In der Nacht von Freitag auf Samstag kam es in der Wiener Innenstadt zu einer ersten Spontandemonstration gegen die Vorkommnisse in der Türkei.

apa

Am Tag darauf wurde wieder demonstriert. Der Abschluss fand auf dem Heldenplatz statt.

apa

Wien – Seit es am Wochenende nach dem vereitelten Putsch in der Türkei in Wien zu Protestmärschen von tausenden Türken gekommen ist, wird auch in Österreich über die Grenzen des Demonstrationsrechts diskutiert. Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) will über Einschränkungen bei unangemeldeten Versammlungen reden, wie er im "Kurier" sagte. Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ibrahim Olgun, wiederum hat die Demos verteidigt.

DER STANDARD nimmt die Diskussion zum Anlass, um die wichtigsten Fragen zum Versammlungsrecht und zu den Vorgängen am Wochenende zu beantworten:

Frage: Dürfen alle in Österreich lebenden Menschen Demonstrationen abhalten?

Antwort: Grundsätzlich gilt: Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht, das nicht nur im Staatsgrundgesetz (Artikel 12), sondern auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 11) geregelt ist. Die Versammlungsfreiheit stellt aber auf die österreichische Staatsbürgerschaft ab. Wörtlich heißt es in Paragraf 8 des Versammlungsgesetzes: "Ausländer dürfen weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter einer Versammlung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten auftreten."

Frage: Gilt dieses Verbot denn uneingeschränkt?

Antwort: Auf der Homepage der Wiener Landespolizeidirektion wird zusätzlich angeführt, dass diese Einschränkung nicht für EU-Staatsangehörige gilt – und in der Praxis wird das von der Polizei auch so vollzogen. Das gilt für Veranstalter, Ordner oder Leiter einer Versammlung. Grundlage für diese Interpretation ist wiederum die Menschenrechtskonvention.

Frage: Kann man jederzeit drauflosmarschieren, oder müssen Versammlungen von den Behörden genehmigt werden?

Antwort: Eine Genehmigung durch die Sicherheitsbehörden ist nicht erforderlich. Allerdings müssen Versammlungen mindestens 24 Stunden vor der Abhaltung bei den Behörden angemeldet werden.

Frage: Wann dürfen Versammlungen untersagt oder aufgelöst werden?

Antwort: Immer dann, wenn gegen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes verstoßen wird, haben die Behörden Versammlungen "zu untersagen und nach Umständen aufzulösen". Jede unangemeldete Demonstration kann also theoretisch jederzeit aufgelöst werden.

Frage: Was darf man sich unter der rechtlichen Formulierung vorstellen, wonach illegale Versammlungen "nach Umständen" aufzulösen sind?

Antwort: Hier kommt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ins Spiel. Sicherheitsbeamte müssen also immer abwägen, ob ein Einschreiten verhältnismäßig wäre oder ob die Situation durch die Auflösung möglicherweise weiter eskaliert.

Frage: Wurden die Pro-Erdogan-Versammlungen in Wien, die in der Nacht auf Samstag und am Samstag stattgefunden haben, deshalb nicht aufgelöst? Schließlich kam es bei der zweiten zu Sachbeschädigungen – der Gastgarten eines Lokals der türkisch-kurdischen Restaurantkette Türkis wurde demoliert.

Antwort: Ja, der Sprecher der Wiener Polizei, Patrick Maierhofer, verweist auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Bei der ersten Demo am Freitag sei es zu keinen strafrechtlich relevanten Tatbeständen gekommen. Am nächsten Tag gab es zwar die erwähnte Sachbeschädigung sowie in weiterer Folge zwei bis drei Körperverletzungen, denen die Polizei nachgeht und bei denen vermutet wird, dass sie von Kundgebungsteilnehmern begangen wurden. Eine Auflösung der Demo, an der rund 1.200 Menschen teilnahmen, wäre aber nur gewaltsam möglich gewesen, was eindeutig nicht verhältnismäßig gewesen wäre, sagt Maierhofer. Aufgelöst würden Versammlungen daher nur bei massiven Körperverletzungen oder massiven Sachbeschädigungen, was sehr selten der Fall sei.

Frage: Welche Strafen drohen, wenn man gegen das Versammlungsgesetz verstößt?

Antwort: Sechs Monate Arrest oder Geldstrafen bis zu 720 Euro. Die Wiener Polizei hat nun auch wegen der beiden unangemeldeten Demos am Wochenende Anzeigen erstattet. Mithilfe des Verfassungsschutzes wird versucht, die verantwortlichen Organisatoren ausfindig zu machen. Darüber hinaus gilt natürlich das allgemeine Strafrecht. Ermittlungen laufen beispielsweise noch hinsichtlich der erwähnten Fälle von Körperverletzung, wobei hier aber noch nicht endgültig geklärt ist, ob es einen Zusammenhang zu den Demos gibt.

Frage: Wird es nun zu Nachschärfungen bei den gesetzlichen Bestimmungen kommen?

Antwort: Das ist noch vollkommen offen. Justizminister Brandstetter, der die Diskussion über Einschränkungen bei unangemeldeten Versammlungen ausgelöst hat, verweist auf das in der Sache zuständige Innenministerium. Dort will man sich noch nicht festlegen. Man sei offen für eine Diskussion. Da es sich beim Demonstrationsrecht aber um ein "heikles Thema" und Grundrecht handle, wolle man nicht mit Schnellschüssen vorpreschen, sagt eine Sprecherin von Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP). "Wir wollen das zuerst intern diskutieren."

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim sieht in den Demos vom Wochenende zwar einen "eklatanten Missbrauch" des Demonstrationsrecht, glaubt aber nicht, dass an den Gesetzen etwas geändert werden muss, weil es ohnehin die erwähnten Bestimmungen gegen unangemeldete Versammlungen gibt. Jarolim sieht vor allem die internationale Staatengemeinschaft gefordert, sich mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu beschäftigen. Es könne nicht sein, dass ein Staatsoberhaupt seine "Position missbraucht, aufhetzerische Botschaften absetzt und Türken in der ganzen Welt auffordert, öffentliche Plätze zu besetzen", so Jarolim.

Zur Vorsicht mahnen jedenfalls die Grünen: "Die Versammlungsfreiheit ist verfassungsrechtlich verankert und kein Experimentierfeld, auf dem man aus einer Laune heraus über Einschränkungen nachdenkt. Es wäre schon geholfen, würden die geltenden Gesetze zur Anwendung kommen", sagt Justizsprecher Albert Steinhauser. (Günther Oswald, 20.7.2016)