Die legale Steuerminimierung global tätiger Unternehmen rückt in hochentwickelten Staaten immer mehr in den Fokus. Ein blinder Fleck ist aber der Umstand, dass Europa durch die Praktiken mehr profitiert als verliert, sagen Kritiker.

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Wien – Spätestens seit Auftauchen der Panama Papers gibt sich die Staatengemeinschaft vereint und edelmütig: Im Kampf gegen die Steuerflucht will man einen Gang zulegen und speziell den Entwicklungsländern unter die Arme greifen. Internationaler Währungsfonds, Weltbank, Industriestaatenorganisation OECD und die Uno kündigten kürzlich an, Anleitungen und Studien zusammenzustellen, die den ärmeren Ländern helfen sollen, effiziente Systeme zur Besteuerung großer Unternehmen zu entwickeln.

Höhere Steuereinnahmen als Schlüssel zu mehr Wohlstand – und die Industriestaaten halten ihn in Händen. Eine Vorstellung, die Dereje Alemayehu so nicht gelten lässt. Für den äthiopischen Ökonomen und Vorsitzenden der NGO Global Alliance for Tax Justice sind die Bekenntnisse zu mehr Steuergerechtigkeit nichts als hehre Worte, hochentwickelte Länder in Wahrheit Profiteure von Steuervermeidung in Entwicklungsländern.

"Afrika Nettoexporteur von Kapital"

"Es herrscht die Vorstellung, Afrika hänge von der Entwicklungshilfe der reichen Staaten ab. In Wahrheit ist Afrika Nettoexporteur von Kapital. Die Gründe sind Steuervermeidung, Kapitalflucht und die Fälschung von Exportunterlagen im großen Stil", so Alemayehu kürzlich während eines Wien-Aufenthalts zum STANDARD. Er nahm dort an einer Podiumsdiskussion des Wiener Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) teil.

Warum die Steuerpraktiken der Konzerne für ärmere Staaten mehr ins Gewicht fallen als für reiche? "Erstens sind die Steuereinnahmen in Entwicklungsländern insgesamt geringer. Zweitens machen Unternehmenssteuern verglichen mit Industrieländern einen hohen Anteil der gesamten Steuereinnahmen aus. Der Verlust wiegt also schwerer." Für jeden Euro an Entwicklungshilfe, der in ein afrikanisches Land fließt, gehen drei in Form von Steuervermeidung wieder hinaus, sagt Alemayehu.

Wirklich belastbare Zahlen dazu gibt es zwar nicht, ist es doch unmöglich, im Verborgenen liegende Finanzströme zu erfassen. Zahlreiche Studien zu dem Thema legen aber nahe, dass es sich um Dimensionen handelt, die viele Probleme in finanzschwachen Ländern obsolet machen würden. Laut einem Uno-Bericht aus dem Vorjahr betragen allein die illegalen Finanzströme aus Afrika mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr – und da sind legale Steuerverschiebungen von Unternehmen noch gar nicht eingerechnet.

Legale Absaugvorrichtung

Auch Gottfried Schellmann, einer der bekanntesten Experten für internationales Steuerrecht in Österreich, spart nicht mit Kritik an der Doppelmoral: "Die reichen Staaten sind die größten Profiteure des Systems."

Steuerplanung läuft demnach so ab: Für Konzerne fallen in Ländern, in denen sie wirtschaftlich aktiv sind, Kosten an, die den zu versteuernden Gewinn mindern. Dieser wird in Steueroasen verlagert, die auch in der EU liegen. Besonders große Gestaltungsmöglichkeiten bieten etwa Irland, Holland, Luxemburg oder die Schweiz.

Alemayehu: "Das Geld fließt in reiche Länder. Die Schweiz hat zum Beispiel höhere Einnahmen aus dem Export von Kupfer als Sambia, eine der größten Kupferabbaustätten der Welt. Oder nehmen Sie Jersey, diese winzige Insel im Ärmelkanal: Sie ist einer der wichtigsten Bananen-Exporteure nach Europa." Beispiele wie diese gäbe es viele, so der Ökonom und Aktivist.

"Kern der Ungerechtigkeit"

Die steuerschonenden Konstruktionen für Niederlassungen in Europa und jene in ärmeren Ländern sind dieselben, sagt auch Schellmann. Das System lasse beispielsweise nicht zu, dass alle Gewinne aus der Rohstoffförderung dort erfasst werden, wo sie anfallen. "Stattdessen zahlen Niederlassungen in den betroffenen Ländern Zins- und Lizenzgebühren an Konzernmütter in Steueroasen und drücken damit ihre Gewinne." Das Land selbst darf diese Zahlungen nicht oder nur zu einem geringen Prozentsatz besteuern. Das sei in vielen Doppelbesteuerungsabkommen fixiert – für Schellmann "der Kern der Ungerechtigkeit".

Für den Steuerrechtler sind deshalb nicht allein die Konzerne die Schuldigen, sondern auch Regierungen mit ihren bilateralen Steuervereinbarungen. Doch wie umgestalten, damit Unternehmen ihre Gewinne nicht mehr ins Ausland verschieben können? Für Alemayehu helfen Initiativen des Reichenklubs OECD für einen automatischen Informationsaustausch von Steuerdaten, Unternehmensregister oder länderweise Berichterstattung von Konzernen den Entwicklungsländern nicht. Er fordert einen Prozess auf Uno-Ebene, bei dem alle Länder gleichberechtigt sind. Einen entsprechenden Anlauf der Entwicklungs- und Schwellenländergruppe G77 haben wohlhabende Staaten im Vorjahr auf einer Uno-Konferenz in Addis Abeba abgeschmettert.

Schellmann schätzt die Lage nur wenig optimistischer ein: "45 Prozent des OECD-Budgets kommen aus den USA – dementsprechend sind die Machtverhältnisse. Aber zumindest gibt es heute einen Dialog, in den die Entwicklungsländer eingebunden sind." Die Zeit arbeite jedenfalls für die weniger Wohlhabenden: "Je globalisierter die Welt, desto stärker verlieren die Fetten." (Simon Moser, 8.5.2016)