Zur Person
Rainer Bauböck ist Professor für soziale und politische Theorie am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und leitete 2004–2006 ein vergleichendes Projekt über Staats­bürgerInnenschafts­politik in Europa.

Standard/Regine Hendrich

Über die Frage, wann MigrantInnen integriert sind, zermartern sich seit Jahren PolitikerInnen und ExpertInnen die Köpfe. Im derStandard.at-Interview erläutert Migrationsforscher Rainer Bauböck, welche Rolle die Einbürgerung für die Integration spielt und warum es ein demokratiepolitisches Problem ist, wenn zu viele Menschen in einem Staat nicht die StaatbürgerInnenschaft haben. Außerdem erklärt er, warum es demokratiepolitisch bedenklich ist, wenn die Einbürgerung von der sozialen Integration von MigrantInnen abhängig gemacht wird. Die Fragen stellte Sonja Fercher. 

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derStandard.at: Welche Funktion erfüllt die StaatsbürgerInnenschaft bzw. die Verleihung derselben grundsätzlich?

Rainer Bauböck: Von außen betrachtet, aus der Perspektive des internationalen Staatensystems, ist die Staatsangehörigkeit ein Ordnungskriterium, nach dem festgestellt warden kann, welcher Staat für welche Person zuständig ist. So ist etwa nach internationalem Recht jeder Staat verpflichtet, seine Staatsangehörigen zurückzunehmen, wenn diese anderswo ausgewiesen werden.

Allerdings ist dieses Kriterium nicht immer eindeutig. Während Staaten territorial klar von einander getrennt sind und es abgesehen von der Antarktis kein Land gibt, das nicht einem Staat gehört, so ist die Zuordnung von Menschen zu Staaten weniger eindeutig. Es gibt sowohl Staatenlosigkeit als auch eine rasch wachsende Zahl von mehrfachen Staatsbürgerschaften.

derStandard.at: Und von demokratischen Standpunkt aus betrachtet?

Bauböck: Hier bedeutet sie wesentlich mehr: nämlich erstens Anerkennung der Mitgliedschaft in einem sich selbst regierenden Staatsvolk, zweitens ein Bündel gleicher Rechte und Pflichten und drittens die Erwartung einer positiven Einstellung und aktiver Beiträge der Bürger zur Demokratie.

In Gesellschaften, die durch sprachliche, religiöse, ethnische oder soziale Gegensätze gespalten sind, bildet demokratische Staatsbürgerschaft im Idealfall die Grundlage für eine gemeinsame politische Identität, auf die sich alle einigen können.

derStandard.at: Ist es vor diesem Hintergrund nicht problematisch, in einem Land lebenden Menschen diese Rechte vorzuenthalten?

Bauböck: Wer sich auf Dauer in einer Demokratie niederlässt, hat Anspruch auf politische Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip auf zwei Arten erfüllt werden: über fairen Zugang zur Staatsbürgerschaft oder über ein Wahlrecht für niedergelassene Ausländer. Das Ausländerwahlrecht in nationalen Wahlen ist heute eher selten (derzeit in Neuseeland, Chile, Uruquay und Malawi; in Portugal, Großbritannien und einigen Commonwealthstaaten können sich Ausländer bestimmter Herkunft an nationalen Wahlen beteiligen).

Ausländerwahlrechte auf kommunaler Ebene sind dagegen in Europa weit verbreitet. In 14 EU Staaten können Drittstaatsangehörige auf Gemeindeebene wählen. Auf kommunale Ebene macht es auch Sinn, das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft abzukoppeln. Im Unterschied zum souveränen Staat erwirbt man das Bürgerrecht in der Gemeinde eben automatisch mit der Niederlassung. Für die Frage, wer auf kommunaler Ebene mitbestimmen soll, ist der Wohnsitz entscheidend und nicht die Staatsbürgerschaft. Es ist daher schwer zu verstehen, dass EU-Bürger nach kurzem Aufenthalt in der Gemeinde wählen dürfen, aber lang ansässige Drittstaatsangehörige sich zuerst einbürgern müssen.

derStandard.at: Wäre es nicht eine Sache von Gerechtigkeit, dass zumindest alle in einem Land geborenen Kinder theoretisch die gleichen Grundvoraussetzungen haben sollten, also etwa die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte und Pflichten?

Bauböck: In Einwanderungsländern, wie es heute praktisch alle alten Mitgliedsstaaten der EU sind, spricht viel für das jus soli, d.h. die automatische Einbürgerung bei Geburt im Inland. Für Kinder bildet natürlich die Gesellschaft, in der sie aufwachsen, den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen und daher sollten sie nicht als Ausländer behandelt werden, über deren Einbürgerung erst einmal entschieden werden muss.

Allerdings haben Kinder der zweiten Generation auch legitime Interessen an der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern. Praktisch alle Staaten anerkennen daher das jus sanguinis für die im Ausland geborene zweite Generation. Gegen ein amerikanisches jus sol kann man einwenden, dass es einerseits auch die Kinder illegaler Immigranten zu Staatsbürgern macht, andererseits aber jene nicht einschließt, die als Minderjährige mit ihren Eltern einwandern oder nachgeholt werden. Eine Alternative zum reinen jus soli wäre daher das schwedische Modell, nach dem minderjährige Kinder, die fünf Jahre in Schweden gelebt haben, einen unbedingten Anspruch auf die Staatsbürgerschaft haben.

derStandard.at: Macht es allerdings nicht auch Sinn, dass Staaten bei der Einbürgerung wählerisch sind?

Bauböck: Einwanderungsländer, die sich auch selbst als solche verstehen, sind durchaus wählerisch bei der Aufnahme von MigrantInnen, aber großzügig beim Zugang zur Staatsbürgerschaft.

In Europa herrscht dagegen der (überwiegend falsche) Eindruck, dass Einwanderung unkontrollierbar ist und gegen den Willen der Aufnahmeländer erfolgt. Daher gibt es entsprechend stärkeren Druck, bei der Aufnahme ins Staatsvolk selektiv zu sein. Die Folgen sind fatal, weil damit den ImmigrantInnen signalisiert wird, dass sie nicht willkommen sind und der einheimischen Bevölkerung, dass die ImmigrantInnen nicht integrierbar sind.

derStandard.at: Welche Bedeutung hat die Staatsangehörigkeit für die Integration von MigrantInnen: Kann sie als abgeschlossen ansehen, wenn MigrantInnen die StaatsbürgerInnenschaft erlangt haben?

Bauböck: Einbürgerung ist ein entscheidender Schritt in der politischen Integration, die Integration in die Gesellschaft ist dagegen ein längerer sozialer, ökonomischer und kultureller Prozess. Politische Integration ist in der Demokratie unerlässlich, weil ein demokratischer Staat nicht auf Dauer über eine große Bevölkerungsgruppe herrschen darf, die in der Gesetzgebung nicht repräsentiert ist.

Politische Integration durch liberale und offensive Einbürgerung kann daher auch nicht von der sozialen Integration abhängig gemacht werden, sonst fallen wir zurück ins Demokratieverständnis des 19. Jahrhunderts, in dem der pauperisierten Bevölkerung die vollen Bürgerrechte vorenthalten wurden.

derStandard.at: Sie halten also nicht viel davon, wenn die Einbürgerung erschwert wird?

Bauböck: Der Zugang zur Staatsbürgerschaft sollte im wesentlichen nur von der Aufenthaltsdauer abhängen. Das Lernen der Landessprache, die Förderung der Bildung der Kinder, die Anerkennung von Grundwerten wie der Gleichberechtigung der Geschlechter, all das sind wichtige Integrationsziele. Hohe Barrieren für die Einbürgerung fördern die soziale Integration aber nicht, sondern erschweren sie. (Sonja Fercher, derStandard.at, 21.8.2007)