Fünf Frauen sind am vergangenen Freitag in Wien ermordet worden – innerhalb von 24 Stunden: Eine 13-Jährige und ihrer Mutter wurden am Morgen tot in ihrer Wohnung im Bezirk Landstraße aufgefunden. Drei weitere Frauen wurden am Abend Opfer einer Messerattacke in der Brigittenau.

Nach dem Dreifachmord in der Wiener Brigittenau gedenken Menschen mit Kerzen und Schildern der drei Frauen.
APA/MAX SLOVENCIK

Fünf getötete Frauen – das sind an einem Tag genauso viele, wie in Wien im gesamten Jahr 2023 laut den Zahlen des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser Opfer eines Femizids wurden. Österreichweit wurden demnach im Vorjahr 26 Femizide verübt. 26 Frauen, die getötet wurden, weil sie Frauen waren. Statistisch sind das mehr als zwei Femizide pro Monat. Zusätzlich dazu zählte der Verein 2023 zwei weitere Morde mit Frauen als Opfer und 51 Mordversuche oder Fälle schwerer Gewalt an Frauen. "Gewalt an Frauen ist ein strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem", hieß es am Sonntag von dem Verein in einer Aussendung. Österreich sei das einzige Land in der EU, in dem mehr Frauen als Männer von Männern getötet würden. Und: Gewalt betreffe in Österreich jede dritte Frau. "Wir fordern eine weitere Stärkung des Opferschutzes für gewaltbetroffene Frauen."

Gewalt in allen Gesellschaftsschichten

Wie auch die aktuellen Taten in Wien zeigen, geschieht Gewalt gegen Frauen in allen Gesellschaftsschichten. Im Fall der getöteten 51-Jährigen und ihrer Tochter gilt der verschwundene Vater und Ehemann als tatverdächtig. Der 53-jährige Mann ist österreichischer Staatsbürger. Jener Mann, den die Polizei verhaftet hat, weil er im Verdacht seht, drei Mitarbeiterinnen des Asia-Studios im 20. Bezirk erstochen zu haben, ist ein 27 Jahre alter Asylwerber aus Afghanistan. Er zeigte sich "grundsätzlich geständig", wie ein Polizeisprecher der APA mitteilte. Um das Tatmotiv und weitere Hintergründe der Messerattacke zu klären, wurde der Mann am Sonntag weiter einvernommen.

"Femizide kommen nicht nur in einer bestimmten Gruppe vor", sagt Andrea Brem dem STANDARD. Sie leitet seit 2001 die Wiener Frauenhäuser. "Trotzdem müssen wir uns um junge Männer, die aus sehr patriarchalen Strukturen kommen, mehr kümmern", betont die Sozialarbeiterin. Traumatisierte Männer mit Fluchterfahrung würden oft abgekapselt in einem Ort leben. "Das ist – unabhängig von der Herkunft – das Schlechteste, was man machen kann", sagt sie.

Wien will regelmäßigen Austausch

Die Chefin der Frauenhäuser will, dass "jeder Mord an einer Frau oder an einem Kind zum Anlass genommen" werde, in dem jeweiligen Bundesland eine Arbeitsgruppe mit Expertinnen einzuberufen und zu analysieren, was schiefgegangen sei, welche Mechanismen versagt hätten und welche Maßnahmen man setzen müsse, damit so etwas nicht mehr passiere.

Für die Wiener Neos ist klar: "Dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und allen voran Präventionsarbeit muss endlich oberste Priorität auf absolut allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen eingeräumt werden", wie die pinke Frauensprecherin Dolores Bakos in einer Aussendung klar machte: "Jede Art der Männergewalt gegen Frauen ist schlicht inakzeptabel."

Auch Wiens Frauenstadträtin und Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál fordert in einem Statement an den STANDARD einen "regelmäßigen, österreichweiten Austausch und Gewaltschutzdialog zwischen Bund und Ländern – gemeinsam mit den Opfer- und Gewaltschutzeinrichtungen". Sie sieht hier den Bund gefordert. Wichtig sei auch, dass von Gewalt betroffene Frauen "rasch und unbürokratisch Hilfe und Unterstützung bekommen". Gaál Parteikollegin, SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner pochte in einer Aussendung darauf, "endlich einen Nationalen Aktionsplan Gewaltschutz umzusetzen, um Frauenleben in Österreich zu schützen“. Auch dass die Anzahl der Betretungsverbote steige zeige: "Es besteht dringender Handlungsbedarf."

Allein in Wien wurden im Jahr 2023 mehr als 4.200 Betretungs- und Annäherungsverbote von der Polizei ausgesprochen und dadurch automatisch an das Wiener Gewaltschutzzentrum übermittelt. Laut Daten, die die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie vergangenen Sommer veröffentlichte, findet man in der Bundeshauptstadt einen besonders hohen Anteil an solchen Betretungs- und Annäherungsverboten. Während im Jahr 2022 österreichweit pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Schnitt 16,2 solcher Maßnahmen gesetzt wurden, waren es in Wien 21,8. Die wenigsten Betretungs- und Annäherungsverbote gab es demnach 2022 in der Steiermark mit 12,6 pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

26 Femizide, eine Wegweisung

Die Wegweisung ist laut Brem ein gutes Instrument – allerdings nur, wenn sich der Täter auch daran hält. Dass die ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverbote ansteigen, könnte laut ihr auch mit dem Umstand zu tun haben, dass das Angebot für Frauen in Not stetig größer wird und auch die Polizei vermehrt für das Thema sensibilisiert wird. Allerdings: "Die Gewalt wird leider nicht weniger, das zeigt die konstante Mordzahl", sagt Brem. Und: Von den 26 Frauenmorden, die 2023 verübt wurden, ist laut Innenministerium nur in einem Fall ein Annäherungs- und Betretungsverbot vorab ausgesprochen worden. (Oona Kroisleitner, 25.2.2024)