ORF-Finanzdirektor Richard Grasl kritisiert Zweiklassengesellschaft: "Wer die ORF-Radioprogramme auf herkömmlichem Weg konsumiert, bezahlt Rundfunkgebühr, wer dieselben Programme über das Internet hört, nicht."

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Medienminister Josef Ostermayer verweist auf Reform-Arbeitsgruppe.

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Wien – ORF-Finanzdirektor Richard Grasl fordert nach dem Gebührenentscheid des Verwaltungsgerichtshof, die Lücke mit einer Gesetzesänderung zu schließen. Mit dem Entscheid entstehe eine "Zweiklassengesellschaft" unter den ORF-Konsumentinnen und -Konsumenten. Und wie sieht man im Medienministerium die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass mit ORF-Radiokonsum über Internet noch keine Gebühren fällig werden – wenn sonst kein betriebsbereites Empfangsgerät im Haushalt steht?

Deutschland hat schon eine Haushaltsabgabe für alle statt der Rundfunkgebühr, um solche Technikfragen zu umgehen. Die Schweiz bekommt eine. Für Österreichs Medienministerium ist das Thema Haushaltsabgabe derzeit nicht aktuell, hieß es auf STANDARD-Anfrage.

Gesetzeslage klar und klarer

Die Gesetzeslage ist klar und mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch ein Stück klarer geworden, sagte ein Sprecher von Medienminister Josef Ostermayer am Montag auf STANDARD-Anfrage. Das Höchstgericht habe auch die Qualität des neuen Bundesverwaltungsgerichts bestätigt – indem es eine Revision gegen dessen Gebührenentscheid abgelehnt hat.

Die Rechtslage

Die nun höchstrichterlich untermauerte Rechtslage: Wer einen PC mit Breitbandanschluss hat, gerne auch mit Lautsprechern, muss keine Gebühren zahlen, auch wenn er oder sie über diesen PC ORF-Radioprogramm konsumiert. Denn: Ein PC ohne TV- oder Radiokarte oder einem DVB-T-Stick ist kein Rundfunkgerät, und nur für betriebsbereite Rundfunkgeräte fallen Gebühren an – übrigens unabhängig davon, ob man damit auch ORF-Programme konsumiert. Solange die Geräte in einem Gebiet stehen, das der ORF mit DVB-T-Signalen terrestrisch versorgt.

GIS: Realitätsfern

Die GIS findet die Unterscheidung nach Verbreitungsweg für dieselben Programme nicht zeitgemäß und realitätsfern. Mehr und mehr TV- und Radiokonsum über webbasierte Geräte hält die Debatte über passende Gebührenmodelle und eine Haushaltsabgabe für alle seit mehr als einem halben Jahrzehnt am Köcheln, mit wechselnder Intensität gefordert vom ORF, schroff abgelehnt von Usern, aber auch manchem Boulevardblatt, und vom Medienstaatssekretär beziehungsweise -minister Ostermayer skeptisch bis zurückhaltend behandelt.

"Abgesicherte Finanzierung"

Bei einer internationalen Medienkonferenz im Kanzleramt sagte Ostermayer etwa 2012 zu TVtheken und TV-Webangeboten: "Damit wird – ob wir das wollen oder nicht – das über Jahrzehnte bestehende Gebührenfinanzierungsmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage gestellt. In Deutschland wird ab 2013 und in der Schweiz voraussichtlich ab 2016 die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks in Form der Haushaltsabgabe – somit geräteunabhängig – eingeführt. Das wird noch zu vielen Diskussionen führen. Ich will nicht vorgreifen, aber eines möchte ich schon jetzt sagen: Wir brauchen in Österreich und in Europa auch weiterhin einen starken, unabhängigen, der Tradition der Aufklärung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, mit ausreichender und abgesicherter Finanzierung, damit er seiner gesellschaftlichen Integrationsfunktion auch in Zukunft nachkommen kann."

ORF: "Lücke schließen"

ORF-Finanzdirektor Richard Grasl wünscht sich nach der Entscheidung eine Gesetzesnovelle: "Der VwGH hat aufgezeigt, dass die jetzige Rechtsmeinung mit der technischen Realität nicht zusammenpasst. Auch wenn die heutige Rechtssprechung noch für wenige Haushalte zutreffend ist, wird es mittelfristig notwendig sein, die Rundfunkgebühr an den öffentlich-rechtlichen Inhalt und nicht an die technische Verbreitungsvariante zu koppeln, um die neu entstandene Lücke zu schließen. Dazu gibt es in Europa ja schon etliche Modelle und Überlegungen, die es nun zu bewerten gilt."

"Zweiklassengesellschaft" unter ORF-Usern

Grasl argumentiert: "Durch diese Entscheidung entsteht gleichzeitig eine Zweiklassengesellschaft unter den ORF-Hörerinnen und -Hörern: Wer die ORF-Radioprogramme auf herkömmlichem Weg konsumiert, bezahlt Rundfunkgebühr, wer dieselben Programme über das Internet hört, nicht."

Medienministerium verweist auf Reform-Arbeitsgruppe

Das Medienministerium im Kanzleramt verweist nun auf die von ihm einberufene Reform-Arbeitsgruppe großer Medienplayer, darunter der ORF, Privatsender- und Verlegervertreter. Wenn einer der Player dort das Thema aufbringt, wäre man gerne bereit, mit allen darüber zu reden. Beim ersten Termin der Arbeitsgruppe im Juni im Kanzleramt habe die Frage Haushaltsabgabe/Rundfunkgebühren noch keine Rolle gespielt. Bei diesem Termin vertraten Finanzdirektor Grasl (und Büroleiter Michael Wimmer) ORF-General Alexander Wrabetz.

In Branchendebatten kursiert seit längerem eine Art generelle Medien-Abgabe statt der bisherigen Rundfunkgebühren, die neben dem Programmentgelten für den ORF auch Medienförderungen speisen soll – etwa Presseförderung.

ÖVP-Mediensprecher Gernot Blümel kann einer grundlegenden Neuordnung – mittelfristig – durchaus etwas abgewinnen, sagte er im STANDARD-Interview. Montag bekräftigte der VP-Generalsekretär: "Die Frage Haushaltsgabe ja/nein ist zu kurz gegriffen. Denn uns geht es um eine mittel- bis langfristige gesamtheitliche Reform der Medienförderung und -finanzierung – sowohl Presseförderung, als auch ORF-Gebühren, diverse Förderungen für Private, Regierungswerbung und so weiter." (fid, 20.7.2015)