Psychische Überforderung am Arbeitsplatz ist häufig der Grund, warum Mitarbeiter die Flucht in die Pension antreten.

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Wien – Das Problem ist allen bewusst: Immer mehr Menschen werden wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig. Bei den Beziehern von Rehabilitationsgeld (der ehemaligen befristeten Invaliditätspension) gehen bereits zwei Drittel der Neuanträge auf psychische Probleme zurück – DER STANDARD berichtete.

Die Kosten für den Staat sind nicht unerheblich, wie der Psychotherapieverband vorrechnet. Knapp 189 Millionen Euro werden unmittelbar für Reha-Geld ausbezahlt – durchschnittlich bekommen die Erkrankten 1.167 Euro monatlich. In den Spitälern kostet die Behandlung psychischer Krankheiten rund 280 Millionen Euro jährlich, 250 Millionen kosten die verschriebenen Psychopharmaka, 71 Millionen fließen in Form von Krankengeld. Und schließlich geben die Krankenkassen noch rund 60 Millionen Euro für Psychotherapie aus.

Volkswirtschaftliche Kosten noch viel höher

Die unmittelbaren Kosten liegen also bei rund 850 Millionen Euro. Dazu kommen indirekte Kosten für die Volkswirtschaft durch Produktivitätsverlust und Arbeitsausfall. Das Wifo schätzt diese auf zumindest drei Milliarden Euro, die OECD geht sogar von deutlich mehr aus.

Die Behandlungsangebote für psychisch Erkrankte sind in anderen Ländern allerdings stärker ausgeprägt als in Österreich. Hierzulande kommen laut OECD 15 Psychiater auf 100.000 Einwohner, in der Schweiz sind es 47.

21,80 Euro von der Krankenkasse

Die Psychotherapeuten wiederum (sie müssen keine ärztliche Ausbildung haben, Anm.) beklagen seit Jahren eine aus ihrer Sicht zu geringe Unterstützung durch die Krankenkassen. Obwohl 900.000 Menschen Psychopharmaka nehmen, erhalten nur 65.000 eine Psychotherapie. 35.000 davon bekommen diese Leistung auf Krankenschein, 30.000 bekommen nur einen Zuschuss von der Kasse (21,80 Euro pro Therapiestunde).

Würde man den Zuschuss, der seit 1992 unverändert ist, auf 40 Euro erhöhen (wie bei der Beamtenversicherung, Anm.), könnten doppelt so viele Menschen behandelt werden, sagt der Präsident des Psychotherapieverbands, Peter Stippl, im STANDARD-Gespräch.

Konservative Schätzung

Das könne, selbst bei konservativer Schätzung, die Kosten um zumindest 300 Millionen Euro senken, glaubt Stippl. Den Krankenkassen würde die Anhebung des Zuschusses auf der anderen Seite etwa 40 Millionen Euro kosten.

Im Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist man hinsichtlich höherer Zuschüsse aber skeptisch. Diese würden nur dazu führen, dass die Therapeuten ihre Preise anheben, meint Hauptverband-Generaldirektor Josef Probst.

Mehr auf Krankenschein

Aber auch er könne sich einen weiteren Ausbau des Angebots vorstellen – allerdings im Bereich jener Stunden, die zu 100 Prozent auf Krankenschein gehen. Für diese Patienten werden Kontingente an Psychotherapiestunden über die Krankenkassen gekauft. Die Therapeuten bekommen in diesen Fällen rund 50 Euro, am freien Markt kostet die Stunden zwischen 80 Euro und 100 Euro.

Im Bereich der Invaliditätspension wird, wie berichtet, auf Regierungsebene auch an einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Pensionsversicherung und Krankenkassen gearbeitet. Es soll also genauer geprüft werden, ob tatsächlich psychische Erkrankungen vorliegen.

Ausbildung neu regeln

Manche Experten sehen aber auch Handlungsbedarf bei der Psychotherapieausbildung. Im Vergleich zu Deutschland ist der Zugang zum Beruf in Österreich relativ liberal gestaltet, mitunter wird deshalb an der Qualität gezweifelt. In der Liste des Gesundheitsministeriums sind laut Stippl aktuell 9.000 Psychotherapeuten eingetragen, etwa 6.000 würden auf freier Basis arbeiten.

Im Regierungsprogramm von SPÖ und ÖVP fand sich bereits das Vorhaben, die Ausbildung neu zu regeln. Bisher liegt allerdings kein Gesetzesentwurf vor. (Günther Oswald, 1.3.2016)