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Eine Arbeitsgruppe aus dem Justizministerium erarbeitet Reformschritte, auch Häftlinge übermitteln dem Justizminister Reformvorschläge.

FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER

13 strafrechtlich relevante Übergriffe in der Haft gab es 2013, 14 sexuelle Übergriffe wurden dokumentiert, ergab eine parlamentarischen Anfrage an Justizminister Wolfgang Brandstetter. Im März 2014 veröffentlichte der "Falter" die schwere Vernachlässigung eines Häftlings im Maßnahmenvollzug. Der Fall eines psychisch kranken Mannes, der seine Füße verwesen ließ, ohne dass dies Justizwachebeamten aufgefallen wäre, schockierte die Öffentlichkeit. Ein im Frühjahr in Aussicht gestellter Untersuchungsausschuss zu den Zuständen in den Haftanstalten wurde im Dezember von SPÖ und ÖVP abgesagt.

In einem Offenen Brief an den Justizminister beschweren sich mehrere Insassen der Justizanstalt Mittersteig über untragbare Zustände im Maßnahmenvollzug. Wer seine Strafe verbüßt habe, dürfe nicht "präventiv" im Gefängnis untergebracht werden, fordern die Unterzeichner. Dies sei eine "psychische Folter von kranken Menschen". Weiters wird gefordert, das Gutachterwesen zu reformieren. Richter sollten bei Anhörungen "speziell auf die Interpretation von Gutachten geschult werden", auf den Maßnahmenvollzug geschulte Verfahrenshelfer aus dem Strafrecht, sollten verpflichtend beigestellt werden, wie es weiter heißt. derStandard.at veröffentlicht den Brief in Auszügen.

Offener Brief an den Justizminister fordert "rasche Behebung" "gravierender Missstände"

"Bezugnehmend auf die medial bekanntgewordenen symptomatischen Vorfälle in den Justizanstalten, sowie der von Ihnen medial und im Parlament angekündigten Reform des § 21 StGB möchten wir, die unterzeichnenden Untergebrachten und Insassen der JA Wien-Mittersteig, Ihnen unsere Forderungen zur Behebung dieser - unserem Erleben nach - gravierenden Missstände bekanntgeben und um rasche Behebung ersuchen.

  • Untergebrachte, die ihre Strafe verbüßt haben und sich nur mehr rein präventiv, auf eine mögliche Rückfallwahrscheinlichkeit begründet, in der Justizanstalt Wien-Mittersteig aufhalten, sind schnellstmöglich in adäquate Einrichtungen zu überführen sowie möglichst ambulant aber jedenfalls freiheitsorientiert zu behandeln. Eine weitere Unterbringung in einer Justizanstalt ist nicht zu akzeptieren.
  • Eine unbefristete, potentiell lebenslange, Anhaltung ist mit den Menschenrechten nicht vereinbar. Wir erleben diese als psychische Folter von kranken Menschen.
  • Die im Maßnahmenvollzug Untergebrachten müssen im Gesundheits- und Pensionssystem verbleiben.
  • Jugendliche und junge Erwachsene sind nicht in den Maßnahmenvollzug einzuweisen.
  • Nachdem von den Unterzeichnenden 90 Prozent von denselben Gutachtern mit nahezu identen Stellungnahmen begutachtet wurden, fordern wir eine umfassende Reform des Gutachterwesens der Psychiatrie und der Psychologie, Einbeziehung mehrerer Gutachter, sowie Umsetzungen modernster Methoden und state-of-the-art Gutachten. Ein Lehrstuhl für forensische Psychiatrie ist einzurichten und verbindliche Mindeststandards sind zu erarbeiten.
  • Eine Anhaltung von Untergebrachten des Maßnahmenvollzugs in Justizanstalten darf nicht mehr möglich sein. Die Schaffung von Sonderanstalten zur Betreuung ist dringend not-wendig.
  • Während der Unterbringung müssen Insassen durch einen Patientenanwalt und/oder einen Rechtsschutzbeauftragten und/oder einen Insassenvertreter vertreten werden können.
  • Während der Unterbringung müssen Insassen und deren Angehörigen bzw. Vertrauens-personen jederzeit Einblick in den Therapie- und Vollzugsplan erhalten können.
  • Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Sport- und Freizeitaktivitäten müssen eingerichtet werden.
  • Der Ankauf eines Computers zu Fortbildungszwecken, sowie die Verwendung des (überwachten bzw. in den Möglichkeiten eingeschränkten) Internets ist zeitgemäß und zu ermöglichen. Das aktuelle Verbot ist nicht nachvollziehbar, willkürlich (da in anderen Anstalten erlaubt) und folgt in keinster Weise dem Resozialisierungsgedanken.
  • Die Anhörungen zur bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug müssen öfter und den Möglichkeiten des Rechtsstaates angepasst stattfinden. Eine Übernahme der dementsprechenden Regelungen des Unterbringungsgesetzes wäre eine schnelle Reaktion. Ein Verfahrenshelfer aus dem Strafrecht, geschult auf den Maßnahmenvollzug, ist verpflichtend beizustellen.
  • Die Richter müssen bei Anhörungen speziell auf die Interpretation von Gutachten geschult sein. Die derzeitigen prozessualen Zustände ("Sie haben eh noch 7% Rückfallgefahr", "Akteneinsicht zwei Tage vor der Anhörung ist eh genug", "Wir können Sie nicht entlassen, weil die Justizanstalt schreibt, dass Sie noch gefährlich sind") sind nicht zu rechtfertigen und entsprechen in keinster Weise der nötigen Sorgfalt, die bei einer so wesentlichen Entscheidung über das Grundrecht der Freiheit notwendig wäre. Auch die Volksanwaltschaft und der Sektionschef übernehmen die Gefährlichkeitseinschätzung des Fachteams der JA Wien-Mittersteig unhinterfragt."

Die Unterzeichner (Namen der Redaktion bekannt) berufen sich auf ihre Reformvorschläge vom Juni des Vorjahres und "hoffen auf eine umgehende Behebung der Missstände". Der Offene Brief wurde bis dato mit einem Bestätigungsschreiben quittiert. (derStandard.at, 16.1.2015)