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Wer sich mit seiner Studienwahl heute in Sicherheit wiegt, kann in der Zukunft falschliegen. Das zeigt ein Blick nach Südspanien.

Foto: REUTERS/Albert Gea

Ich habe bis jetzt Glück gehabt. Trotz eines geisteswissenschaftlichen Studiums war ich noch nie gezwungen, eine prekäre, schlecht oder, schlimmer noch, gar nicht bezahlte Arbeit anzunehmen. Bis heute hatte ich immer Jobs, die es mir erlaubten, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass ich den Fängen des Praktikum-Unwesens bisher entkommen bin, liegt mit ziemlicher Sicherheit daran, dass ich nach dem Studium nicht in Österreich geblieben bin. Im Ausland gibt es Nischen, die sich zu Hause schwer finden lassen. Aber es ist nicht jedermanns Sache, das zu verlassen, was der portugiesische Ministerpräsident Passos Coelho vor einigen Jahren einigermaßen zynisch als "Komfortzone" bezeichnete: Familie, Freunde, seinen Sprach- und Kulturraum. Vielen ist dies auch gar nicht möglich.

Inakzeptable Einstiegsbedingungen

Man muss sich nur ein bisschen in Wien umhören: Menschen mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund haben es nicht leicht. Es ist nicht so, dass sie nirgendwo gebraucht würden, wie vielerorts behauptet wird. Die Einstiegsbedingungen sind aber in den meisten Branchen inakzeptabel. Wer nicht bereit ist, eine Reihe kaum entlohnter Praktika zu absolvieren, schaut durch die Finger. Zum Schaden kommt dann auch noch der Spott hinzu.

Kurzsichtige Häme

Wenn jemand, wie unlängst Katharina Widholm im Userkommentar vom 8. Juli ("Generation Praktikum": Eine Polemik), auf Missstände hinweisen will, hagelt es sofort Häme. Neben sehr abschätzigen Postings finden sich unter Widholms Userkommentar auch gemäßigtere: Man müsse sich eben vor dem Studium informieren, wie die Aussichten seien. Man solle dann nicht jammern.

Ohne diesen Einwand völlig beiseite wischen zu wollen, möchte ich doch etwas dazu sagen: Es ist nicht nur menschlich fragwürdig, Leute zu kritisieren, die eine normale Bezahlung für ihre Arbeit einfordern, sondern auch kurzsichtig. Was heute der sogenannten "Irgendwas-mit-Medien-Fraktion" zu schaffen macht, kann morgen auch ganz andere betreffen. Vielleicht sogar die sich in Sicherheit wiegende "Technik-Fraktion".

Blick nach Südspanien

Ein Blick nach Südspanien kann hier lehrreich sein. Bis zum Platzen der Immobilienblase im Zuge der weltweiten Finanzkrise empfahlen Bildungsexperten andalusischen Schulabsolventen, bei der Studienwahl auf Nummer sicher zu gehen und sich für Bauingenieurswesen oder Architektur zu inskribieren. Als ich im Jahr 2010 Erasmus-Student in Sevilla war, hatten gefühlt vier von fünf arbeitslosen Akademikern einen bauwirtschaftlichen Hintergrund. Eine Bauingenieurin sagte mir einmal, dass sie etwas Interessanteres studiert hätte, wenn sie gewusst hätte, dass sie danach ohnehin arbeitslos sein würde.

400 Euro Entschädigung

Die missliche Lage vieler junger Menschen wird nicht nur in Spanien von Unternehmern mit Stundenlöhnen ausgenützt, die jeder Beschreibung spotten. Auch im Norden finden sich genügend Beispiele für Lohndumping und unklare Beschäftigungsverhältnisse. Ein Bekannter von mir, Architekt, beaufsichtigte im Sommer 2013 als Praktikant den Bau einer Turnhalle in Paris. Seine Chefs ließen ihn dabei die meiste Zeit allein. Eine Freundin baute 2014 ebendort allein verantwortlich Requisiten für einen Online-Werbespot eines großen Automobilkonzerns. Für einen Monat Arbeit bekam sie 400 Euro Praktikumsentschädigung.

Natürlich könnte man jetzt ausgiebig über eine willfährige Generation sprechen, der die Angst vor dem verpassten Berufseinstieg in allen Knochen steckt und die deswegen ein Verhalten an den Tag legt, das ihr selbst schadet. Aber ist es zielführend, am unteren Ende der Hierarchien die Verantwortlichen zu suchen? Ist es nicht Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Lohndumping verhindern?

In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die wahrscheinlich noch auf uns zukommen, täten Arbeitnehmer – und natürlich auch Arbeitslose – gut daran, zusammenzuhalten. Die Front verläuft nicht zwischen Mechatronikern und Germanisten, sondern anderswo. (Roman Kaiser-Mühlecker, 6.8.2015)