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In Otfried Preußlers Kinderbuch "Die kleine Hexe" wird der Begriff "Neger" gestrichen.

Foto: Marijan Murat/dpa

Eine seit Jahresbeginn in Deutschland aufgeregt geführte Debatte hat Österreich erreicht. Heimische Medien berichten über den Entschluss des bekannten Kinderbuchautors Ottfried Preußler, 89 ("Die kleine Hexe", "Das kleine Gespenst", "Räuber Hotzenplotz"), in künftigen Auflagen seiner Bücher Worte wie "Neger" oder auch "Eskimo" zu streichen: Und in der Wochenzeitschrift "Die Zeit", die der Diskussion in Deutschland bisher am meisten Aufmerksamkeit geschenkt hat, hat sich die Österreicherin Christine Nöstlinger, eine der meistgelesenen KinderbuchautorInnen der Welt, zu Wort gemeldet. Mit einer Verteidigung der "Neger" im Kinderbuch, gegen die, wie sie schreibt, "Political-Correctness-Sheriffs".

Was ist geschehen? Preußler hat sich einverstanden erklärt, in den anlässlich seines 90. Geburtstags geplanten Neudrucken seiner Werke Buchpassagen mit - in der heutigen Wahrnehmung - heiklen, weil rassistischen Anklängen zu entschärfen. Also Sätze wie: "Auch die kleinen Chinesinnen und Menschenfresser, die Eskimofrauen, der Wüstenscheich und der Hottentottenhäuptling stammten nicht aus der Schaubude. Es war Fastnacht im Dorf." Kinder von heute, so Preußler-Verleger Klaus Willberg, würden derlei Begriffe heutzutage außerdem nicht mehr verstehen: Diese Worte seien antiquiert.

"Ja, ja, die Political-Correctness-Sheriffs leisten ganze Arbeit", kritisiert Nöstlinger dies in ihrem Artikel "Ein Neger bleibt ein Neger". Textänderungen im Sinne des Antirassismus, das "Fahnden nach politisch Unkorrektem" in Kinderbüchern, seien ein "neuer Trend". In früheren Jahrzehnten sei man stattdessen gegen "zu viel Erotik, zu viel Aufmüpfigkeit, zu wenig gesittete Ausdrucksweise, zu wenig heile Welt" angegangen. Aber, so Nöstlinger: "ob der Wind von rechts oder links weht, ganz gleichgültig, das geschieht, weil Kinderbücher nicht als richtige Literatur gelten".

Sturm von rechts

In ihrer Kritik hat Nöstlinger einerseits Recht - aber irrt sich insgesamt doch. Weil der "Wind von links", (wenn man Kritik an rassistischen Ausdrücken schon als "links", nicht als Kritik im Sinne der Menschenrechte bezeichnen möchte) regelmäßig einen Sturm der Empörung rechtslastiger "Neger"-VerteidigerInnen entfacht. Während der "Wind von rechts" jahrzehntelang in aller Selbstverständlichkeit ganze Kinderbuchauflagen durchwehte, ohne dass jemand groß darüber diskutierte.

So berichtet Nöstlinger in dem Artikel, dass die "erotischen Stellen" in den italienischen Auflagen ihrer Werke im Auftrag der zuständigen Verlagschefin einfach weggelassen worden seien. Mit dem Argument, dass "unsere italienischen Kinder da noch nicht so weit sind": In einem kreuzkatholischen Land wie Italien sollten sie wohl auch niemals dahin kommen.

Tiefe, inhaltliche Eingriffe hingenommen

Und Ulrich Greiner, Kulturreporter der "Zeit", schildert in seinem Artikel "Die kleine Hexenjagd", dass man in französischen Ausgaben von Astrid Lindgrens anarchistisch-respektloser Pippi Langstrumpf vierzig Jahre lang "alle provozierenden Passagen, vor allem Pippis ausgesprochen rotzigen Umgang mit den Lehrern, gestrichen hatte - ohne dass es jemanden aufgefallen wäre": Im Land der ursprünglich militärisch organisierten Lycées nicht verwunderlich.

Doch warum nahm (und nimmt?) man derlei tiefe, inhaltliche Eingriffe schweigend hin, während man sich über die Streichung einzelner Wörter aufregt, deren rassistische Bedeutung sich in den europäischen Einwanderungsgesellschaften zunehmend herauskristallisiert hat? Offenbar ist es unhinterfragt okay, wenn in Büchern für Kinder je nach den schwarzen Flecken der betroffenen Gesellschaft inhaltlich herumgestrichen wird. Ganz so, wie es sich die über die Kinder wachenden, sie schützenden, aber ebenso kontrollierenden und beschneidenden Autoritäten, die Eltern und Lehrer, die Pädag- und PsychologInnen vorstellen.

Zensur und Tabu

Das ist im Grunde klassische Zensur, die noch dazu tabuisiert wird. Als hätten nicht auch Kinder das Recht auf freie Informationen. Es sei denn, es gehe um ihren Schutz, etwa vor Gewalt verherrlichenden oder pornografischen Inhalten, wie sie jedoch weder bei Preußler, Lindgren noch bei Nöstlinger vorkommen.

In der "Neger"-Diskussion um Kinderbücher hingegen wird laut "Zensur!" geschrien - vielfach von Erwachsenen, denen es offenbar sehr wichtig ist, weiter Begriffe zu verwenden, die andere Menschen abwerten. Das ist bedenklich, kritisierenswert, aber nicht neu: Ähnliches wurde hierzulande schon in der "Negerbrot"-, "Mohr im Hemd"- und "Mohrenbräu"-Diskussion vorgebracht: Überspitzt gesagt: Was in Deutschland das (Kinder)buch, ist in Österreich anscheinend die Speisekarte.

Und es verhindert Differenzierung. Denn es wäre durchaus der Mühe wert, darüber zu reden, ob es im Sinne von Werktreue und Kritik nicht besser wäre, die von Preußler, Lindgren, Nöstlinger und anderen ursprünglich niedergeschriebenen, jetzt umstrittenen Wörter stehenzulassen und die Rassismus-Einwände in Anmerkungen zu packen. Weil man mit Kindern, wie auch Nöstlinger schreibt, offen und ehrlich umgehen sollte, sie ernst nehmen, das Gespräch mit ihnen suchen, denn immerhin werden in der Kindheit die Grundlagen zu späteren Überzeugungen gelegt. Auch zu falschen wie der rassistischen Kategorisierung von Menschen. (Irene Brickner, derStandard.at, 26.1.2013)