Warten auf den Besichtigungstermin: 125 Personen stellten sich ...

Foto: Bündnis Bezahlbares Wohnen/Gerhard Lackinger

... am vergangenen Freitag an, um eine günstige Wohnung besichtigen zu können. Das "Bündnis Bezahlbares Wohnen" dokumentierte die Szene.

Foto: Bündnis Bezahlbares Wohnen/Gerhard Lackinger

Es waren Bilder, wie man sie eigentlich nur aus einer längst vergangenen Epoche kennt: 125 Münchnerinnen und Münchner stellten sich am vergangenen Freitag stundenlang in der Kälte an, um auf eine Wohnungsbesichtigung zu warten. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag hatte eine 80 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung im beliebten Glockenbachviertel im Internet angeboten, für eine (Kalt-)Miete von 625 Euro im Monat.

Das "Bündnis bezahlbares Wohnen" hatte die Warteschlange dokumentiert, die Bilder (siehe links) sorgten für Aufregung in den diversen Social-Media-Kanälen, unter anderem auf der Facebook-Seite des "Süddeutsche Zeitung Magazins". "Wahnsinn! Tut endlich was dagegen, sonst sieht es hier übermorgen aus wie in London und Paris!", schrieb jemand darunter.

"Absoluter Wahnsinn"

Für Andrea von Grolman, Sprecherin des vor einem Jahr gegründeten "Bündnis Bezahlbares Wohnen", ist dieser unerwünschte Zustand aber längst eingetreten. Zu langen Warteschlangen komme es mittlerweile andauernd, wenn Besichtigungstermine für günstige Wohnungen inseriert werden - und "günstig" schließt für sie auch bereits Quadratmetermieten von zehn Euro mit ein.

München weist nämlich mittlerweile die höchsten Mieten von ganz Deutschland auf, Preise von mehr als 15 und bis zu 18 Euro sind keine Seltenheit in der bayerischen Landeshauptstadt. Für Andreas Eisele, den Präsidenten des bayerischen Landesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), liegt das in erster Linie daran, dass "in letzter Zeit in München viel zu wenige Wohnungen gebaut wurden". Ziel der Stadtregierung sei es stets gewesen, 6.000 bis 7.000 Wohnungen pro Jahr zu errichten, "geworden sind es aber immer nur 3.000 bis 4.000".

"Der bezahlbare Wohnraum geht verloren"

Laut einer Studie des Hannover'schen Eduard-Pestel-Instituts fehlen in München bis 2025 etwa 290.000 Wohnungen. Grolman sagt, dass die Stadt "sofort" 100.000 bis 150.000 Wohnungen benötigen würde, damit sich die Lage entschärft. Einfach neue Wohnungen zu bauen und zu hoffen, dass sich das preisdämpfend auf den Markt auswirkt, reicht aber ihrer Meinung nach gar nicht mehr: "Es geht jetzt vor allem um den noch existenten, bezahlbaren Wohnraum." Dieser gehe sukzessive verloren, sei es durch Umwandlung in Eigentum, durch Abriss und Neubau oder durch "Luxussanierungen".

Seit der jüngsten Mietrechtsreform der schwarz-gelben Bundesregierung können Vermieter die Kosten für umfassende Sanierungen relativ leicht und in dem kurzen Zeitraum von neun Jahren auf die Mieter abwälzen. Zudem wurden die Möglichkeiten für Mieter, wegen Baulärms eine Zeitlang eine Mietenreduktion zu verlangen, rigoros beschnitten. Grolman findet für das neue Mietrecht im Gespräch mit derStandard.at drastische Worte; sie nennt es einen "Oberwahnsinn", der vielen Mietern "das Genick brechen" werde.

Kaum Bestand an Sozialwohnungen

Anders als in Wien sind kommunale Wohnungsbestände, die preisdrückend auf den Markt wirken könnten, in München nur in relativ bescheidenem Ausmaß vorhanden. Grolman kennt die Situation in Wien, weil ihre Tochter seit mehreren Jahren hier studiert. "Das ist mit München überhaupt nicht vergleichbar", sagt sie. "In Wien gibt es ein viel gesünderes Verhältnis aus öffentlichem und privatem Sektor." Bekanntermaßen rühmt sich die Stadt Wien dafür, dass mehr als die Hälfte der Mietwohnungen zum öffentlichen oder gemeinnützigen Sektor zählen, insgesamt rund 440.000 Wohnungen.

In München gab es um 1980 noch 120.000 Sozialwohnungen. Inzwischen sind es nur mehr 75.000, das ist etwa ein Zehntel des derzeitigen Wohnungsbestands. Drei Viertel davon gehören den beiden städtischen Gesellschaften Gewofag (30.000) und GWG (27.300).

Wahlkampf als kleine Chance

Ansonsten gibt es durchaus ein paar Gemeinsamkeiten mit der österreichischen Bundeshauptstadt: Die steigenden Mieten werden mehr und mehr zum heiß umkämpften politischen Thema - was auch an langsam einsetzenden Wahlkämpfen liegt; Deutschland wählt im Herbst einen neuen Bundestag, Bayern einen neuen Landtag. Grolman will die Zeit der Wahlkämpfe nützen, um die "völlig unwissenden" Politikerinnen und Politiker auf das Thema einzuschwören.

Allzu große Erwartungen hat sie aber nicht, hat doch die Politik ihrer Meinung nach auch den Verkauf der Wohnungen der Landesbank bereits vergeigt: Die BayernLB-Tochter GBW mit einem Bestand von 32.000 Wohnungen muss auf Geheiß der EU-Wettbewerbshüter verkauft werden, zum Interessentenkreis zählen fast nur noch Finanzinvestoren und stark renditebedachte Immobilienunternehmen, darunter auch die österreichische Conwert (die Immofinanz hatte erst vor wenigen Tagen ihren Ausstieg aus dem Bieter-Rennen bekanntgegeben). Die Sozialcharta, zu deren Einhaltung sich der spätere Käufer verpflichten muss, ist für Grolman das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist - "starke Mietenerhöhungen werden trotzdem möglich sein".

Investoren tummeln sich

Nicht nur deshalb steigen sich Immobilien-Investoren in München derzeit auf die Zehen – vor allem auch im Wohnsegment. Auf dieses setzt auch die österreichische UBM in letzter Zeit verstärkt. "Der Wohnungsbau ist das Thema in den deutschen Städten", bestätigt Vorstand Martin Löcker. Die UBM bzw. deren deutsche Tochter Münchner Grund eröffnete vor wenigen Wochen ihr zweites Hotel in München, daneben auch einen Trakt mit 26 Eigentumswohnungen, die 2011 noch vor Baubeginn um 4.000 Euro pro Quadratmeter verkauft wurden. Heute hätte man dafür bereits 6.000 Euro verlangen können.

Der Münchner Wohnungsmarkt sei wegen vermeintlich sinkender Einwohnerzahlen jahrelang kein Thema für Bauträger gewesen, sagt Münchner-Grund-Vorstand Berthold Wild. Nun gibt es seit einiger Zeit wieder starken Zuzug in die Metropolen, "und diese asymmetrische Entwicklung wurde lange nicht erkannt". Nun herrscht für ihn in München bereits Wohnungsnot; 2011 und 2012 verzeichnete die bayerische Hauptstadt laut offiziellen Zahlen einen Netto-Zuzug von je 30.000 Personen. Andreas Eisele vom BFW rechnet damit, dass der Großraum München bis 2030 "um die Einwohner Augsburgs wachsen wird" - das wären 270.000 Menschen.

Warteschlangen bleiben

Jetzt wird zwar wieder mehr gebaut als noch vor einigen Jahren, aber immer noch zu wenig - und wenn, dann eher im hochpreisigen Segment. Wer Mietwohnungen baut, muss zwar ein Drittel davon als Sozialwohnungen anbieten - das sei aber auch nur an einen bestimmten Zeitraum von 20 oder 30 Jahren gebunden, kritisiert Grolman, und diese Mieten würden wegen der Bindung an den kommunalen Mietenspiegel dennoch weiter stark zulegen.

Die Sprecherin des "Bündnis Bezahlbares Wohnen" fürchtet, dass der Mangel an leistbaren Wohnungen nun vermehrt dazu führen wird, dass "immer mehr Bürger des Mittelstands Ihre Wohnungen verlieren werden". Mit der Folge, dass viele von ihnen auf Wohnungssuche gehen müssen – und dann in den Warteschlangen auf jene treffen, die gerade neu nach München ziehen wollen. Es scheint, als müsste sich die bayerische Metropole an diese Warteschlangen tatsächlich gewöhnen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 20.2.2013)