Den steigenden Wählerfrust in Österreich verursachen seit Jahrzehnten SPÖ und ÖVP durch einen Verweigerungsdreiklang:

  1. die Verweigerung direkter Demokratie,
  2. die Verweigerung innerparteilicher Demokratie,
  3. die Verweigerung transparenter Parteikassen und der Begrenzung der Wahlkampfkosten.

Ad 1) Die derzeitigen Verhandlungen über ein Mehr an Demokratie und Transparenz stehen einmal mehr unter dem Motto: Warum mutig, wenn's auch zaghaft geht. Mit 650.000 Unterschriften für eine verbindliche Volksabstimmung liegt die ÖVP 550.000 Stimmen über dem Schweizer Initiativrecht. Dass die SPÖ nun 700.000 fordert, macht die Sache nicht besser, sondern schlechter. Mutig wäre es gewesen, wenn ÖVP/SPÖ sich auf 300.000 geeinigt hätten - wenn man sich schon nicht traut, das Schweizer Modell (100.000 Unterschriften) oder das grüne Modell (200.000) zu übernehmen.

Die Verweigerung von direkter Demokratie ist jedoch nicht nur in den Köpfen von vielen Politikern verankert, sondern auch von Journalisten wie Hans Rauscher, der in seiner STANDARD-Kolumne gegen Volksabstimmungen gleich ein Volksbegehren als Volksabstimmung uminterpretiert, um dann mit falschen Zahlen vor dem Volk zu warnen. Zu Recht hat Peter Warta am Dienstag in seinem Antwortkommentar darauf aufmerksam gemacht, dass durch eine kluge Ausgestaltung der Verfahrensregeln verfassungs- und minderheitenfeindliche Volksabstimmungen gut verhinderbar und Rauschers Ängste daher überzogen sind.

Noch schlimmer als die viel zu hohe Zahlenhürde für verbindliche Volksabstimmungen ist die suggerierte Demokratieverbesserung durch die Einrichtung von Einerwahlkreisen. Einerwahlkreise sind ein Beitrag zur Mandatssicherung für Großparteien. In Deutschland, wo es dieses System gibt, zeigen die Wahlergebnisse seit Jahrzehnten, dass die Direktmandate eine sichere Bank für SPD und CDU sind. In den Einerwahlkreisen hängt es nicht unbedingt davon ab, wie gut eine Person ist, um zu gewinnen, sondern wie die soziologischen Wahlschichten verteilt sind. Selbst Hans Christian Ströbele, der in Berlin Kreuzberg immer das einzige Direktmandat für die Grünen deutschlandweit gewinnt, verdankt das nicht nur seiner Beliebtheit, sondern auch dem Umstand, dass in seinem Wahlbezirk das Grün-Milieu dominiert. Die beste Möglichkeit, ein Persönlichkeitswahlrecht zu etablieren, ohne damit Vorteile für die Großparteien zu erzeugen, wäre die Einführung des finnischen oder Südtiroler Wahlsystems. Die Listenkandidaten werden zwar von der Partei aufgestellt, aber die Reihung erfolgt über ein einfaches Vorzugsstimmensystem durch die Wählerinnen und Wähler.

Ad 2) Innerparteilich wird bei der SPÖ/ÖVP die Demokratie offenbar eher als störend denn als bereichernd empfunden. Die wichtigen Entscheidungen fallen nicht auf den Mitgliederversammlungen, sondern werden zwischen Parteichef, Geschäftsführung und Klubobmann ausgemacht, und das Parteimitglied darf dann auf Parteitagen das bereits Vorentschiedene abnicken.

Da inzwischen generell parteilicher Meinungs- bzw. Führungsstreit in der Öffentlichkeit negativ besetzt ist, versucht das Parteimanagement alles, um nur ja keinen Widerstreit nach außen dringen zu lassen. Warum soll aber jemand auf Parteitage gehen, wenn seine vielleicht abweichende Meinung eh nicht erwünscht ist bzw. nur als Störung des gut inszenierten " Events" erlebt wird. Warum soll jemand bei SPÖ/ÖVP noch Parteimitglied werden, wenn seine Stimme nicht gehört wird?

Bei der SPÖ entscheidet das Triumvirat Werner Faymann, Laura Rudas und Josef Cap und in der ÖVP das Triumvirat Michael Spindelegger, Johannes Rauch und Karlheinz Kopf. Und auf Landesebene feiert das innerparteiliche Königstum noch fröhlichere Urständ als im Bund: In Niederösterreich thront Erwin Pröll über seiner Partei, in der Steiermark SPÖ-König Franz Voves, der im jüngsten STANDARD-Interview seiner Abneigung gegen direkte Demokratie freien Lauf lässt und für ein Mehrheitswahlrecht plädiert - damit die SPÖ/ÖVP weiterhin ungestört regieren kann?

Ad 3) Statt radikale Transparenz in die Parteienkassen zu bringen und Wahlkampfkosten massiv einzuschränken, werden auch hier nur zaghaft Veränderungen "angedacht" und fragwürdige Praktiken gar nicht angesprochen.

Mit dieser zögerlichen Haltung - nur ein bisschen direkte Demokratie, ein bisschen Transparenz und ein bisschen Wahlkampfkostenbegrenzung - vergeben die beiden immer noch wichtigsten Parteien Österreichs, die große Chance, in Österreich endlich ein starkes Signal für eine neue, begeisternde politische Kultur zu setzen.

PS: Als Grüner, der sich mehr Kritik und Begeisterung von den Grünen wünscht, freut es mich, dass die Grüne Jugend (Tobias Schweiger gestern an dieser Stelle) auch auf die derzeitigen blinden Flecken der grünen Parteienfinanzierungsdebatte - z. B. Politikgehälter - hinweist. Insgesamt sehe ich aber das Problem, auf das Günter Traxler aufmerksam gemacht hat: Ohne eine politische Erneuerung von SPÖ/ÖVP wird in Österreich die Politikverdrossenheit nicht abnehmen, auch wenn wir Grünen das beste und sauberste Parteieinfinanzierungsgesetz Europas vorlegen würden. (Franz Klug, DER STANDARD, 30.5.2012)