Keine Gewerkschaft kann es sich leisten, auf Bemühungen zu verzichten, Migranten zu gewinnen.

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Robert Schediwys Thesen in seiner Replik vom 2. September lassen sich im Grunde auf einen Punkt reduzieren: Die Arbeiterschaft sei von ihrem natürlichen Interesse stets zuwanderungskritisch eingestellt. Alles andere sei eine praxisfremde und gefährliche Ideologie, welche nur der extremen Rechten in die Hände spielen würde. Im Userkommentar vom 9. August habe ich geschrieben, dass bereits die Entstehung moderner Gewerkschaften ohne "Internationalismus" undenkbar wäre. Es waren in erster Linie eben nicht die Nationalisten, sondern die "Ideologen" der (marxistischen) Sozialdemokratie, die in den 1880er-Jahren gewerkschaftliche Modelle entwickelten, die sich um 1900 massiv mit Leben füllten. Ganz offenbar trafen ihre Vorschläge nach Öffnung der ehemals geschlossenen und lokalen Handwerkervereine für Frauen, Migranten, Hilfskräfte und deren (internationaler) Verbindungen die Bedürfnisse der Industriearbeiterschaft unter den Bedingungen der damaligen Globalisierung.

Ein Musterbeispiel dafür stellen die Beschlüsse des Sozialistenkongresses 1907 dar, auf die sich Schediwy beruft. Tatsächlich erklärte nämlich der Kongress seine Solidarität mit den "Wandernden" und verband den Kampf um Freizügigkeit als Arbeitnehmerrecht (!) mit der gemeinsamen Verteidigung erreichter Standards. Statt eine nationale Abschottungspolitik gegenüber Streikbrechern zu betreiben, beschloss man zudem auf internationaler Ebene eine Namensliste entsprechender Personen zu erstellen. Grenzenlos geht es eben – auch gegenüber Streikbruch – gewerkschaftlich besser; so die ganz praktische Erkenntnis.

Internationale Solidarität ist Gewerkschaftspraxis

Und heute? Keine Gewerkschaft kann es sich leisten, ohne internationale Arbeit zu existieren. Beziehungsweise auf Bemühungen zu verzichten, Migranten zu gewinnen. Bemerkenswert: Vor allem jene Bereiche, die besonders stark von Globalisierung und Migration betroffen sind, haben dies früher erkannt als andere. Das gilt beispielsweise für Gewerkschaften in Grenzregionen, die sich – wie im Burgenland – am Aufbau besonderer interregionaler Strukturen beteiligen. Oder für das Gastgewerbe, wo die Gewerkschaftspraxis schon lange von Mehrsprachigkeit et cetera geprägt ist.

Demgegenüber ist der Versuch, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als Verteilungskampf zwischen sogenannten In- und Ausländern zu definieren, nicht nur übler Rassismus. Er ist auch übler Populismus, weil mit den "Asylmillionen" – anders als die FPÖ behauptet – eben keineswegs die Milliardenlöcher in den Sozialsystemen gestopft werden können (sondern viel eher durch eine Wertschöpfungsabgabe). Oder weil ein Zuwanderungsstopp eben nicht einfach automatisch Arbeitsplätze für "unsere Österreicher" bringen würde (weil die momentane – in der Regel übrigens völlig legale – Migration vor allem zu Verdrängungsprozessen unter Migranten am Arbeitsmarkt führt).

Der Ansatz der Abschottung ist daher Gift für eine effiziente Strategie, aber auch den Organisationskörper der Gewerkschaften in der realen Welt der Globalisierung sowie der Migrationsgesellschaft. Und damit praxisfremd und gefährlich. (John Evers, 13.9.2016)