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Zu hohe Arbeitsloseneinkommen? Das durchschnittliche monatliche Arbeitslosengeld 2013 lag bei 854,7 Euro im Monat. Die durchschnittliche monatliche Notstandshilfe bei 690,5 Euro. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt knapp über 1000 Euro.

Foto: APA/Neubauer

Wien – Finanzminister Hans-Jörg Schelling wirbelte am Wochenende viel Staub auf. "Es ist auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu finden, weil das Arbeitsloseneinkommen fast genauso hoch ist wie das Arbeitseinkommen. In Deutschland gibt es mit Hartz IV ein Modell, das offenbar besser funktioniert", sagt er im STANDARD-Interview.

Viel Sympathie gab es für diese Aussage nicht. Einzig ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel verteidigte Schelling gegen einen Hagel an Vorwürfen:" Schelling habe "vollkommen recht, dass Arbeitsanreize fehlen, wenn die erhaltenen Leistungen ohne Arbeit fast genauso hoch sind wie ein Arbeitseinkommen. Genau hier gilt es anzusetzen", sagte Blümel in einer Aussendung.

Heftige Kritik

Sehr viel heftiger äußerte sich das Gegenlager. Ebenso wie die SPÖ orten der ÖGB, die FPÖ und die Grünen einen Versuch, das Arbeitslosengeld zu senken und protestieren heftig dagegen: Nicht das Arbeitslosengeld sei zu hoch, sondern die Mindestsicherung biete die falschen Anreize, sagte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. ÖGB-Präsident Erich Foglar warf Schelling vor, eine Demontage des Sozialstaates anzustreben. Foglar schwant in einer Aussendung nichts Gutes: "Der Finanzminister denkt offenbar darüber nach, die Notstandshilfe (übrigens eine Versicherungsleistung, die von den Bezieherinnen und Beziehern vorher erarbeitet wurde) abzuschaffen und eine Sozialhilfe nach deutschem Vorbild einzuführen. Davon könne er nur abraten, so der ÖGB-Präsident. Mittlerweile sei längst belegt, dass die Sozialausgaben durch Hartz IV explodieren würden, da immer höhere Beihilfen ausbezahlt werden müssten, damit die Menschen über die Runden kämen.

"Fassungslos über so viel arrogante Unwissenheit" reagieren die Grünen Abgeordneten Birgit Schatz und Judith Schwentner. "Bei einer Nettoersatzrate von 55 Prozent könne man kaum davon sprechen, dass das Arbeitslosengeld auch nur annähernd so hoch sei wie ein angemessenes Erwerbseinkommen. Fakt sei vielmehr, dass Arbeitslosigkeit in Österreich wegen des niedrigen Arbeitslosengeldes der Einstieg in die Armut sei. Für Sozialsprecherin Schwentner ist mit Schellings Aussagen klar, dass dieser keine Ahnung von der Realität habe. Mittlerweile seien Phasen der Arbeitslosigkeit Bestandteil in den meisten Erwerbsleben.

Abwärtsspirale

Auch die Armutskonferenz warnte vor einer Abwärtsspirale für die Einkommensschwächsten und einer Verschärfung der Armutssituation. In eine ähnliche Kerbe schlägt FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian der erläutert, dass durch Hartz IV in Deutschland die Zahl der Menschen, die unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten, stark gestiegen sei. Mehr als sechs Millionen Deutsche seien zur Sicherung des Lebensunterhalts auf staatliche Hilfe angewiesen und rund 1,3 Millionen Deutsche seien arm, obwohl sie erwerbstätig sind. Hartz IV bringe die Menschen auch nicht in Arbeit verwies Katzian darauf, dass zwei Drittel aller Hartz-IV-Bezieher die Leistung seit 24 Monaten oder noch länger beziehen. Team Stronach-Klubobfrau Waltraud Dietrich lehnte eine Bestrafung von Menschen, die keine Arbeit finden, ab, meinte aber gleichzeitig, dass jene, die arbeiten, mehr verdienen müssten als jene, die "in der sozialen Hängematte liegen bleiben". Um Arbeitsplätze zu schaffen, bekräftigte sie ihre Forderung nach einer Entlastung des Faktors Arbeit.

Weniger Arbeitslosengeld als in Deutschland

Und wie sieht es in Österreich tatsächlich aus? Hierzulande gibt es zwar kein Hartz IV, in manchen Punkten ist das österreichische Arbeitslosengeld-System allerdings sogar schlechter als die deutschen Hartz-Regelungen. Wer in Österreich seine Arbeit verliert, bekommt unmittelbar nach dem Jobverlust weniger Arbeitslosengeld als in Deutschland. Zumindest, was die Nettoersatzrate betrifft: In Deutschland beträgt das Arbeitslosengeld 65 Prozent des vorher verdienten Nettolohns, in Österreich sind es nur 55 Prozent. Sie wurde seit den 1990er Jahren sukzessive reduziert. 1993 sank die Nettoersatzrate, die von der Höhe des letzten Gehalts berechnet wird, von 57,9 Prozent auf 57 Prozent 1995 auf 56 Prozent und in weiterer Folge im Jahr 2000 auf 55 Prozent. Österreich hat damit eine der niedrigsten Nettoersatzraten beim Arbeitslosengeld Europas. Die Bezugsdauer ist gestaffelt, je nach Alter und Beschäftigungsdauer erhält man 20, 30, 39 bzw. 52 Wochen lang Arbeitslosengeld. Die Arbeiterkammer spricht sich schon länger für eine generelle Ausweitung auf 39 Wochen aus.

Danach kann man Notstandshilfe beantragen. Sie ist unbefristet und macht 95 Prozent des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes. Das wiederum ist vergleichsweise viel im internationalen Vergleich. Wer also in Österreich länger arbeitslos bleibt, für den ändert sich bei der Höhe des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe wenig. Langzeitarbeitslose in Deutschland stürzen dagegen ab, weil das deutsche Äquivalent zur österreichischen Notstandshilfe, das sogenannte "Arbeitslosengeld II" unter 400 Euro im Monat bleibt.

Langzeitarbeitslosigkeit verhindern

Das Ziel der österreichischen Arbeitsmarktpolitik lässt sich so zusammenfassen: Langzeitarbeitslosigkeit verhindern, indem man Arbeitslose so schnell wie möglich wieder in Beschäftigung bringt. AMS-Chef Johannes Kopf hielt in einem früheren Interview mit der Tageszeitung die Presse, die Anreize eine Arbeit aufzunehmen, in Österreich für groß genug. Einen Sonderfall ortete er aber: "Wenn zum Beispiel eine Frau mit den Kindern zu Hause ist und der Vater ein Fall für die Mindestsicherung, dann ist diese für die Familie so hoch, wie er oftmals kaum allein verdienen kann. Das ist eine Inaktivitätsfalle. Da müsste es die Möglichkeit geben, die Mindestsicherung bei der Arbeitsaufnahme teils weiter zu beziehen."

Was die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik betrifft, so riet die OECD jüngst Österreich angesichts der prekären Lage am Arbeitsmarkt, die Ausgaben zu erhöhen. Die besonders hohe Einkommensungleichheit verdanke sich der chronischen, Arbeitslosigkeit, dem niedrigen Kompetenzniveau einiger Bevölkerungsgruppen und dem generell niedrigen Arbeitslosengeld.

Der Ratschlag der OECD-Experten: Menschen mit noch mehr Mitteln als bisher für besser bezahlte Stellen zu qualifizieren. (rebu, 26.7.2015)