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derStandard.at hat vor kurzem seine Wien-Berichterstattung um Bezirksseiten erweitert. In einer E-Mail-Interviewserie stellen wir aus diesem Anlass die BezirksvorsteherInnen der einzelnen Bezirke vor. Diesmal an der Reihe ist Thomas Blimlinger – seit 2001 an der Spitze des siebten Bezirks und Wiens erster Grüner Bezirksvorsteher.

derStandard.at: Was zeichnet Ihren Bezirk aus?

Blimlinger: Vielfalt aus Widersprüchen. Neubau hat den sechsthöchsten MigrantInnenanteil in Wien. In Neubau lebt man gut. Neubau ist Ruheinsel und gleichzeitig geschäftiges Treiben. Neubau ist Anziehungspunkt und Nahversorgung. Neubau ist Tradition und Moderne. Neubau ist Wohnbezirk und Wirtschaftszentrum. Neubau ist dörfliches Grätzl und urbanes Leben.

Diese Vielfalt prägt das Leben in unserem Bezirk. Sie ist die Basis für Impulse und Entwicklung. Das Motto: Altes und Neues mit- und nebeneinander existieren lassen. Manchmal braucht es einen Ausgleich – aber in Neubau haben wir den bisher immer gefunden.

derStandard.at: Ihr Lieblingsplatz im Bezirk?

Blimlinger: Ein Platz, den es auf dem Stadtplan nicht gibt und den doch jeder kennt: der Siebensternplatz.

Für mich ist dieser Platz eine Art "verdichtetes" Neubau. Leben und Arbeiten im Bezirk, öffentlicher Raum für Menschen, daneben fährt die Bim vorbei, die Räder stapeln sich am Rand, weil man anschließend einkaufen fährt, Tratsch im Schanigarten, a bisserl schick und a bisserl links, die Konditorei gibt es auch noch, direkt gegenüber dann noch den Kinderspielplatz. Platz für Generationen, Raum fürs Leben außerhalb der vier Wände. Für die Nachbarn hat ein BürgerInnenbeteiligungsverfahren für mehr Ruhe gesorgt, damit auch innerhalb der vier Wände alles im grünen Bereich bleibt. Neubau eben.

derStandard.at: Was sind die größten Probleme in Ihrem Bezirk?

Blimlinger: Es fehlt an Platz. Neubau ist dicht verbaut und ist dazu auch noch ein "Durchfahrtsbezirk". Wenn denn der Raum ähnlich dehnbar wäre wie ein Gummiband, hätten wir an jeder Ecke einen Park, Boulevards statt schmalen Gehsteigen, Parkplätze zum Abwinken und vielleicht sogar einen Fußballplatz. Aber so ist es nicht. Also gilt es, einen Ausgleich zu finden. Parks so vielen Leuten wie möglich zugänglich und nutzbar zu machen. Gehsteige so zu verändern, dass FußgängerInnen sicher und bequem unterwegs sein können. Alternativen zum Parken auf der Straße anzubieten. Sichere und sinnvolle Radwege zu schaffen. Wo möglich: Platz für einen Baum zu schaffen. Bloß, das mit dem Fußballplatz, das wird wohl noch auf sich warten lassen.

derStandard.at: Welche Faktoren sind für die wirtschaftliche Entwicklung im Bezirk entscheidend?

Blimlinger: Neubau ist Heimat für die "Creative Industries". Die Dichte an Unternehmen aus Branchen wie Werbung, IT oder – traditionellerweise – Film und Tonstudios ist einzigartig in Wien.

Was es in Neubau "einkaufstechnisch" nicht gibt, ist in Wien nicht zu finden. Hier strahlt die Mariahilfer Straße natürlich auf den übrigen Bezirk aus. Für mich sind Straßen mit lebendigen Handelsbetrieben das Rückgrat der Nahversorgung im Bezirk. Wer staut sich schon gerne zu den Einkaufszentren am Stadtrand, wenn es vor der Haustür praktisch alles gibt? Und last but not least: die Gewerbebetriebe. Klein, fein, und oft die letzten ihrer Art. Vom Posamentenerzeuger bis zum Parfumhersteller sind alle hier zu finden. Wer sucht, der findet, vielleicht auch mit Hilfe des Neubauer Rundfunks, der unter www.neubauerrundfunk.at immer wieder Portraits der Neubauer Gewerbetreibenden anbietet.

Hungrig und durstig muss neben der vielen Arbeit auch in Neubau niemand bleiben. Vom urigen Beisl über das gemütliche Cafe bis hin zum Biogasthaus findet jeder, was ihm beliebt. Dafür sorgen die Neubauer WirtInnen.

derStandard.at: Was sind die Schwerpunkte Ihrer bezirkspolitischen Tätigkeit?

Blimlinger: Mitbestimmung! Ob bei der klassische BürgerInnenbeteiligung, der agenda wien sieben, beim Straßenumbau oder einer Konfliktregelung: die NeubauerInnen bestimmen mit. Politik mit Menschen statt Zwangsbeglückung von oben.

Neubau braucht mehr Verkehr abseits des Autos! Das muss die Politik ermöglichen. Heißt: sichere Gehwege, durchgängige Radwege, Vorrang der öffentlichen Verkehrsmittel. Denn von allein wird die Wiener Luft nicht besser und der Lärm nicht weniger, die Lebensqualität hingegen sinkt automatisch. Soziale Sicherheit! Mieten müssen leistbar bleiben, die zahlreichen Sozialeinrichtungen des Bezirks bestmöglich vernetzen, damit man Hilfe bekommt, wenn man sie benötigt, Platz für Jugendliche und Kinder schaffen, wo immer möglich.

derStandard.at: Laufen in Ihrem Bezirk BürgerInnenbeteiligungsverfahren?

Blimlinger: Das ist der Kern meines Politikverständnisses: Menschen wollen und sollen über ihr unmittelbares Lebensumfeld selbst entscheiden. Das ist neu in Wien. Entscheidungen schaffen sehr oft Gewinner oder Verlierer. Wir arbeiten damit, dass Menschen gemeinsam sehr oft neue und kreative Lösungen finden, die für alle in Ordnung sind.

Aktuell überlegen wir gerade mit AnwohnerInnen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in der Gardegasse und der Myrthengasse, dann bearbeiten Agendagruppen die Gebiete rund um das Augustinplatzl, den Andreaspark und die Burggasse und haben Jugendliche das Jugendcafe gemeinsam mit einer Architektin geplant. Die Kinder im Bezirk arbeiten zur Zeit an ihrem Programm für ein lebenswerteres Neubau im Rahmen des Projekts "Ich mach mit in Neubau".

derStandard.at: Ihre Strategie in Sachen Hundekotproblem?

Blimlinger: Wer Hund hat, hat auch Verantwortung. Das einzige, das nachhaltig hilft: Sackerl nehmen, Hauferl einfüllen, wegwerfen. Und zwar jeder für sich. Wenn die Stadt dafür zuständig sein sollte, müsste die Hundesteuer ungefähr zwanzig mal so hoch sein wie bisher. Daher: aufheben! Das schont die Nerven der Zweibeiner und hält die anderen Bellos gesund. Wie erreichen? Abkupfern was geht. Wir lernen von Budapest, Paris und Vancouver. Zuerst eine Kampagne starten, Ausreden abkürzen, und dann direkte Kommunikation. Tja, und das andere Ende der Leine wenn notwendig auch sehr direkt auf die Einhaltung der Gesetze hinweisen. Nähere Infos zur Rechten und Pflichten gibt es übrigens im "Neubauer Hundeknigge" unter www.neubau.wien.at.

derStandard.at: Wie stehen Sie zur Einführung von "Schutzzonen" im Bereich von Schulen?

Blimlinger: 150 Meter heile Welt? Eigentlich weiss man es besser. Verdrängen funktioniert nicht. Ich verstehe voll und ganz, dass Eltern sich um ihre Kinder sorgen – meine Tochter ist gerade mal in der 3. Klasse Volksschule. Aber ich bin überzeugt: wenn wir Sicherheit für unsere Kinder wollen, müssen wir sie stärken und sie lehren, NEIN zu sagen. Schutzzonen spiegeln Sicherheit vor, die es nicht gibt. Die Polizei hat auch jetzt schon dafür zu sorgen, dass Kinder auf ihren Schulwegen unbehelligt bleiben. Und zwar vor allen Schulen, und nicht nur vor solchen, wo ein 150 m Radius gezogen wird. Will man Drogenkonsum und Handel mit Drogen in den Griff bekommen, dann braucht es in meinen Augen weitaus mehr als Repression.

derStandard.at: Gibt es im Bezirk Maßnahmen für die Integration von Minderheiten?

Blimlinger: JedeR ist irgendwann, irgendwo und irgendwie Minderheit. ZuwanderInnen – Minderheit. Kinder, Jugendliche, PensionistInnen – alles Minderheiten. Ich denke, dass eine urbane Gesellschaft ein Sammelsurium von Minderheiten der einen oder anderen Art ist. Das macht es uns in Neubau möglich, dass wir mit unserem Kulturförderbudget interkulturelle Veranstaltungen und Projekte aller Art unterstützen, dass wir offene Jugendarbeit, besonders mit sozial benachteiligten zugewanderten Jugendlichen der ersten und zweiten Generation forcieren, dass es in Neubau ein AsylwerberInnenheim gibt, das in der Nachbarschaft weitestgehend akzeptiert wird. Und dass der Bezirk unumstrittener Standort der Religionspädagogischen Akademie der Muslimischen Gemeinde, des Amerlinghauses, für Vereine wie SOS-Mitmensch, den Flughafensozialdienst, den Verein der Frau Bock oder der Liga für Menschenrechte, oder auch für die kleinen privaten Initiativen der Familie Prohaska zugunsten afrikanischer ZuwanderInnen ist.

derStandard.at: Haben Sie ein politisches Vorbild?

Blimlinger: Ich habe mich bei den Grünen engagiert, weil mich die bestehende Politik genervt hat. Ich wollte eine andere Politik haben, eine, die nicht von oben herab die Weisheit verbreitet oder Menschen ausgrenzt. Insofern sind politische Vorbilder etwas dünn gesät. Aber es gibt einige Menschen, deren politische Arbeit ich schätze.

derStandard.at: Mit welchen Eigenschaften würde Sie ein Freund charakterisieren?

Blimlinger: Kann über sich selbst lachen. Neubauer. In der Sache unaufgeregt aber situationsbedingt oft ungeduldig. Musikalisch. Ein Familienmensch. Ausgleichend. Bezirksvorsteher aus Leidenschaft. Braucht Zeitungen, Nachrichten und das Internet wie einen Bissen Brot (oder leider auch wie die nächste Zigarette).

derStandard.at: Ein persönlicher Tipp für Ihren Bezirk?

Blimlinger: Neubau ist Grün hinter den Häuserfronten. Wer die grünen Lungen unseres Bezirks sehen will, kann das im Rahmen von Führungen tun, die wir ankündigen. Sehenswert!