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Kaum fünf Tage Österreicher, schon geht's zum Heer.

Foto: ap/Ronald Zak

Der große Tag war endlich gekommen. Der Postbote klingelte und überbrachte den RSa-Brief, auf den ich seit mehr als zwölf Jahren wartete. Endlich mein österreichischer Pass! So dachte ich zumindest. Doch im Kuvert war eine Überraschung. Aber alles der Reihe nach.

Teil der Gesellschaft – nicht für den Staat

Vor knapp dreizehn Jahren wurde mein Vater von einer bedeutenden kulturellen Institution zum Arbeiten nach Österreich eingeladen. Ich war damals fünfzehn und konnte kein Wort Deutsch. Doch wir kamen, um zu bleiben. Und so fand ich neue Freunde und legte bereits nach wenigen Jahren eine erfolgreiche Reifeprüfung an einem Gymnasium ab. Das Wort "Integration" mag ich in diesem Zusammenhang nicht, denn es suggeriert, dass man zumindest ursprünglich ein Fremdkörper gewesen sein muss, und ein solches Gefühl hatten mir meine Mitmenschen nie gegeben. Ich selbst fühlte mich sehr bald als Teil der Gesellschaft.

Doch der Staat war anfangs anderer Meinung. Es kostete nicht nur mich einige Mühe, nach dem Schulabschluss eine weitere Aufenthaltsgenehmigung sowie eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Bis zum Erhalt der – nur theoretisch – unbefristeten Niederlassungsbewilligung vergingen mehr als fünf Jahre.

Ein Ausländer, aber mit Matura!

Ich fing ein Studium an. Bei der Immatrikulation wusste die Universitätsverwaltung übrigens nicht, wer denn für mich zuständig sei: ein Ausländer, aber mit Matura! Während des Studiums hatte ich dann zahlreiche Nebenjobs, auch an der Uni selbst, Projekte, Praktika, ein Jahr an einer Kunstschule im Ausland. Im Grunde nichts Außergewöhnliches.

... und B1-Niveau?

Mittlerweile waren über zehn Jahre seit meiner Ankunft in Österreich vergangen und es war an der Zeit, auch an die Einbürgerung zu denken. (Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Variante mit Einbürgerung nach sechs Jahren Aufenthalt noch nicht vorgesehen.) Allein über dieses Verfahren ließe sich, wenn nicht ein ganzer Roman, so zumindest eine umfangreiche Novelle verfassen. An dieser Stelle sei bloß angemerkt, dass ich mit einer "mit gutem Erfolg" bestandenen Matura samt einem fast abgeschlossenen philologischen Studium aufgefordert worden bin, einen Nachweis über Deutschkenntnisse auf dem B1-Niveau zu erbringen.

Erfolgreich eingebürgert ...

Von der Antragstellung bis zur positiven Entscheidung waren jedenfalls weitere eineinhalb Jahre und zahlreiche Nachweise, Bestätigungen, Prüfungen, Nachfragen und so weiter vergangen. Dann war der Bescheid endlich da, und nach etwa sechs Wochen kam auch der Tag der Verleihung: kleine Zeremonie, Gelöbnis, Bundeshymne und – nach vorheriger Entrichtung eines vierstelligen Betrags – die feierliche Übergabe der Verleihungsurkunde.

Mit dieser ging es dann zum Standesamt, wo ich gegen Bezahlung einer Bundesgebühr, einer Landesverwaltungs- und einer Stempelabgabe den Staatsbürgerschaftsnachweis ausgestellt bekam. Damit schließlich war der Weg zum letzten Schritt der erfolgreichen Einbürgerung, also der Beantragung von Ausweisdokumenten, frei. Ich erledigte dies umgehend bei der zuständigen Behörde. In fünf Tagen, so die zuständige Sachbearbeiterin, komme der angeforderte Pass per Post.

... und zackig zur Stellung

Nach über zwölf Jahren Wartezeit ging also plötzlich alles ganz schnell: An einem Montag hatte ich die Verleihungsurkunde bekommen, am darauffolgenden Mittwoch holte ich den Staatsbürgerschaftsnachweis ab und stellte den Passantrag. Schon am Freitag klingelte der Postbote! Kaum zu glauben, dachte ich. Gerade erst beantragt, und schon ist der Pass da. Und hier sind wir wieder bei der Überraschung: Im Kuvert war ein Stellungsbescheid. Das ging ja zackig. Kaum fünf Tage war ich Österreicher, schon will der Staat von mir Besitz ergreifen.

Doch mittlerweile bin ich knapp dreißig Jahre alt, hoffe in kürze meine Diplomprüfung abzulegen und stehe längst mitten im Berufsleben. Zwar ist der Ausgang der bevorstehenden Musterung offen, und dennoch ist die Perspektive eines letztendlich sinnlosen sechsmonatigen Leerlaufs durch die Bundesheermaschinerie nicht sehr erfreulich. Wer jetzt meint, Zivildienst sei eine Alternative, dem kann ich nur entgegnen, dass ich meinen Beitrag an die Gesellschaft bereits durch zahlreiche freiwillige (!) Tätigkeiten und auch Steuern leiste. Mit der in fast allen europäischen Ländern abgeschafften, unzeitgemäßen und diskriminierenden Praxis des verpflichtenden Wehrdienstes hat der Staat wieder vor, massiv in mein – und natürlich jenes tausender anderer junger Männer – privates und berufliches Leben einzugreifen. Überraschend ist dabei aber nur, auf welch eifrige Weise das jetzt geschieht: Plötzlich hat's der Staat ganz eilig. Den Pass habe ich übrigens ein paar Tage nach dem Stellungsbescheid bekommen. (Georg S., 2.6.2015)