Eine Aufnahme eines Naturschutzgebiets in Belgien
Mit dem geplanten EU-Renaturierungsgesetz soll auch die Biodiversität geschützt werden.
APA/FRANZISKA ANNERL

Die Bundesländerblockade rund um das EU-Renaturierungsgesetz bleibt weiterhin aufrecht. Eine Abänderung der bestehenden einheitlichen Länderstellungnahme gegen das Vorhaben ist "nicht zustande gekommen", wurde am Dienstag in einem Brief an die Landeshauptleute mitgeteilt. Verfasst wurde der Schriftsatz vom Leiter der Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der niederösterreichischen Landesregierung, Andreas Rosner.

Frage: Warum ist hierfür Niederösterreich zuständig?

Antwort: Aktuell steht Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) der Landeshauptleutekonferenz vor. Sie wurde vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (beide SPÖ) gebeten auszuloten, ob die Länder ihre gemeinsame Blockadehaltung gegen das Gesetz nicht doch aufgeben wollen. Wien und Kärnten erklärten sich nun offen dafür. Als Gründe geben Ludwig und Kaiser an, dass bisher bestehende Bedenken nach Nachverhandlungen auf EU-Ebene ausgeräumt werden konnten. Nach der Einholung aktueller Stellungnahmen ist aber klar, dass sich die anderen sieben Bundesländer weiterhin für eine Blockade aussprechen – und eine Änderung der einheitlichen Länderstellungnahme damit nicht möglich ist.

Frage: Warum ist diese einheitliche Länderstellungnahme gegen das EU-Gesetz so bedeutend?

Antwort: Laut Bundesverfassungsgesetz ist die in diesem Fall zuständige Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) bei Verhandlungen und Abstimmungen in der EU an diese Stellungnahme gebunden. Abweichungen sind nur dann möglich, wenn "zwingende außen- und integrationspolitische Gründe" dagegen sprechen. Walter Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Innsbruck, sagt dazu dem STANDARD: "Ich sehe diese Gründe nicht, so wichtig das Thema Renaturierung auch sein mag."

Anmerkung: Dieser Podcast wurde aufgenommen, kurz bevor die ÖVP-Bundesländer ihre Blockade zum Thema bekräftigt haben. Die Hintergründe werden ausführlich erklärt.

Frage: Aber reicht nicht das Ausscheren der beiden Bundesländer Wien und Kärnten aus, dass die bislang einheitliche Länderstellungnahme damit obsolet wird?

Antwort: Für den Europarechtsexperten Obwexer fällt die Antwort einfach aus: "Nein." Für eine Änderung der einheitlichen Stellungnahme müsse ein gewisses Verfahren durchlaufen werden. Und zwar genau ein solches, das zuvor zu einer solchen Stellungnahme geführt hat. Sprich: Mindestens fünf Bundesländer müssten sich offen für eine Änderung aussprechen und kein Bundesland explizit dagegen. Das liegt derzeit definitiv nicht vor. Auch der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger ist der Meinung, dass ein neuer Beschluss durch die Landeshauptleute erforderlich sei, um den alten Beschluss mit dem einheitlichen Nein außer Kraft zu setzen. Eine nicht einstimmige Aufhebung sei "absolutes Neuland", sagte er der APA.

Frage: Kann Umweltministerin Gewessler die noch vorliegende einheitliche Länderstellungnahme beim EU-Votum missachten und einfach für das EU-Renaturierungsgesetz stimmen?

Antwort: Können ist hier nicht das Thema. Falls sie es tun sollte, "riskiert sie eine Ministeranklage beim Verfassungsgerichtshof", ist sich Obwexer sicher. Gewessler selbst hat die anhaltende Entscheidung der Länder gegen das EU-Gesetz am Dienstagabend in der ZiB 2 als "wirklich zukunftsvergessen" kritisiert. Im Büro von Landeshauptfrau Mikl-Leitner will man dazu keine Stellung nehmen, da die Umweltministerin in der Sendung gesagt habe, dass sie sich an die Stellungnahme gebunden fühle. Sollte die einheitliche Länderstellungnahme aber aufgehoben werden, will Gewessler aber trotz des Widerstands der ÖVP auch in der Bundesregierung im EU-Umweltrat für das Gesetz stimmen.

Frage: Wäre das so einfach möglich?

Antwort: Hier gibt es zwischen den Grünen und der ÖVP divergierende Rechtsansichten. Jene der ÖVP untermauert Experte Obwexer: Für ihn stehe "außer Frage", dass es laut Bundesministeriengesetz eine Zustimmung auch aus anderen vom EU-Gesetz betroffenen Ministerien brauche, namentlich vor allem das Ressort Landwirtschaft. Minister Norbert Totschnig wie auch Kanzler Karl Nehammer formulierten aber bereits ihre Widerstände. Auf der anderen Seite verwies Gewessler auf ein Vorgehen Totschnigs, der "ohne mein Einvernehmen in Brüssel die Umweltschutzstandards abschwächen kann". Das müsse demnach umgekehrt auch möglich sein.

Das geplante EU-Renaturierungsgesetz.
APA

Frage: Worum geht es beim EU-Renaturierungsgesetz eigentlich?

Antwort: Mit dem Nature Restoration Law sollen künftig vermehrt Wälder, Moore und Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Nach zähen Verhandlungen wurde das Gesetz in abgeschwächter Form im EU-Parlament beschlossen. Beim Rat der EU-Umweltminister Ende März wurde das Vorhaben allerdings von der Tagesordnung genommen, da sich vor der geplanten finalen Absegnung keine qualifizierte Mehrheit abzeichnete. Dafür sind mindestens 55 Prozent der Mitgliedsländer notwendig, die zumindest 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Der nächste EU-Umweltrat findet am 17. Juni in Luxemburg statt.

Frage: Bei welchen klimarelevanten Vorhaben spießt es sich sonst in der türkis-grünen Bundesregierung?

Antwort: In erster Linie ist das seit Jahren ausständige Klimaschutzgesetz zu nennen, da die alte Fassung nur bis Ende 2020 galt. Dieses soll eigentlich darlegen, wie viele Emissionen in welchem Sektor innerhalb welchen Zeitraums reduziert werden müssen. Bisher konnten sich Grüne und ÖVP aber nicht einigen – und werden es wohl auch nicht mehr, es spießt sich etwa an Sanktionsmechanismen für Bundesländer, die ihre Klimaziele nicht erfüllen. "Das wird nicht mehr kommen", sagte ÖVP-Klimasprecher Johannes Schmuckenschlager Mitte des Monats über das Klimaschutzgesetz. Aber auch der verpflichtende Klimacheck für Gesetze und der geplante Klimarechnungshof gehen sich ihm zufolge bis zur Wahl nicht mehr aus. Offen ist, ob das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz noch kommt, durch das Genehmigungsverfahren für Windkraft und ähnliche Projekte verkürzt werden sollen. (David Krutzler, Alexander Hahn, 29.5.2024)