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Foto: AP/Edvard Molnar

Wer in den vergangenen Tagen die Bilder von Flüchtlingen in Österreich mit jenen in Ungarn verglich, könnte der Meinung sein, die beiden Länder befinden sich auf unterschiedlichen Planeten. Während die ankommenden Asylsuchenden auf dem Wiener Westbahnhof mit Applaus und Hilfspaketen empfangen wurden, herrschte auf dem Budapester Keleti lange Zeit Elend: Tausende Menschen mussten auf dem Boden schlafen und blieben ohne jede Versorgung, ehe sie mit Bussen an die Grenze zu Österreich gekarrt wurden.

Die Flüchtlingskrise hat zwischen den Ländern auch zu politischen Konflikten geführt. Einmal auf politischer Ebene, wo sich Budapest und Wien gegenseitig vorwerfen, europäische Regeln zu brechen. Österreichs Kanzler Werner Faymann belehrte Ungarn sogar öffentlich, dass "Asyl ein Menschenrecht" sei. Aber eine Kluft wurde auch zwischen den Bürgern spürbar.

Viele Österreicher schießen sich auf Ungarns rechtskonservativen Premier Viktor Orbán ein: In sozialen Medien wird er als "Diktator" mit "Verständnis für Putin, nicht aber für Flüchtlinge" bezeichnet. Der Ruf, Orbáns Fidesz aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei zu werfen, wird laut.

Richtig ist, dass die Zustände auf dem Keleti jeden Menschen erschüttern sollten. Doch Sanktionsdrohungen und Beleidigungen werden nichts bewegen. Im Gegenteil, sie werden den nationalen Schulterschluss in Ungarn noch verstärken, ganz nach dem Motto: Seht her, wie schlecht man uns im Ausland behandelt.

Notwendig wäre vielmehr der Versuch, die Stimmung im Nachbarland zu verstehen. Das heißt nicht, dass man die Vorgänge gut finden sollte.

Aber die Ursachen dafür, dass den Flüchtlingen in Ungarn eine so große Welle an Wut und Angst entgegenschlägt, gehören beleuchtet. Denn damit sich niemand täuscht: Man kann Orbán ablehnen, sosehr man will. Tatsache ist aber, dass er die Mehrheit der Wähler mit seinem Kurs hinter sich weiß. Hat die Haltung der Ungarn also sozioökonomische Ursachen? Der Lebensstandard liegt deutlich unter jenem im Westen, und die Kluft ist krisenbedingt weiter aufgegangen. Oder ist das Klima eine Spätfolge der mangelnden politischen Diskussionskultur aus der Zeit des Kommunismus?

Darüber sollten die Bürger und NGOs in Österreich diskutieren und den Austausch mit ungarischen Organisationen, Parteien und zivilgesellschaftlichen Bewegungen suchen. Auch die Kirche in Österreich wäre gefragt, ihre Kontakte zu intensivieren, denn ein großer Teil des ungarischen Klerus steht den Flüchtlingen ablehnend gegenüber. Dieser grenzüberschreitende Austausch könnte nicht nur helfen, Spannungen abzubauen. Er könnte auch einen Umdenkprozess im Nachbarland verstärken.

Doch allein mit dem Finger in Richtung Budapest zu zeigen reicht noch aus einem ganz anderen Grund nicht aus. Die EU wird die Flüchtlingskrise nur dann gut überstehen können, wenn sie eine gemeinsame und humane Antwort findet. Dazu sind aber alle 28 EU-Mitgliedsländer notwendig.

Widerstände gegen die Pläne der EU-Kommission, Flüchtlinge fair auf alle Staaten zu verteilen, gibt es neben Ungarn auch in Tschechien, Polen und der Slowakei. Auch die Innenperspektiven dieser Länder gehören beleuchtet. Erst ein Europa, dem es auf diese Weise gelingt, Verständigung zwischen den Bevölkerungen zu schaffen, kann auf das wichtigste Mittel zur Krisenbewältigung hoffen: Solidarität. (András Szigetvari, 7.9.2015)