Die Kritik war deutlich: Es gebe in Österreich keine langfristig angelegte, gesamthafte Strategie zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Zu diesem Schluss kam der Rechnungshof in einem am Freitag veröffentlichten Prüfbericht. Er stellte außerdem fest, dass die Bundesländer die vom Europarat im Sinne seiner Istanbul-Konvention empfohlene Anzahl an Familienplätzen in Frauenhäusern je 10.000 Einwohner nicht erreichten.

Vielen Betretungs- und Annäherungsverboten folgt eine Anzeige durch die Polizei.
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Das ist etwa in Salzburg der Fall: Nach der Umstrukturierung der Frauenhäuser gibt es dort aktuell insgesamt nur 38 Plätze für gewaltbetroffene Frauen im Frauenhaus der Stadt Salzburg, im Pinzgau und in dezentralen Schutzwohnungen. Das Frauenhaus Mirjam in Hallein wurde 2021 geschlossen. Nun arbeitet jedoch die Caritas an einem Frauenwohnheim in Hallein nach dem Vorbild des Hauses für Frauen in Notsituationen in der Salzburger Plainstraße. Die Übergangswohnungen sind für jene gedacht, die nach dem Frauenhaus oder nach der Obdachlosigkeit ein neues Leben beginnen wollen.

Nachdem in Salzburg zuletzt am 8. August in Lamprechtshausen eine 35-Jährige von ihrem Mann erschlagen wurde, der danach Suizid beging, fordern Gewaltschutzeinrichtungen mehr Beratung und Aufklärung zu Gewalt in der Familie. Beim Gewaltschutzzentrum Salzburg wurden heuer bereits 1.080 Menschen, davon großteils Frauen, beraten. Das sind um zehn Prozent mehr als im Vorjahr.

Höchste Zahl an Betretungsverboten in Wien

Und auch die Polizei hatte im vergangenen Jahr viel zu tun. Im Jahr 2022 wurden allein in der Stadt Salzburg 353 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen; 2021 waren es 373. Im Land Salzburg gab es 14,9 solcher Verbote pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das Bezirksgericht der Stadt Salzburg hat im Jahr 2022 insgesamt 118 einstweilige Verfügungen für einen längerfristigen Schutz angeordnet. Das Gericht verbietet dann dem Gefährder für sechs Monate die Rückkehr in die Wohnung oder untersagt den unmittelbaren Aufenthalt in der Umgebung sowie am Arbeitsplatz der geschützten Personen.

Einen besonders hohen Anteil an Betretungs- und Annäherungsverboten findet man laut den Daten der Wiener Interventionsstelle in der Bundeshauptstadt. Während im Jahr 2022 österreichweit pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner im Schnitt 16,2 solcher Maßnahmen gesetzt wurden, waren es in Wien 21,8. Die wenigsten Betretungs- und Annäherungsverbote gab es 2022 in der Steiermark mit 12,6 pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Woher dieser Unterschied in den Bundesländern kommt, ist unklar. Die Wiener Interventionsstelle hat verschiedene Erklärungsversuche. Zum einen gebe es in Wien im Vergleich zu ländlichen Regionen mehr Hilfs- und Beratungseinrichtungen. Daher seien auch mehr Opfer im Unterstützungsnetz angekommen. In ländlichen Gebieten könnte die Dunkelziffer von häuslicher Gewalt höher sein als in der Stadt, wird im Jahresbericht der Gewaltschutzstelle vermutet. Das heißt: In ländlichen Gebieten könnte die Tabuisierung von häuslicher Gewalt größer sein, weshalb Opfer in Wien auch häufiger die Polizei kontaktieren.

Allerdings: Nicht nur ein Stadt-Land-Gefälle zeigt sich in den Daten der Wiener Interventionsstelle. Auch innerhalb Wiens variieren die Meldungen stark. Floridsdorf verzeichnet mit 32,6 Meldungen pro 10.000 Wienern und Wienerinnen die höchste Anzahl an Meldungen. Gefolgt von der Inneren Stadt mit 29,3 Fällen.

Aber auch für die Wiener Bezirke gilt laut Tätigkeitsbericht, dass der Rückschluss auf besonders viel häusliche Gewalt in entsprechenden Bezirken verkürzt wäre. Einerseits können gerade in Bezirken mit wenigen Einwohnern und Einwohnerinnen die Effekte einzelner Meldungen verzerrende Wirkungen haben. Außerdem weist die Wiener Interventionsstelle daraufhin, dass es sich bei den Schwankungen auch um eine unterschiedliche Anwendung der Aussprache von Betretungs- und Annäherungsverboten zwischen den Polizeibezirken handeln könnte. Somit würden steigende Zahlen wiederum für funktionierende Schutzmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt stehen.

In Wien steigen aber auch insgesamt die Meldungen über polizeiliche Interventionen zum Schutz der Opfer seit 2018 wieder an. 2022 wurde ein Höchstwert 4.693 Polizeimeldungen erfasst – 326 Polizeimeldungen im Vergleich zum Vorjahr 2021. Die Betretungs- und Annäherungsverbote machen dabei den Großteil der Maßnahmen aus.

Geschützt sollen dadurch in den meisten Fällen Frauen werden. 77 Prozent aller Opfer sind Frauen, während Männer zu 88 Prozent jene sind, vor denen geschützt werden soll. Die Verbote können ausgesprochen werden, noch bevor es überhaupt zu einer Straftat gekommen ist. In den meisten Fällen kommt es laut der Wiener Interventionsstelle allerdings auch zu einer Strafanzeige durch die Polizei. Die Bandbreite der Delikte in Bezug zu häuslicher Gewalt ist groß. Am häufigsten kommt es in dem Kontext allerdings zu Anzeigen wegen Körperverletzung.

Bei möglichen Verfahren wegen Gewalt im sozialen Nahbereich sei eine möglichst tatzeitnahe und fundierte Beweissicherung besonders relevant, um Opferrechte zu gewährleisten, heißt es außerdem im Bericht des Rechnungshofs. Die Prüferinnen und Prüfer empfehlen daher, Gewaltambulanzen zeitnah einzurichten.

Warten auf Gewaltambulanzen

Das Kommittent der Bundesregierung für diese Ambulanzen, in denen Verletzungen nach Gewalt dokumentiert und Spuren gesichert werden, sodass sie in Gerichtsverfahren als Beweise verwendet werden können, gibt es bereits. Ende vergangenen Jahres kündigte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) nach einem Gewaltschutzgipfel mit Innen- und Frauenministerium diese bereits an: Eine Studie habe ergeben, dass in Österreich der dringende Bedarf für Gewaltambulanzen bestehe. "Nun geht's darum, das mit Leben zu erfüllen", sagte Zadić im Dezember 2022.

Doch: Nach welchem Konzept diese Ambulanzen aufgebaut werden, werde erst noch erarbeitet, möglich seien zum Beispiel Partnerkliniken, mobile Teams oder Telemedizin, hieß es damals. In einem Statement an den STANDARD erklärte Zadić am Freitag: "Gewaltambulanzen sind ein wichtiges Instrument zur Unterstützung von Opfern von Gewalt. Durch eine niederschwellige Möglichkeit, Spuren von Gewalt möglichst schnell und professionell zu sichern, kann in nachfolgenden Ermittlungs- und Gerichtsverfahren der Beweis für die Tat erbracht werden." Dadurch könnten mehr Gewalttäter überführt und Opfer geschützt werden. Ziel sei es hier, die Verurteilungsquote deutlich zu erhöhen, wie dies in anderen Ländern durch die Schaffung von Gewaltambulanzen geschehen sei.

Ministerien in "intensiven Gesprächen"

Darüber hinaus sollen die Gewaltambulanz eine "Anlaufstelle für Gewaltbetroffene sein, die ihnen den Ausstieg aus der Gewaltspirale erleichtert". Das langfristige Ziel sei es, dass möglichst viele Frauen in Österreich einen Zugang zu einer Gewaltambulanz erhalten. Zu Beginn seien Pilotphasen mit regionaler Versorgung angedacht. "Wir wollen hier auch bestmöglich bereits bestehende Ressourcen nutzen." Derzeit sei man "in intensiven Gesprächen" mit den anderen betroffenen Ministerien – Gesundheits-, Innen- und Frauenressort – sowie mit den betreffenden Stakeholdern. Dabei sollen die "finalen Fragen der Ausgestaltung und Finanzierung der Gewaltambulanzen" abgeklärt werden.

Ob das Projekt noch heuer starten kann, wie es die Justizministerin zuletzt in einem Interview mit "Woman" erklärte? Alle Ministerien seien sich einig, dass das Projekt "ehebaldigst" umgesetzt werden müsse. (Oona Kroisleitner, Stefanie Ruep, Pauline Reitzer, 26.8.2023)