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Als Mädchen oder Bursche sozialisiert zu sein ebnet noch immer den Weg für Vorteile und Nachteile qua Geschlecht, überall auf der Welt.

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Getrennte Bereiche für Frauen und Männer sind nicht per se rückschrittlich. Wer drauflos wettert, dass getrennte Klassen für Frauen "nicht unseren Werten" entsprächen, wie zuletzt bei der Diskussion um getrennte AMS-Kurse für Frauen und Männer mit Migrationshintergrund, stellt in Wahrheit einen der großen Stolpersteine schlechthin für feministische Fortschritte auf: nämlich frauenpolitische Ziele und den herrschenden Status quo zu verwechseln, was freilich mit voller Absicht passiert, um eine moderne Frauenpolitik weiterhin zu verhindern. Oder um Ungeheuerlichkeiten, wie eine 100-Prozent-Männerquote in einer Landesregierung mit "Leistung" zu argumentieren. Man bestreitet konsequent, dass die Sozialisation, als Mädchen oder als Bub aufwachsen zu müssen – dabei müssen wir nur in das nächstbeste Spielwarengeschäft schauen –, noch Auswirkungen auf Interessen oder die Bewertung von Leistung oder Verhalten habe. Hat sie selbstverständlich noch immer, und daher ist es eine gute Sache, Unterricht oder bestimmte Aktivitäten getrenntgeschlechtlich zu organisieren.

Feministinnen studierten auf Frauencolleges

Im Falle der aktuellen Debatte um die Kompetenzchecks für Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Iran und Irak in getrennten Gruppen ist die Kurseinteilung des AMS ohnehin pragmatischen Gründen geschuldet, wie die Wiener AMS-Chefin Petra Draxl plausibel darlegte. Aber selbst wenn es nicht um eine Trennung aufgrund von geschlechtsspezifischen Berufserfahrungen ginge, laufen getrennte Kurse nicht frauenpolitischen Bestrebungen zuwider. Im Gegenteil: Es kann bestärkend für Frauen sein, "unter sich" zu lernen – egal ob im Burgenland geboren und aufgewachsen oder in Afghanistan.

In den USA lernten etwa die einflussreichen Feministinnen Betty Friedan und Gloria Steinem im größten Frauencollege der USA, dem Smith College. Die Schriftstellerin Sylvia Plath studierte dort, und auch die durchaus als feministisches Rolemodel geeignete Cristina Yang aus der Serie "Grey's Anatomy" ließen die SerienmacherInnen das Smith College besuchen. Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton und Ex-Außenministerin Madeleine Albright waren ebenso auf Frauencolleges. Und auch hierzulande gab es reine Mädchenschulen, die nicht konservativ motiviert waren. So war das Anliegen der von 1991 bis 2001 existierenden Virginia-Woolf-Schule im Wiener Wuk vielmehr ein radikal-feministisches.

Gleichberechtigungsparadies Österreich?

Aber mal davon abgesehen, dass der Reflex "Rückschritt" auf Trennung von Frauen und Männern in bestimmten Zusammenhängen falsch ist, ist die Konstruktion eines Gleichberechtigungsparadieses Österreich perfide. Womit sich der Kreis hin zu jenen schließt, die sich gar so über die AMS-Organisation der Kompetenzchecks echauffierten. Es sind nämlich genau die, die auf den leisesten Hauch von Frauenpolitik allergisch reagieren, ihn als "lächerlich" abtun oder die "Haben wir keine anderen Probleme"-Keule schwingen.

Die Referenzen der FPÖ und auch der ÖVP auf frauenpolitische Aktivitäten sind praktisch nicht vorhanden, Mandatare letzterer Partei finden Pograpschen super und sexistische Trolls bärig. Dass ausgerechnet aus dieser Richtung das Entsetzen über die Geschlechterschieflage "anderer" Kulturen regelmäßig groß ist, während sie absolut blind für die in "unserer" Kultur ist, richtet sich eigentlich selbst. Das heißt nicht, dass die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen von Diskriminierung in Wettstreit sein oder sich gegenseitig relativieren sollen. Es heißt aber, dass das plötzliche Interesse an Frauenrechten höchst unglaubwürdig ist, wenn man sich außerhalb des Flüchtlingskontextes nicht darum schert. Und auch nicht darum, was für geflüchtete Frauen konkret getan werden könnte, Stichwort Verschärfung bei der Familienzusammenführung und das von der UNHCR geforderte Recht auf eine gleichgeschlechtliche Einvernahme bei Asylverfahren.

Was bisher nur am rechten Rand und in rechtspopulistischen Kreisen en vogue war, hat es nun ein Stück weiter in die Mitte der Gesellschaft geschafft: Frauenrechte werden instrumentalisiert, um Ressentiments zu schüren. (Beate Hausbichler, 6.12.2015)