Während hunderte Flüchtlinge an italienischen Bahnhöfen auf dem Asphalt schlafen oder ihnen an der Grenze die Weiterreise nach Frankreich verweigert wird und während Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu drastischen Mitteln greift, ringen die EU-Mitgliedsländer um Flüchtlingsquoten. Der Vorschlag der EU-Kommission, als Folge gestiegener Flüchtlingsströme die zahlreichen Migranten auf alle Staaten zu verteilen, erweist sich als Projekt mit offenbar geringen Erfolgsaussichten. Bereits im Vorfeld holten einige Länder zu scharfer Kritik aus, während sich jene Mitglieder, die bislang die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, wenig überraschend für einen verpflichtenden Verteilungsschlüssel aussprechen. Wenn am Dienstag die EU-Innenminister in Luxemburg zusammenkommen, wird einmal mehr dieser Graben innerhalb der EU sichtbar werden. Das erschwert natürlich die Entscheidungsfindung.

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Dieser Flüchtling wartet in der italienischen Grenzstadt Ventimiglia auf die Weiterreise nach Frankreich. Und Italien wartet auf Flüchtlingsquoten.
Foto: REUTERS/Eric Gaillard
  • Der Entscheidungsprozess

"Befinden sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedstaaten erlassen. Er beschließt nach Anhörung des Europäischen Parlaments." (Artikel 78.3 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union)

Für die Zustimmung der verpflichtenden Flüchtlingsquoten bedarf es einer qualifizierten Mehrheit, das bedeutet 55 Prozent der Mitglieder mit mindestens 65 Prozent der Bevölkerung. Die drei Länder Großbritannien, Irland und Dänemark haben sogenannte "Opt-out"-Klauseln wahrgenommen, sind also von diesem Bereich ausgenommen und nehmen daher auch nicht am Votum teil. Daher würde auch die Zustimmung von zumindest 14 statt ansonsten 16 Ländern reichen. Das EU-Parlament hätte nur eine untergeordnete, konsultierende Rolle.

Der tschechische EU-Botschafter Martin Povejsil kündigte in der vergangenen Woche aber an, von einer Klausel im Vertrag von Lissabon Gebrauch zu machen: Demnach kann jedes EU-Land bis 31. März 2017 ohne Angabe von Gründen eine Abstimmung nach dem alten Nizza-Vertrag fordern. Und dann wären bei einer Abstimmung der 25 EU-Staaten 72 Prozent Zustimmung möglich.

  • Die Positionen der Länder

Bei zahlreichen EU-Mitgliedern ist die Position gegenüber Flüchtlingsquoten klar, bei anderen hingegen noch offen (Details siehe unten). Zu den Befürwortern gehören Länder wie Griechenland, Italien, Deutschland, Schweden und Österreich, während viele osteuropäische Staaten sowie die iberischen Länder Spanien und Portugal strikt dagegen sind und stattdessen freiwillige Quoten vorschlagen. Offen ist die Positionierung unter anderem von den Niederlanden, Zypern oder Slowenien.

In EU-Rat-Kreisen hieß es vergangene Woche, dass zehn Länder für vorübergehende, aber verpflichtende Quoten seien, zehn andere Staaten für freiwillige Quoten und die restlichen fünf EU-Mitglieder noch nicht entschieden hätten. Im derzeitigen Abstimmungsmodus wäre eine Zustimmung also möglich, im Nizza-Zählsystem hingegen wäre man weit davon entfernt.

  • Aussichten

Aufgrund dieser verzwickten Lage könnte sich eine Entscheidung bis in den Herbst verschieben. Beim Treffen der EU-Innenminister am Dienstag wird nicht mit einer Einigung gerechnet, genauso wenig wie beim EU-Gipfel Ende Juni. Wegen der dann anstehenden Sommerpause dürfte eine Entscheidung also deshalb frühestens im September fallen. (ksh, APA, 16.6.2015)