen. Erst nachdem er seines Kommandos enthoben wurde, darf der Kapitän ganz privat mit seinem Hündchen in die Koje, man sieht ihm aber an, dass ihn das unrund macht. Auf eine ganz selbstverständliche, primitive, also dem Wortsinn nach ursprüngliche Art und Weise geht man bei "Crimson Tide" davon aus, dass in einer unübersichtlichen Situation die Leute auf der Brücke Verantwortung tragen. Das wiederum machte mich ganz schön unrund: Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier dem Österreicher falsche Werte vermittelt werden.

Hollywood kann von uns lernen

Man sollte, dachte ich, die Herren Seeoffiziere wissen lassen, dass sie danebenliegen mit ihrem Pflichtbewusstsein. Es wäre ihnen zu empfehlen, den Torpedoraum schleunigst an eine Privatfirma outzusourcen, um sich sodann in die Kabine zurückzuziehen. Erklärungen der Mannschaft gegenüber sind zu vermeiden, wird eine solche unvermeidlich, ist ein Unteroffizier vorzuschieben, gerne auch für Fernsehinterviews. Sonstige Zuständigkeiten liegen beim Bürgermeister. Es gilt der Grundsatz "Wer sich zuerst bewegt ist tot". Sollte irgendjemand irgendetwas ausprobieren wollen, ist dieses zu untersagen, sofern nicht in Deutschland seit Jahren praktiziert, oder gerade deswegen. Nebenher bleibt Zeit, Mitglieder von in Auflösung begriffenen Parlamentsparteien anzuheuern, man weiß ja nie, vielleicht sind es gute Ruderer.

Bei uns braucht man das nicht

Im Übrigen gibt es bei uns keine Atom-U-Boote, folglich keine Missstände, Notfälle oder gar Krisen. Darüber sind wir froh. Wer hin und wieder, gezwungenermaßen, doch eine Entscheidung trifft, vielleicht ein heldenhafter Beamter, der hält sich lieber bedeckt. Im Grunde ist jede Form der Hoheitsverwaltung suspekt, als noch Outzusourcendes, als nostalgischer Ballast einer überkommenen Staatsidee. Es ist ja alles gut bei uns. So gut, dass wir die Landesverteidigung schon vor Jahren stillschweigend eingespart haben. Es liegt, denke ich, vielleicht nicht an den verantwortungslosen Verantwortungsträgern, es liegt vielleicht daran, dass ihr Tun nicht gewünscht wird: mehr privat, weniger Staat – damit wir endlich nicht mehr Antragsteller sind, sondern glückliche Kunden. Wie gut das funktioniert, ist derzeit in Traiskirchen zu besichtigen.

Ich fragte mich, ob ich etwas überhört hatte beim Tauchgang der USS Ballhausplatz.

Einen Choral wohl nicht, vielleicht unsere Hymne, Söhne und Töchter? Bestimmt kein Amen. Ich lauschte, aber da war nichts.

Ein leises Blubb, höchstens.

Oder war es ein Gluck? (Christina Böhm, 19.8.2015)