Die Wirtschaft will Wunderwuzzis, wenige schaffen es in fixe Stellen, sagt Veronika Kronberger, die mit 15 ihr erstes Geld verdiente. Für Rolf Gleißner, ehemals Praktikant, lassen sich Jobs nicht herbeiregeln.

Andy Urban

STANDARD: Herr Gleißner, haben Sie je unbezahlt gearbeitet?

Gleißner: Ja, ich habe Praktika gemacht. Eines bei der deutsch-arabischen Handelskammer in Kairo. Es hat mir sicher was für den Einstieg bei der WKO gebracht.

STANDARD: In der Wirtschaftskammer gab es von Anfang an Geld?

Gleißner: Ja, ich wurde bezahlt.

STANDARD: Frau Kronberger, womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?

Kronberger: Mit 15 bei einem Ferialjob im Golfclub Fuschl. Ich war hinter der Rezeption. Das war finanziell zufriedenstellend.

STANDARD: Gut 60 Prozent der Praktikanten in Österreich sind kostenlos zu haben. Gibt es eine ganze Generation zum Schnäppchenpreis?

Kronberger: Definitiv. Die Situation hat sich noch verschlimmert. Inserate, Ausschreibungen für unbezahlte Jobs nehmen massiv zu. Junge arbeiten oft nur für ein Taschengeld, für 200 bis 600 Euro im Monat. Oder es gibt Langzeitpraktika; das längste, das uns gemeldet wurde, ging über 24 Monate. Ein Akademiker erhielt dafür den Luxus von 1000 Euro.

Gleißner: Wir haben eine andere Wahrnehmung - diese 60 Prozent kann ich nicht nachvollziehen. Im Gewerbe gibt es viele Pflichtpraktika für Schüler, dort ist der Anteil der bezahlten Praktika deutlich höher. Es gibt Problembereiche, aber die betreffen einzelne Studienrichtungen und Branchen: Jobs in der Kultur etwa, in der Architektur, in Kreativberufen, Medien und NGOs. Es gibt keine Generation Praktikum. Was es gibt, ist ein enormer Andrang an Bewerbern bei zugleich wenig Beschäftigungsmöglichkeiten. Österreich hat außerdem ein Missverhältnis bei bestimmten Studienrichtungen, etwa bei Publizistik, Germanistik, Sozial- und Politikwissenschaft.

STANDARD: Probleme hat also lediglich eine kleine Minderheit?

Kronberger: Nein. Es begann in den 90er-Jahren bei den sogenannten Orchideenstudien. Heute sind alle Branchen betroffen, die Gastronomie etwa, der gesamte Sozial- und Gesundheitsbereich. Das Praktikumsproblem trifft derzeit vor allem auch stark Wirtschaftsstudien - den Jungen wurde eingebläut: Studiert Wirtschaft oder Jus, dann bekommt ihr einen Job. Jetzt haben wir Unmengen BWL-Studierende, die es schwerer haben als die angehenden Soziologen.

STANDARD: Wo Praktika draufsteht, sind Volontariate drin?

Kronberger: Viele Jungen sind in Umgehungsverhältnissen. Was so weit geht, dass 80 Prozent der Studierenden arbeiten und Joberfahrung haben - zusätzlich aber noch unbezahlte Praktika machen müssen, für den Nachweis sogenannter studienadäquater Ausbildung. Das führt zu hoher sozialer Selektion. Denn Junge abseits des gehobenen Bürgertums können in einzelne Berufsfelder gar nicht mehr einsteigen, weil sie sich das unbezahlte Arbeiten nicht leisten können.

Gleißner: Es gibt jedes Jahr bis zu 100.000 Praktikanten. 100 bis 200 Problemfälle sind bei Ihrer Watchlist Praktikum gemeldet. Da muss man die Relationen sehen. Der Arbeitsmarkt in Österreich funktioniert für Jugendliche immer noch gut. Praktikanten können rasch in das Berufsleben einsteigen.

STANDARD: Wobei die Hälfte der Berufstätigen unter 30 befristete oder freie Dienstverhältnisse hat, erhob das Forschungsinstitut Forba.

Gleißner: Dass prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen, lässt sich durch die Statistik nicht belegen. Teilzeit wächst stark. Fast alle anderen Segmente sind stabil.

Kronberger: Daten der Statistik Austria zu atypischen Beschäftigungsformen zeigen ein anderes Bild: 40 Prozent der freien Dienstverträge werden von unter 30-Jährigen absolviert.

Gleißner: Freie Dienstverträge sterben praktisch aus.

Kronberger: Das stimmt zum Glück - bei Werkverträgen ist das Gegenteil der Fall. Sie explodieren, sagt die Wirtschaftskammer; jährlich gibt es 15.000 neue. 87 Prozent der Hochschulabsolventen brauchen im Schnitt drei Jahre, bis sie einen unbefristeten Vollzeitjob bekommen, besagt eine Studie des Wissenschaftsministeriums.

Gleißner: All diese Zahlen widerlegen nicht meinen Befund über den gesamten Arbeitsmarkt. Es ist logisch, dass ich beim Jobeinstieg erst einmal eine Probezeit bekomme, dann eine Befristung. Das war auch bei mir so. Im internationalen Vergleich hat Österreich trotz des starken Tourismussektors wenig befristete Dienstverhältnisse.

STANDARD: Was bringen Praktikanten? Gerade kleinere Betriebe klagen oft über den hohen Aufwand.

Gleißner: Praktika sind für sie in erster Linie ein Rekrutierungsinstrument. Österreich hat im Arbeitsrecht die größte Regelungsdichte weltweit. Stell ich wen ein, muss ich 100 Gesetze mit 1000 Paragrafen beachten, bin von 100 Verwaltungsstrafen bedroht. Ein Praktikum ist eine gute Gelegenheit, sich Leute anzusehen, an die man sich bindet. Lehrlinge haben Praxiserfahrung. Ein AHS-Absolvent hat vielleicht nie Betriebe von innen gesehen. Bei Soziologiestudenten weiß ich nicht, ob sie etwa in Werbefirmen einsetzbar sind.

STANDARD: Aber kalkulieren viele Unternehmen nicht auch gern mit ihnen als billigen Arbeitskräften?

Gleißner: Die Kosten spielen kaum eine Rolle. Betriebe, die Praktikanten systematisch als Arbeitnehmer einsetzen, sind eine Minderheit. Diese decken wir nicht.

Kronberger: Ich erlebe das völlig anders. Im Sommer werden Praktikanten systematisch als Urlaubsvertretung eingesetzt. Karenzvertretungen laufen über eineinhalb Jahre unter dem Decknamen der Praktika. Viele werden via Werkvertrag absolviert, von 15- bis über 45-Jährigen, auch in Betriebspraktika, die das AMS vermittelt.

STANDARD: Konkrete Beispiele?

Kronberger: Da werden in Supermärkten monatelang Regale eingeräumt, ohne spätere Anstellung. Staatliche Betriebe bekommen gratis Leute in der Hoffnung, dass sie übernommen werden - was nicht passiert. Junge erhalten Lehrstellen nur, wenn sie zuvor gratis arbeiten. So passiert in Baumärkten. In der Gastronomie, im Handel wird von 15-Jährigen erwartet, dass sie unbezahlt für spätere Lehrstellen jobben. Das ist der soziale Super-GAU für Familien.

Gleißner: Noch einmal: Diese Fälle sind nicht repräsentativ. Es gibt zehntausende Praktika, die in Dienstverhältnisse münden. Umfragen und Studien zeigen, dass Uniabsolventen nach drei Monaten einen Job finden, dass 90 Prozent der Studenten und Schüler mit ihren Praktika zufrieden sind. Und die Akademikerarbeitslosigkeit ist mit drei Prozent gering.

Kronberger: Das stimmt, aber man darf sich nicht im Detail ansehen, was gearbeitet wird. Da sitzen viele Junge in einem halben Jahr im Callcenter oder fahren Taxi.

STANDARD: Wie stark färbt die hohe Arbeitslosigkeit auf die Lage ab?

Gleißner: Wir haben sechsmal so viele Uniabsolventen wie vor 40 Jahren. Viele Studien und Schulen schreiben Praktika vor. Betriebe sagen, Praktikanten rennen ihnen die Tür ein, sie wissen nicht, wohin mit ihnen. Zugleich stagniert aber seit vier Jahren die Wirtschaft, und die Privatwirtschaft ist begrenzt aufnahmefähig. Keiner kann erwarten, dass sich gute Jobs und Praktika herbeiregeln lassen. Früher gab es viele Jobs, für die keine besondere Qualifikation nötig war. Heute sind die Anforderungen schon an normale Stellen hoch. Die Jugend wurde nicht dümmer, aber die einfachen Jobs gibt es nicht mehr.

Kronberger: Ein Praktikum soll eine Ausbildung sein. Aber kaum eines hat damit ansatzweise was zu tun. In vielen Ausschreibungen wird Joberfahrung vorausgesetzt. Die Wirtschaft erwartet sich Wunderwuzzis, die im Ausland waren, mehrere Studienabschlüsse, jahrelange Berufspraxis haben.

STANDARD: Es gibt im Arbeitsrecht keine Legaldefinition für Praktika, sie sind gesetzlich im Graubereich.

Kronberger: Im Schulbereich gibt es gute Regelungen, im Hochschulbereich nichts. Keine Ziele, keine Qualitätsansprüche. Keiner weiß, wie Pflichtpraktika aussehen sollen. Das ist katastrophal. Weitere Baustelle sind versteckte Arbeitsverhältnisse. Regelungen gibt es hier nur in einem kleinen Teil der Kollektivverträge. Dann sind da noch die Volontariate, bei denen es keine Weisungsgebundenheit gibt, keine fixe Arbeitszeit, keine Integration in den Betrieb, keine Abhängigkeit. In der Realität findet das aber nicht statt.

Gleißner: Das bestreite ich. Wir haben enorme Regelungsdichte. Es gibt flächendeckend Kollektivverträge, strenge Kontrollen der Gebietskrankenkassen. Alle Gesetze sind da. Ich sehe vielmehr die Gefahr der Überregulierung, die dazu führt, dass sich Betriebe mit Jungen ohne Erfahrungen nicht plagen wollen. Es ist sinnvoll, in Studienordnungen Praktikumsinhalte zu präzisieren. 100-Prozent-Definitionen sind aber unmöglich, da Ausbildung und Leistung ineinanderfließen.

STANDARD: Was raten Sie Jungen, die in der Praktikumsschleife hängenbleiben?

Gleißner: Das Problem beginnt mit der Studienwahl, und dann sollte man offen für Praktika sein, sich vielleicht vorher erkundigen, wie die Verhältnisse dort sind. Als Junger hat man keine Unterhaltungsverpflichtung, lebt oft bei den Eltern. Da steht Erfahrungssammeln im Vordergrund.

Kronberger: Ich rate, so früh wie möglich zu arbeiten, am besten schon während der Schulferien. Ich rate aber massiv von unbezahlten Praktika ab. In der Regel lernt man hier wenig bis nichts - hier geht es großteils um Ausbeutung. Und ich warne vor zu vielen Praktika, das vermittelt Sprunghaftigkeit. Alles über drei schadet. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 16.4.2015)