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2015: Straches Wien-Wahlkampfsujet ruft zur Oktober "Revolution" auf.

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1917 stand Lenin an der Spitze der Oktoberrevolution.

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Jetzt haben sie es also wieder getan. Musste 2008 Che Guevara für eine Werbekampagne der FPÖ herhalten, ist es diesmal, in den Wochen vor der Wahl in Wien, eine Revolution, die bemüht wird. Und nicht irgendeine; weil – Achtung, lustig – der Wahltermin auf einen Oktobertag fällt, ist es die Oktober "Revolution" (sic!). Ja, mit Leerzeichen. Ja, unter Anführungsstrichen.

Blutiges Ereignis

Wer in der Oberstufe aufgepasst hat, weiß: Das Ereignis, auf das durch dieses Wortspiel hingezeigt wird – die Russische Revolution von 1917 –, ist ein äußerst blutiges gewesen. Das kann objektiv festgestellt werden, egal von welcher Seite des ideologischen Spalts aus man es betrachtet. Im kurzen historischen Rückwärts-Trailer sieht die Sache so aus:

Nach einer Zeit der politischen Wirren, in der versucht wurde, aus dem russischen Zarentum eine Demokratie zu machen, gelang es einer radikalkommunistischen Gruppe um Lenin, nämlich den Bolschewiken, die Übergangsregierung zu stürzen und in der Folge einen neuen Staat zu gründen: eine Diktatur des Proletariats. Das dazugehörige Ereignis, eben die sogenannte Oktoberrevolution – in Russland wurde damals ein anderes kalendarisches System verwendet, in Resteuropa war bereits November –, vergleicht Hannes Stein, Korrespondent der Zeitung "Die Welt", mit dem Wüten des IS: Grausame Morde, Massenvergewaltigungen, Lynchjustiz, nicht zuletzt Aneignung von Vermögen folgten dem, was der britische Historiker Orlando Figes trocken als "militärischen Putsch" bezeichnet. Der Schriftsteller Maxim Gorki, ein Augenzeuge der Revolution – und heuer mit "Wassa Schelesnowa" im Burgtheater vertreten –, bezeichnete die bolschewistischen Anführer als "blinde Fanatiker". Alexander Jakowlew, ein Vertrauter Gorbatschows, sprach in seinem Buch "Ein Jahrhundert der Gewalt in Sowjetrussland" von Lenin als einem Henker.

Geschichte studiert?

Aber hat der FPÖ-Generalsekretär und -Wahlkampfleiter Herbert Kickl nicht Geschichte studiert, fragt man sich verwirrt. Ja, hat er (tut er: seit 1989, laut Lebenslauf auf der Website des Parlaments). Aus dieser "Wissenheit" heraus – Unwissenheit sollte man nicht unterstellen – wohl auch die Anführungszeichen. Weil ganz so arg will es hoffentlich auch die FPÖ nicht meinen: keine Attentate, kein Blutvergießen, obwohl: "Strache" auf "Rache" zu reimen, das ist schon fast die politische Werbesprache der Ersten Republik. (Wie im Übrigen auch bekannt sein dürfte, dass der Slogan "Wien darf nicht Istanbul werden" astrein von Karl Lueger abgekupfert ist, dem christlichsozialen Bürgermeister Wiens in der Vorkriegszeit: "Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden", hieß es damals. Wie unschwer zu erkennen ist, hat Lueger in Sachen Antisemitismus die Saat mitgelegt, die ... aber das wissen wir hoffentlich alle. Klammer zu.)

Wer sein mit "Kickl" beschriftetes Kotzeimerchen ohnehin schon neben dem Nachtkästchen stehen hat, wird es beim Istanbul-Sager schon benutzt haben. Beim gezielten Einsatz der linken Ikone Che Guevara ebenso. Und jetzt wieder. Ich muss gestehen, der Würgereflex hat mich auch überkommen.

Natürlich Kalkül

Aber wenn der Reflex sich gelegt hat, dann sagt mir ein klarer Blick: Es ist natürlich Kalkül. Ich soll kotzen wollen. Alle, die das Reizwort der "Oktoberrevolution" entschlüsseln können, werden sich aufregen – über die Aneignung eines linken Ereignisses, aber hauptsächlich über die Unverschämtheit, eine Zeit des Terrors – weißgewaschen/blau verwaschen – als Slogan zu missbrauchen. Und die Herren von der FPÖ können dann bequem mit dem Finger auf uns zeigen und zu denen sagen, die zu dieser Entschlüsselung nicht in der Lage sind: Schauts, die Bobos und die Gutmenschen, die Gstudierten, die regen sich schon wieder künstlich auf. Und zack, schon hat die Werbung ihren Zweck erfüllt.

Fünf-Punkte-Plan

"Die" gegen "uns": eine simple, populistische Taktik, nichts Neues. Wenn es aber so ist, dass die FPÖ ständig mehr Rückenwind bekommt, dann muss man sich fragen, was da passiert. Ohne Zweifel ist ein Spalt in der Gesellschaft entstanden: "Die" rücken immer weiter weg von "uns" (dass sich der Ärger über Ungleichheiten in Status und Möglichkeiten am leichtesten über Asylwerberinnen und Asylwerber kanalisiert, ist täglich zu besichtigen).

Wenn es diesen tiefen Spalt in unserer Gesellschaft gibt, dann ist es an der Zeit, nicht nur einen Fünf-Punkte-Plan für den Umgang mit der "Flüchtlingskrise" zu skizzieren, wie kürzlich im Außenministerium geschehen, sondern dafür, sich auch einen innergesellschaftlichen Plan zurechtzulegen. So, wie davon die Rede ist, dass man in den Herkunftsländern der Flüchtlinge für Frieden sorgen sollte, müssten in den Stammregionen der FPÖ-Wählerschaft wahrhaft Friedensmissionen gestartet werden. Bildungsmissionen. Menschlichkeitsmissionen.

Krisengebiet Nummer Eins: Bildung

Solange das Verständnis von Bildung als Privatsache nicht überwunden wird, wird es der FPÖ ein Leichtes sein, aus der Unwissenheit ihrer Wählerinnen und Wähler politisches Kapital zu schlagen. Solange von Hauptschülerinnen und -schülern hauptsächlich erwartet wird, pünktlich und ordentlich zu sein, weil sie nichts anderes zu wissen brauchen, um in einer kapitalistischen Gesellschaft zu funktionieren, wird sich das nicht ändern. Was allerdings tut der Staat Österreich? Er spart auch im Krisengebiet Nummer eins, bei der Bildung. Gute Nacht, Staat. (Katharina Tiwald, 27.8.2015)