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Durfte nach den historischen Wahlen im November 2015 nicht selbst das wichtigste politische Amt im Land übernehmen: Aung San Suu Kyi.

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So wurde ihr Vertrauter Htin Kyaw zum ersten zivilen Präsidenten des Landes seit Jahrzehnten gewählt.

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Seine Wahl vergangenen Dienstag wurde live im Fernsehen übertragen.

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Das Militär nimmt weiter eine starke Rolle im Land ein.

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"Welcome Mr. President": Graffiti in Mandalay.

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Wie oft passiert das schon? Nach einem Wahl-Erdrutsch-Sieg dank eines starken politischen Zugpferdes kann dieses politische Zugpferd selbst nicht das wichtigste politische Amt im Land übernehmen. Freiheitsikone Aung San Suu Kyi geht es so in Burma (Myanmar), sie kann dank der geltenden Verfassung, die von der ehemaligen Militärregierung geschrieben wurde, das Präsidentenamt nicht bekleiden.

In den vergangenen Wochen hat es kurz noch einmal so ausgesehen, dass Verhandlungen zwischen der Friedensnobelpreisträgerin und dem Militär noch eine Möglichkeit eröffnen könnten zu einer Verhandlungslösung. Doch dann hat Suu Kyi die erstbeste Alternative gewählt: Sie hat ihren Langzeitvertrauten als Präsidentschaftskandidaten nominiert und das Parlament hat Htin Kyaw dann vergangenen Dienstag auch gewählt. Präsident Thein Sein und der Commander in Chief Min Aung Hlaing haben zugestimmt, und somit ist der Weg frei für den ersten zivilen Präsidenten in Burma seit 50 Jahren. Das bringt ein Ende für eine lange Übergangszeit, die mit der 2008 von den Militärs verfassten und verabschiedeten Verfassung begonnen hatte.

Zu hohe Erwartungen

Ein Land ist vorsichtig optimistisch, in der größten Stadt Yangon nimmt seit den historischen Wahlen im November 2015 alles wieder seinen gewohnten Gang. Doch eines hat sich geändert: Es liegt mehr Hoffnung in der Luft, Hoffnung auf eine wirkliche demokratische Zukunft. Die Erwartungen wachsen damit, und ziemlich sicher wird von Aung San Suu Kyi zu viel erwartet. Die Aufgaben sind riesig, auch sie wird keine Wunder wirken können.

Eines ist klar: Suu Kyis Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), und alle wichtigen Proponenten haben keinerlei Regierungserfahrung – wie auch, fast jeder sechste Parlamentarier war ein politischer Gefangener. "Die Lady", wie sie immer wieder liebevoll von den Burmesen genannt wird, hat daher nicht viel Zeit, echte Fortschritte zu zeigen. Lange kann sie sich nicht auf ihrem Status der Nationalheldin ausruhen. Nach spätestens zwei Jahren erwarten Experten Kritik, falls der Fortschritt bei wichtigen Themen stockt.

"Modell Indonesien"?

Und die Lage ist kompliziert: Die Kämpfe im längsten Bürgerkrieg der Welt sind gerade wieder neu entflammt, vor allem an der Grenze zu China. Im Shan-Staat ist wieder Ausnahmezustand verhängt worden. Bezüglich Pro-Kopf-Einkommen bleibt Burma eines der ärmsten Länder der Welt.

Korruption ist endemisch, die Bevölkerung ist traumatisiert und das Militär, aus dessen Misswirtschaft viele Probleme herrühren, wird nicht über Nacht verschwinden. Im Gegenteil, im Moment scheint sich eine Art "Modell Indonesien" anzukündigen, also ein sehr langsamer Rückzug des Militärs aus politischen, ökonomischen und sozialen Machtstrukturen. Suu Kyi wird sich daher nicht in Komplettopposition zum Militär stellen können, sondern Fortschritte in Politikfragen werden von der Kooperation zwischen NLD und dem Militär abhängig sein.

Das betrifft alle Fragen von Belang, wie zum Beispiel Fragen der Landenteignung, die Freilassung politischer Gefangener oder den Friedensprozess.

Was ist zu erwarten?

Durch diese weiterhin starke Rolle des Militärs, die in der Verfassung festgehalten ist – das Innen-, Grenzschutz- und Verteidigungsministerium werden von der Armee geleitet und auch im Parlament sind 25 Prozent aller Sitze für die Armee reserviert –, wird eine echte Vergangenheitsaufarbeitung noch auf sich warten lassen.

Wie weit die NLD das Wahlkampfversprechen von "Time for Change" also umsetzen wird können, bleibt abzuwarten, auch weil etwa im höchsten Gremium des Landes, dem Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat, das Militär weiter eine Stimmenmehrheit hat.

Programmatische Ansagen waren von der neuen Regierungspartei und deren Chefin bisher sehr selten. Das ist umso verständlicher, als man das Militär nicht verärgern wollte, dessen "Good Will" für weitere Fortschritte hin zu einer echten Demokratie notwendig ist. Bisher wurde nur ein eher schwaches Wahlmanifesto veröffentlicht, zu erwarten ist aber, dass wirtschaftliche Entwicklung, der Friedensprozess sowie Kampf gegen Korruption und beginnende Föderalismusverhandlungen Hauptpunkte der politischen Agenda sein werden. Viel wird dabei vom politischen Geschick der Lady abhängen, denn neue Konflikte drohen nur das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen.

Viele Beobachter wünschen sich eine klarere Linie gegenüber dem mächtigen Nachbarn China, dem oft vorgeworfen wird, einen Proxikrieg an der Grenze zu unterstützen. China ist einer der Hauptprofiteure von Rohstoffexporten aus Burma.

Ob sich das Land zu einer gesunden Demokratie weiterentwickeln kann, wird auch von einer besseren Gewaltenteilung abhängig sein, denn jetzt kann eine Partei die Exekutive und Legislative kontrollieren. Die Justiz ist aber in Burma bekannt unverlässlich. Daher gilt es, dort – auch mit internationaler Hilfe – stärkere Institutionen und bessere Kapazitäten aufzubauen.

Aufbruch in neue politische Zukunft

Kurz gefasst: An Themen, die es zu lösen gilt, mangelt es nicht. Ein super-armes Land ohne echte demokratische Erfahrung bricht in eine neue politische Zukunft auf, deren Herausforderungen auch in einer etablierten Demokratie nur schwer bewältigbar sind.

Wird Aung San Suu Kyi das schaffen? Mit Spannung warten Beobachter auf eine Art Regierungserklärung, die mehr Klarheit geben soll. Zentral wird auch die Unterstützung von außen sein und wie sehr Suu Kyi ein echtes umfassendes Engagement mit allen Stakeholdern im Land erreichen wird können. Stakeholder, die durch mangelndes Vertrauen nach Jahrzehnten der Ausbeutung zur Kooperation erst überzeugt werden müssen.

Am 1. April beginnt die Amtszeit des neuen zivilen Präsidenten offiziell. Es bleibt zu hoffen, dass der überraschend stetige Wandel Burmas zurück in die demokratische Staatengemeinschaft dynamisch weitergeht.

Klar ist, dass Burma seinen eigenen Weg geht – hin zu mehr Demokratie. Ein Weg, den nicht alle Staaten in Südostasien aktuell beschreiten. (Harald Friedl, 22.3.2016)