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Zuerst die Revolution, dann der Prunk: Franz Kapfer führt in "Ich oder das Chaos" die Eindimensionalität politischer Gesten vor.

Foto: Bildrecht, Wien 2016

Wien – In manchen Zusammenhängen liest sich das Wörtchen "notorisch" wie eine Auszeichnung. Als "notorisch politisch agierende Ausstellungsmacher" hat ein deutsches Kunstmagazin die beiden Kuratoren der Kiew-Biennale 2015, Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer, beschrieben. Aber gepaart mit gewohnheitsmäßiger Hartnäckigkeit ist ihnen so auch das kleine Wunder von Kiew gelungen, das nun in vier Tranchen in Wien – eine davon jetzt im Musa (Museum Startgalerie Artothek) beim Rathaus – nachbetrachtet wird.

Denn eigentlich hatte man die nach der Maidan-Revolution zunächst verschobene Biennale im März 2015 von offizieller Seite aufgrund der schwierigen Verhältnisse in der Ukraine abgesagt. Trotz Vorzeichen kam das wie "ein Donnerschlag", so Saxenhuber. Vom unmittelbaren Umfeld ermutigt, entschied man sich nicht "klein beizugeben", sondern ohne das staatliche Budget von drei Millionen Euro weiterzumachen (Die erste Kiew-Biennale 2012 hatte elf Millionen verschlungen und war bei größtmöglichem Glamourfaktor weitestgehend unpolitisch ausgefallen).

Mit lokalen Partnern und fast 40 internationalen Geldgebern an Bord, darunter zahlreiche Auslandskulturinstitute, realisierte man die Schule von Kyiv (mit sechs Schul-Kapiteln) an 16 Orten der Stadt – etwa an der Kunstakademie, in einem ausrangierten Kaufhaus, im Historischen Museum oder in der Nationalbibliothek.

Kiew also als aktuelles Lernmodell: Konfliktherde und Regionen im Umbruch als neue philosophische Modelle dafür, wie die Welt inzwischen tickt. Als solches wurde das Biennale-Konzept auch exportiert: nach Köln, Leipzig, Tiflis, Trondheim und Wien, wo die Mittel der Shift-Förderschiene bei der Querfinanzierung halfen.

Schule des Reichtums

Die Schule des Reichtums heißt nun die aktuelle Wiener Klasse, die das "Gezerre", ja den Zugriff auf materielle wie immaterielle Ressourcen der Ukraine durch lokale wie internationale Wirtschafts- und Finanzeliten meint. Die Karikatur eines Oligarchen, der sein Geschäftsleben von der Hotelsuite aus – etwa mit dem Wind aus dem Haarföhn – inszeniert, gibt etwa Serhiy Bratkov in seinem Video Such Times (2015).

In die Kerbe grober ukrainischer (finanzieller) Missverhältnisse schlägt in der Schau sonst aber nur noch Franz Kapfer: Der hat in seiner Installation ein komplexes Symbol- und Beziehungsgeflecht zur Machtpolitik der Oligarchen entwickelt. Darin rückt er etwa deren plakativen revolutionären Gestus in die Nähe von Machtmissbrauch und Prunkgehabe napoleonischer Prägung. Die Kehrseiten der Historie und politischer Systeme sind in Kapfers Holzkonstruktionen formal stets integriert, weil sie wie Theaterkulissen nur von vorne wirken. Auf die ihnen innewohnende schwarz-weiße Eindimensionalität heruntergebrochen hat er in Steppenbeuter also auch das Stereotypen bedienende, erst 2013 errichtete Kosakendenkmal auf dem Wiener Leopoldsberg. Eine ambivalente Heldenfigur, denn sie ist auch Identifikationsfigur ultranationaler, rechter Gruppen, die auf ihren T-Shirts furchterregende Kosaken-Visagen spazieren tragen. Jetzt hängen sie im Musa wie böse Gespenster von der Decke herunter.

Einem anderen Geist, einem lästigen Lenin-Spuk, rückte Stas Voliazlovsky mit Fliegenklatsche und Toilettenspülung zu Leibe – mit mäßigem Erfolg: Sein Video I Am So Tired From All This eS#H*.&?@ (2006) ist eine von gleich drei Arbeiten der Schau, die sich dem Entledigen von Resten der sowjetischen Ideale und ihrer Symbole widmen. Wie bloße Kosmetik wirkt das im Zuge der "Entkommunisierung" angeordnete Stürzen der Lenin-Denkmälerin bei Anna Jermolaewa. Denn in einem Dorf in der Provinz fand die Künstlerin in der Besenkammer des Rathauses eines dieser Monumente; nun ist die fast unversehrte Figur das Zentrum von Jermolaewas Installation Leninopad (2016). Fotos zeigen andere Fundamente auf denen Beine, die dem Zerstörungstrieb standhielten, auf neue Köpfe hoffen; oder auch leere, in den Farben der Nation gestrichene Sockel, die nur darauf warten, mit neuen Heldenbildern bestückt zu werden. Einen dieser Akte des Demolierens hat Dariia Kuzmych im Stil des sozialistischen Realismus 2015 als Gemälde verewigt, dabei aber vermieden, eine neue heroische Rhetorik zu bedienen.

Mit insgesamt zwölf künstlerischen Positionen kompakt, aber überzeugend geratene Ausstellung mit nahezu täglichem Programm. Dass sie nur eine gute Woche läuft ist allerdings befremdlich. Fehlt der Willen solchen Projekten eine adäquate Laufzeit einzuräumen? Neben dem kurzen Geplänkel im Musa und einem terminlich fixierten Halt der Schule der Einsamen im Atelier von Heinz Frank sowie in einer ehemaligen Bäckerei, ist aber noch nicht klar, wo sich die anderen zwei Ausstellungsteile befinden werden. (Anne Katrin Feßler, 14.3.2016)