Plötzlich will niemand mehr über den Grexit, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone sprechen. Die EU-Kommission nicht, die deutsche Regierung nicht, die griechische Bevölkerung nicht, von denen sich drei Viertel für den Verbleib im Euro aussprechen, und auch Syriza-Chef Alexis Tsipras nicht, dessen Wahlprogramm die Spekulationen überhaupt erst ausgelöst hat.

Doch diese Aussagen täuschen: Der Grexit bleibt im Falle einer Syriza-Wahlsieges am 25. Jänner eine ernsthafte Option. Ein Ausstieg Griechenlands aus dem Euro wäre zwar nicht sicher, aber möglich – 30 Prozent Wahrscheinlichkeit ist wohl eine realistische Schätzung.

Dafür gibt es aus meiner Sicht fünf Gründe:

1. Ein historischer Fehler

Die Einführung des Euro in Griechenland 2002 – da sind sich alle Experten einig - war ein historischer Fehler, den auch der Verlauf der Zeit nicht wiedergutmachen kann. Griechenland mit seiner Geschichte, politischen und gesellschaftlichen Kultur und wirtschaftlichen Struktur gehört nicht in eine Währungsunion mit Ländern wie Deutschland, die Niederlande oder Österreich. Griechenland ist auf seine Weise ein wunderbares Land, aber es wird immer ein Fremdkörper in der Eurozone bleiben.

2. Schwere Belastung für Griechenland

Auch für Griechenland ist die Währungsunion eine schwere Belastung. Es mag zwar stimmen, dass eine Abwertung dem Land kurzfristig keine zusätzlichen Exporte bringen wird, weil die Strukturen dafür fehlen. Aber ohne die Möglichkeit einer billigeren Währung und einer eigenen Geldpolitik wird die griechische Wirtschaft nie wettbewerbsfähig werden und die schreckliche Arbeitslosigkeit loswerden – genauso wenig wie der italienische Süden, der Mezzogiorno, in dem seit 150 Jahren bestehenden italienischen Währungsraum. Ein Grexit hätte wohl mehrere Jahre der wirtschaftlichen Turbulenzen zufolge. Aber innerhalb eines Jahrzehnts ginge es Griechenland viel besser als heute.

3. Tsipras will Euroregeln aufkündigen

Drei: Dazu kommt, dass Tsipras die Regeln der Währungsunion einseitig aufkündigen will. Einige seiner Vorschläge sind vernünftig: Griechenland braucht tatsächlich einen radikalen Schuldenschnitt, weil es sonst nie aus der Überschuldung herauskommen wird. Aber wenn die Partnerländer und die EU-Institutionen, die den Großteil der griechischen Staatsanleihen halten, dazu bereit sein sollten, dann nur zum Preis tiefer Strukturreformen, die das Land zur Sanierung braucht – Abbau des dysfunktionalen Staatsapparates, Einführung von mehr Wettbewerb, etc. Und dem steht Syrizas linkspopulistisches Parteiprogramm entgegen.

Das verspricht ein heftiges politisches Ringen zwischen einer zukünftigen griechischen Regierung und der Eurozone – und vor allem zwischen Tsipras und Merkel. Das kann in einem Kompromiss münden, oder aber auch in einem Knall, der einen Euro-Austritt unausweichlich macht.

4. Kapitalflucht kann Grexit erzwingen

Der Grexit kann auch unbeabsichtigt geschehen. Je lauter die Konfrontation zwischen Athen und Brüssel/Berlin, desto eher werden Griechen versuchen, ihr Geld aus dem Land abzuziehen. Eine solche Kapitalflucht würde die Banken ruinieren. Die Folge wäre wahrscheinlich die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, so wie sie in Zypern vor zwei Jahren. Wenn die Griechen ihr Geld nicht mehr außer Landes nehmen können, wäre das bereits der erste Schritt zum Grexit, weil ein griechischer Euro zu einer eigenen Währung wird. Die Umwandlung in Drachme wäre dann nicht mehr so schwer.

Ein Grexit bringt wohl den Staatsbankrott mit sich. Aber das ist genau das, was Griechenland braucht. Nach dem EU-Recht müsste Athen eigentlich gleich aus der EU austreten, denn ein solcher Austritt ist möglich, ein Austritt aus der Eurozone nicht. Aber genauso wie seit Beginn der Eurokrise viele andere Rechtsvorschriften der Realpolitik angepasst wurden, lässt sich auch diese Hürde umgehen. Vielleicht wird Griechenlands Euro-Mitgliedschaft nur suspendiert, mit einer Option auf Wiedereintritt.

5. Der Euro verhindert Neuanfang

Schließlich fünf: Syriza bietet bei allen Risiken den Griechen die Chance für einen politischen und wirtschaftlichen Neuanfang. Aber ein Premierminister Tsipras wird bald erkennen, dass sein Spielraum innerhalb der Währungsunion höchst eingeschränkt ist. Wenn er wirklich der Revolutionär ist, als der er sich gibt, dann wird er diese Fesseln nicht hinnehmen. Ein Grexit ist die logische Konsequenz. (Eric Frey, derStandard.at, 10.1.2015)