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Rund um den Bahnhof und die zentrale Busstation ist bereits ein provisorischer Campingplatz der Flüchtlinge entstanden.

Foto: AP Photo/Santi Palacios

Man sieht sie auf der Straße und in den Parks. Sie sind unverkennbar, die Gruppen erschöpft aussehender, schäbig angezogener Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika, die mit Rucksäcken auf den Schultern offensichtlich nach irgendetwas suchen. Seit Monaten prägen sie das Bild Belgrads, einer der Transitstationen auf der Balkanroute, die von Griechenland, über Mazedonien und Serbien nach Ungarn führt.

Tausende Flüchtlinge harren rund um den Belgrader Bahnhof und die zentrale Busstation aus. Dort ist ein provisorischer Campingplatz entstanden. Doch niemand hält sich hier lange auf, alle wollen so schnell wie möglich weiter – an die Grenze zu Ungarn. Von dort soll es weitergehen nach Deutschland. Wie? Das werde man schon sehen, sagt der dreißigjährige Ahmed aus Syrien.

Begehrte Bustickets

Er sitzt mit drei Freunden vor einem Supermarkt in der Nähe des Bahnhofs. Sie essen Chips und trinken Fanta. Sie haben gehört, dass die Österreicher und die Deutschen die Grenzen geöffnet hätten und Flüchtlinge "willkommen heißen". "Das wird nicht lange andauern", sagt Ahmed grinsend in fast perfektem Englisch. Wo er so gut Englisch gelernt hätte? Er habe in Hama jahrelang in einem "guten" Hostel gearbeitet.

Sie haben schon Buskarten zur serbischen Grenzstadt Subotica gekauft, sagt Ahmed. Das sei nicht einfach gewesen, denn es habe sich unter den Flüchtlingen herumgesprochen, dass die Ungarn die Grenze zu Serbien bis zum 15. September dichtmachen, sogar Soldaten einsetzen wollen. Nun hätten es alle "sehr eilig".

Überfordertes Serbien

Obwohl sich kaum jemand länger in Serbien aufhält, sinkt die Anzahl der Flüchtlinge nicht: Wenn die einen gehen, kommen andere nach. Zuerst passierten bis zu tausend Menschen am Tag die mazedonisch-serbische Grenze, dann waren es zweitausend und im August bis zu dreitausend. Nach offizieller Statistik sind in Serbien seit Jahresbeginn 96.000 Flüchtlinge registriert worden, dazuzählen sollte man schätzungsweise noch rund fünfzig Prozent, die sich nicht von der serbischen Polizei registrieren ließen.

Die Aufnahmekapazitäten Serbiens sind gering, das Land ist völlig überfordert und braucht dringend Unterstützung von der EU. Ministerpräsident Aleksandar Vučić kündigte bis zum Einbruch des Winters den Bau von zwei neuen Aufnahmelagern an, in denen tausende Flüchtlinge aufgenommen werden sollen. Darüber will er in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel reden.

Todesfälle

In Belgrad besteht die Befürchtung, dass die Lager völlig überfüllt sein könnten, wenn es Ungarn schafft, die Grenze zu Serbien dichtzumachen. Schon jetzt gab es erschütternde Todesfälle unter Flüchtlingen: Ein Lkw überfuhr eine vierköpfige Familie auf einer Landstraße, ein junger Mann ertrank in der Save, ein Flüchtling wurde während einer Auseinandersetzung mit anderen Flüchtlingen erstochen.

In Serbien fühlen sich viele von den EU-Staaten alleingelassen. Das serbische Wochenmagazin "Vreme" schreibt, erst 71 Leichen in einem Kühlwagen seien notwendig gewesen, um das Mitgefühl in Österreich und Deutschland dermaßen zu wecken, dass etwas in Bewegung gebracht wird, obwohl die Flüchtlingstragödie schon so lange andauert. (Andrej Ivanji aus Belgrad, 8.9.2015)