Wien – Harald Petz wollte erst gar nicht verhehlen, wie enttäuscht er von der Politik ist. Er sei "geschockt", mit welchen Begründungen SPÖ und ÖVP eine große Demokratiereform ablehnen, sagte Petz. Er war einer von acht per Los ermittelten Bürgern, die gemeinsam mit einer parlamentarischen Enquetekommission Modelle zum Ausbau der direkten Demokratie erarbeiten sollten.

Eigentlich sollte die Gruppe, die am Mittwoch das letzte Mal tagte und die seit Dezember 2014 zahlreiche Experten lud, festlegen, unter welchen Voraussetzungen es nach erfolgreichen Volksbegehren verpflichtende Volksbefragungen geben soll. Bisher wurden Volksbegehren ja sehr oft einfach schubladisiert.

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Wie umgehen mit erfolgreichen Volksbegehren? Darauf fanden die Parteien keine gemeinsame Antwort.
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Kompromiss stand schon

Vor zwei Jahren gab es sogar schon einen Kompromiss zwischen SPÖ, ÖVP und Grünen. Demnach sollte immer dann eine (ohnehin nicht bindende) Volksbefragung durchgeführt werden, wenn zehn Prozent der Wahlberechtigten ein Volksbegehren unterschreiben. Bei Verfassungsänderungen sollte die Hürde 15 Prozent sein.

Nach Kritik vom Bundespräsidenten und von anderen Stellen ruderte man aber zurück und setzte die Kommission ein. Nun wollen die Regierungsparteien, wie erstmal bereits im Sommer verkündet wurde, nur mehr kleinere Reformen. In den Ländern und Gemeinden soll die direkte Demokratie ausgebaut werden, für die Bürger soll es künftig – ähnlich wie in der Schweiz – objektive "Abstimmungsbüchlein" zum jeweiligen Abstimmungsthema geben, wie SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann erklärte.

Eigene Sitzungen

Volksbegehren, die von mehr als 100.000 Leuten unterschrieben werden, sollen künftig in einer eigenen Parlamentssitzung behandelt werden, bei der die Proponenten auch ein Rederecht haben. Bei Gesetzesvorhaben soll es online eine Art Vorverfahren geben, an dem sich Interessierte beteiligen können.

Für FPÖ, Grüne, Neos und Team Stronach geht das viel zu wenig weit. Sie haben bereits am Dienstag einen Minderheitenbericht veröffentlicht. Für FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan ist nun klar, dass die Regierungsparteien gar nie ein Interesse am Ausbau der direkten Demokratie hatten. Ähnlich die Grüne Daniela Musiol: Sie warf Rot und Schwarz vor, nie einen Kompromiss versucht zu haben. Für Neos-Vertreter Nikolaus Scherak spricht die Koalition der Bevölkerung die "Mündigkeit" ab.

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Das Bildungsvolksbegehren wurde 2011 immerhin von fast 400.000 Menschen unterschrieben, umgesetzt werden musste es dennoch nicht.
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ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl möchte die Kritik im STANDARD-Interview so nicht stehenlassen und stellt auch einen neuen Anlauf für verpflichtende Volksbefragungen in Aussicht.

STANDARD: Einer der Bürgervertreter hat sich im Parlament "geschockt" gezeigt, dass trotz aller Versprechen nun nach erfolgreichen Volksbegehren keine automatische Volksbefragung oder Volksabstimmung kommt. Was sagen Sie dem?

Gerstl: Dass grundlegende Änderungen der Verfassung immer einer Zwei-Drittel-Mehrheit bedürfen. Wir brauchten ein neues Wir-Gefühl im Parlament.

STANDARD: Aber es gab schon einen gemeinsamen Entwurf von SPÖ, ÖVP und Grünen.

Gerstl: Der fast nur auf Kritik gestoßen ist – beim Bundespräsidenten, bei den Höchstgerichten. Die Einwände gingen auch in unterschiedliche Richtungen. Es gab dann keinen gemeinsamen Willen, diese Kritik einzuarbeiten. Ich sehe hier klar die Opposition in der Verantwortung. Es erschüttert mich auch, dass das nicht möglich war, weil ich ein Verfechter eines Umbaus der Verfassung bin.

STANDARD: Man hat aber schon das Gefühl, dass die Regierungsparteien nach der Kritik vom Präsidenten abwärts kalte Füße bekommen haben.

Gerstl: Nein, das hängt nicht mit kalten Füßen zusammen, sondern mit unserem Anspruch, es gut zu machen. Wir können nicht Regelungen beschließen, die von jedem Juristen an jeder Uni zerlegt werden. Das hat keinen Sinn.

STANDARD: Die Wähler könnten sich aber schon gepflanzt fühlen. Der frühere ÖVP-Chef Spindelegger hatte automatische Bürgerabstimmungen noch zur Koalitionsbedingung erklärt.

Gerstl: So darf man das nicht stehenlassen. Wir werden eine große Änderung durchführen. Die Länder und Gemeinden sollen künftig häufiger Volksabstimmungen und Volksbegehren durchführen. Wir wollen diese derzeit noch vorhandene verfassungsrechtliche Grenze aufbrechen.

STANDARD: Der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger hat in der Enquete aber auch erklärt, dass das bei den Ländern mangels Kompetenzen wenig bringt.

Gerstl: Er hat aber auch gesagt, dass es auf Gemeindeebene viele Möglichkeiten gibt. Wir werden uns das anschauen. Wenn es intensiv genutzt wird, können wir den nächsten Schritt auf Bundesebene setzen.

STANDARD: Dann würde man also einen neuen Anlauf starten?

Gerstl: Selbstverständlich. Direkte Demokratie ist ein ständiger Prozess. Jetzt wird ein erster großer Schritt gesetzt, dem weitere folgen sollen. (Günther Oswald, 16.9.2015)